Frage an Harald Leibrecht von Martin K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Leibrecht,
In der kommenden Wochen Stimmen die Iren über den Vertrag von Lissabon ab. Weshalb dürfen wir deutschen Bürger über einen Vertrag, der auch schon EU-Verfassung genannt wurde, nicht selbt abstimmen? Sind wird den Bürger zweiter Klasse in der EU?
Mir freundlichen Grüßen
Martin Kiemle
Sehr geehrter Herr Kiemle,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 8. Juni 2008, in der Sie fragen, warum die deutschen Bürger nicht über den neuen EU-Verfassungsvertrag abstimmen dürfen. Gern lege ich Ihnen hierzu die Position der FDP-Fraktion dar.
Die FDP hat sich 2003 für einen Volksentscheid zur Ratifikation der europäischen Verfassung ausgesprochen. Diese Verfassung, so wie sie ursprünglich angedacht war, hätte eine neue Qualität der Souveränitätsübertragung an die Europäische Union bedeutet, die eine breite Legitimierung durch einen Volksentscheid erfordert hätte.
Der jetzige EU-Reformvertrag bleibt in seiner Rechtsqualität deutlich hinter der geplanten Verfassung zurück. Er bewirkt lediglich eine Modifikation bestehender Verträge und schafft eben kein einheitliches Dokument mit dem Charakter einer Verfassung. Dies wird umso deutlicher, als die Charta der Grundrechte dem Vertrag lediglich angefügt wurde, anstatt sie dem Vertrag voranzustellen. Auf mit dem Begriff Verfassung verbundene Symbole wie beispielsweise die Flagge oder die Hymne wurde verzichtet. Der EU-Reformvertrag stellt also nicht den Abschluss einer Entwicklung hin zu einer europäischen Verfassung dar, sondern ist nur ein weiterer Zwischenschritt. Daher erfordert seine Ratifikation aus unserer Sicht keine Volksabstimmung. Eine Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag ist aber auch nicht angezeigt, weil es sich um einen gewöhnlichen völkerrechtlichen Vertrag handelt, der die bestehenden Verträge lediglich modifiziert. In seiner Qualität geht er nicht über andere Änderungsverträge wie Maastricht, Amsterdam oder Nizza hinaus. Für die Revision existierender Verträge sind der Deutsche Bundestag und der Bundesrat als demokratisch legitimierte Gremien die richtige Instanz.
Auch wenn der jetzige EU-Reformvertrag deutlich hinter der ursprünglich geplanten EU-Verfassung zurück bleibt, so gilt doch die Erkenntnis von Konrad Adenauer: Wenn man das Beste in der Europapolitik nicht erreichen kann – das Beste wäre eine Verfassung gewesen, und zwar durch eine Volksabstimmung bestätigt –, ist man gut beraten, das Zweitbeste zu machen. Der EU-Reformvertrag, so wie er jetzt vorliegt, ist das Zweitbeste. Es ist besser als alles andere, was wir an Alternativen haben.
Ich möchte zudem unterstreichen, dass die FDP mit dieser Einschätzung in Europa nicht alleine steht. Im Gegenteil: Bisher hat nur Irland erklärt, ein Referendum abhalten zu wollen. Zahlreiche Staaten, die über die europäische Verfassung ein Referendum abgehalten haben oder dies vorhatten, haben bereits erklärt, bei der Ratifikation dieses EU-Reformvertrags darauf verzichten zu wollen. Dies gilt beispielsweise für Frankreich, Dänemark und Großbritannien.
Fest steht jedoch: Sollte es künftig einmal in der EU einen weiteren Anlauf zur Verabschiedung einer echten europäischen Verfassung geben, wird die FDP sich auch weiterhin für einen Volksentscheid einsetzen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen unsere Position zur Ratifikation des Vertrags von Lissabon habe näher bringen können und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Harald Leibrecht
Mitglied des Deutschen Bundestages