Frage an Harald Terpe von Frank S. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr MdB Dr. Terpe,
warum wurden die Freisetzungsversuche mit Gen-Raps in MV verschwiegen, wie die Ostsee-Zeitung schreibt (s. u.)?
Können genmanipulierte Organismen aus diesen Freisetzungsversuchen in die Nahrungskette (etwa in den Rapshonig) gelangt sein?
Wäre eine Verunreinigung von Nahrungsmitteln durch GVO aus Freisetzungsversuchen rechtlich zulässig?
Kann man sich in der Praxis vor solchen möglichen Verunreinigungen durch GVO (im Freisetzungsversuch) überhaupt schützen?
Gibt es Untersuchungen auf denkbare GVO-Verunreinigungen in der Natur und in der Nahrungskette?
Arbeiten "die Grünen" mit unabhängigen Instituten zusammen, die diese Auswirkungen von GVO-Freisetzungsversuchen in der Praxis und in der Natur überprüfen?
Hochachtungsvoll
Frank Sauer, Berlin
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(Ostsee-Zeitung vom 30.03.2007)
Artikel:
"Versuche mit Gen-Raps verschwiegen"
Schwerin (dpa) In Mecklenburg-Vorpommern sind nach einem Bericht des Verbandes Bioland bereits zwischen 1997 und 2001 ohne Wissen der Öffentlichkeit genveränderter Raps und Zuckerrüben angebaut worden. Das Bundessortenamt habe jetzt deutschlandweit Versuche mit neun veränderten Rapssorten an jeweils zwölf bis 20 Standorten eingeräumt. Die Flurstücke seien bis heute nicht veröffentlicht, kritisierte Geschäftsführerin Carola Ketelhodt. Raps ist demnach in MV an acht Standorten zwischen Malchow (Nordwestmecklenburg) und Sanz (Ostvorpommern) ausgebracht worden, Zuckerrüben in Reutershof bei Demmin.
Sehr geehrter Herr Sauer,
Herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Zu Ihren Fragen im einzelnen:
(1) Warum wurden die Freisetzungsversuche mit Gen-Raps in MV verschwiegen, wie die Ostsee-Zeitung schreibt?
Zur Klärung: Es handelte sich nicht um Freisetzungsversuche nach dem Gentechnik-Gesetz, sondern um Wertprüfungen nach dem Saatgutgesetz, die in der Zeit von 1997 bis 2001 vom Bundessortenamt durchgeführt wurden. Die Geheimhaltung der Standorte von Wertprüfungsstandorten war in der Vergangenheit nur möglich, weil es bis 2005 kein öffentliches und transparentes Standortregister im Gentechnikgesetz gab. Die Informationen über diese Wertprüfungen vor der Zeit des Standortregisters rückt das zuständige Bundessortenamt trotz hartnäckiger Nachfragen nur "scheibchenweise" heraus. Zunächst waren es "nur" Prüfungen von gentechnisch veränderten Maissorten, die die Regierung auf Nachfrage von Bündnis 90/Die Grünen für die Jahre von 1998 bis 2005 zugab. Dann stellte sich nach unserem weiterem hartnäckigen Bohren heraus: Auch mit gentechnisch veränderten Raps und Zuckerrüben führte das Bundessortenamt Wertprüfungen durch. Sie können die Fragmente aus den verschiedenen Antworten der Regierung in einer Liste nach Bundesländern und Pflanzenart nachlesen: die Zusammenstellung zu Sortenprüfungen
http://www.gruene-bundestag.de/cms/gentechnik/dokbin/169/169405.pdf
Mit einer gewissen Häme wird in dem Zusammenhang der Wertprüfungsstandorte vor der Einrichtung des öffentlichen Standortregisters im Jahr 2005 darauf verwiesen, dass diese Sortenprüfungen ja auch schon in der rot-grünen Regierungszeit stattgefunden hätten. Das stimmt. Die Pflanzen, mit denen das Bundessortenamt die umstrittenen Wertprüfungen durchführte, erhielten bereits in den Jahren 1996-1998 von der EU-Kommission die gentechnikrechtliche Zulassung, also vor rund acht bis zehn Jahren. Wenn diese gentechnikrechtliche Genehmigung der EU-Kommission vorliegt, können Agro-Gentechnik-Firmen wie zum Beispiel Monsanto oder Pioneer die Zulassung von Sorten aus diesen Linien beim Bundessortenamt veranlassen, das dann daraufhin verpflichtet ist, die Zulassung der Sorten zu prüfen. Diese Sortenprüfungen fallen nicht unter das Gentechnikgesetz (wie z.B. Freisetzungsexperimente), sondern unter das Saatgutgesetz. Und es gab bis 2005 keine Vorschrift, wonach das Bundessortenamt Flächen, auf denen mit gentechnisch veränderten Organismen Sortenprüfungen durchgeführt werden, öffentlich bekannt geben musste.
Erst mit der Novellierung des Gentechnik-Gesetzes in der rot-grünen Regierungszeit haben die Grünen - gegen erhebliche Widerstände der Gentechniklobby in Bund und Ländern und auch in Teilen der SPD - dafür gesorgt, dass nun jeder Standort, an dem gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, flurstücksgenau öffentlich angegeben werden muss – unabhängig davon, ob es sich um ein Freisetzungsexperiment nach dem Gentechnikgesetz, um eine Sortenprüfung nach dem Saatgutgesetz oder um kommerziellen Anbau handelt. Diese Transparenz, die seit 2005 mit dem Inkrafttreten der Gentechnikgesetz-Novelle gilt, ist für alle Landwirte, die gentechnikfrei produzieren wollen, von existenzieller Bedeutung und hat sich gut bewährt.
Trotzdem sieht der Entwurf des Eckpunktepapiers für ein neues Gentechnikgesetz aus dem Hause Seehofer vor, dass diese Transparenz des Registers eingeschränkt werden soll. Das Argument: Mehr Transparenz = mehr Feldzerstörungen. Die grüne Fraktion ist dem Wahrheitsgehalt dieses Arguments nachgegangen und hat die Bundesregierung gebeten, einmal genauer aufzuschlüsseln, ob es seit Einrichtung des öffentlichen Standortregisters 2005 mehr Feldzerstörungen als in den Jahren davor gegeben habe. Die Antwort der Regierung ist eindeutig: "Es konnte im Jahr 2005 kein Anstieg der Anzahl der Feldzerstörungen von Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden." Unser Fazit: Je weniger Transparenz, desto mehr Feldzerstörungen.
Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Internet-Seite der Grünen Fraktion: http://www.gruene-bundestag.de/cms/gentechnik/dok/169/169203.htm.
2) Können genmanipulierte Organismen aus diesen Freisetzungsversuchen in die Nahrungskette (etwa in den Rapshonig) gelangt sein?
Theoretisch ist es möglich, dass z.B. Rapspollen in den Honig gelangt. Ob dies tatsächlich erfolgt ist, kann nur festgestellt werden, wenn Imker den Honig daraufhin untersuchen lassen.
3) Wäre eine Verunreinigung von Nahrungsmitteln durch GVO aus
Freisetzungsversuchen rechtlich zulässig?
Wenn Lebensmittel durch EU-rechtlich nicht zum Inverkehrbringen zugelassene GVO verunreinigt sind, dürfen sie laut EU-Recht nicht in Verkehr gebracht werden.
4) Kann man sich in der Praxis vor solchen möglichen Verunreinigungen durch GVO (im Freisetzungsversuch) überhaupt schützen?
Die Sicherheitsvorschriften im Rahmen eines Freisetzungsversuchs nach dem Gentechnik-Gesetz sollten von den zuständigen Behörden so veranlasst werden, dass keine Verunreinigungen möglich sind. Welche Sicherheitsvorschriften das Bundessortenamt seinerzeit im Rahmen der Wertprüfungsstandorte erlassen hat, müsste direkt beim Bundessortenamt erfragt werden. Freisetzungsexperimente können nicht per se verboten werden, dass verstößt gegen das EU-Recht. Aber die Behörden haben immer einen gewissen Handlungsspielraum, wenn sie über Experimente entscheiden müssen. Wir kritisieren u.a., dass seit dem Regierungswechsel nicht nur die Anzahl von Freisetzungsexperimenten, sondern auch die damit eingegangenen Gefahren für die Umwelt zugenommen haben wie z.B. durch Experimente mit gentechnisch veränderten Pharmapflanzen, zum Teil sogar auf dem Gelände der Genbank in Gatersleben. Wir sagen: Versuche mit Pharmapflanzen, Experimente in Naturschutzgebieten oder auf dem Gelände von Genbanken gefährden unnötig Mensch, Umwelt und die biologische Vielfalt. Der Zweck dieser Versuche steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Risiko. Darum fordert meine Fraktion die Regierung unter anderem in einem Antrag auf, dafür zu sorgen, dass derartige Freisetzungsexperimente unterbleiben. (Antrag Bündnis 90/Die Grünen: http://dip.bundestag.de/btd/16/045/1604556.pdf ).
5) Gibt es Untersuchungen auf denkbare GVO-Verunreinigungen in der Natur und in der Nahrungskette?
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu diesem Thema. Unter anderem hat die grüne Fraktion zu den Risiken durch den Anbau von Bt-Mais wie zum Beispiel dem durch Landwirtschaftsminister Seehofer zugelassene Sorten aus dem gentechnisch veränderten Mais MON810 Gutachten erstellen lassen: http://www.gruene-bundestag.de/cms/gentechnik/dokbin/157/157879.pdf oder http://www.gruene-bundestag.de/cms/gentechnik/dokbin/157/157880.pdf. Ansonsten gibt es einen guten Überblick über vorliegende Studien zur Koexistenzproblematik und zu den Risiken auf der Seite http://www.keine-gentechnik.de/bibliothek.html , dort unter Rubrik Koexistenz und Biodiversität nachschauen.
6) Arbeiten "die Grünen" mit unabhängigen Instituten zusammen, die diese Auswirkungen von GVO-Freisetzungsversuchen in der Praxis und in der Natur überprüfen?
Als Bundestagsfraktion ist unsere Aufgabe die Bearbeitung von parlamentarischen Vorgängen, wir sind wir kein wissenschaftliches Institut, das Forschungsfragen bearbeitet. Aber wir geben u.a. Gutachten zu Einzelfragen in Auftrag (siehe Frage oben), wenn sie für die Klärung von Fragen im Zusammenhang mit parlamentarischen Vorgängen (wie z.B. Gentechnik-Gesetz) relevant sind. Grundsätzlich kritisieren wir, dass die zuständigen Genehmigungsbehörden für gentechnisch veränderte Pflanzen ihre Risikoeinschätzungen vornehmen, ohne dass in den meisten Fällen Untersuchungen von unabhängigen Instituten angefordert oder einbezogen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe