Frage an Harald Leibrecht von Hermann S. bezüglich Wirtschaft
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Diese ist aber wenig überzeugend! Dass die Kammern nicht mehr auf Feldern tätig sein sollen, wo ausreichend Angebote privater Dienstleister vorhanden sind, hat die FDP schon vor zwölf Jahren gefordert. Inzwischen haben die Kammern diese Tätigkeiten ausgeweitet anstatt eingeschränkt. Wo bleibt die FDP mit Taten? Das gleiche gilt für die Doppelarbeit (Schauen Sie in den Beschluß der WMK aus 1998, welche maßgeblich von Dr. Walter Döring (FDP) und Dr. Mehrländer (FDP) verfasst wurde). Und nun die Frage an Sie bzw. die FDP: Was haben Sie in diesen zwölf Jahren verändert?
Was verstehen Sie eigentlich unter "Selbstverwaltung der Wirtschaft"? Die von Ihnen benannten "hoheitlichen Aufgaben" haben doch nichts mit der Pflichtmitgliedschaft zu tun, denn für all diese "Selbstverwaltungsaufgaben" werden von den Kammern Gebühren erhoben; zusätzlich zu den Zwangsbeiträgen. Die von Ihnen angeführte Betreuung von 850000 Azubis, die Zwischenprüfungen und die Abschlußprüfungen werden aus "Ausbildungsgebühren" finanziert. Schauen sie sich die Gebührenordnung der Kammern an, bevor sie so eine Aussage machen. Ferner: die Abnahme der Prüfungen erfolgt durch uns, die Unternehmer - ehrenamtlich.
Haben Sie schon mal bemerkt, dass die Bestellung als öffentlicher Sachverständiger eine ganz schön teure Sache ist? Dann schauen Sie sich die Gebührenordnung der Kammern an. Also wirklich, Herr Leibrecht - das hat nun überhaupt nichts mit Zwangsmitgliedschaft zu tun! Genauso wenig die von Ihnen angeführten 1,2 Mio Exportdokumente. Jeder Stempel kostet Gebühren und wir nicht über die Zwangsmitgliedsbeiträge gedeckt.
Also: Die Bereitstellung all dieser Dienstleistungen werden durch Gebühren gedeckt, welche zusätzlich und unabhängig von den Mitgliedsbeiträgen erhoben werden.
Die Kammern können also ganz gut von den Gebühreneinnahmen aus den "hoheitlichen Aufgaben" leben. Wozu braucht´s dann noch eine Zwangsmitgliedschaft?
Konnte ich Sie zu einem Meinungsumschwung bewegen?
Sehr geehrter Herr Schrecker,
mir ist bewußt, dass das Thema Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern sehr umstritten und zum Teil emotional aufgeladen ist.
Aus Sicht der FDP sind Selbstbestimmungsrecht und Eigenverantwortung der Bürger die Eckpfeiler einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das Kammerwesen widerspricht unserer Ansicht nach dem dennoch nicht. Wie bereits in meiner ersten Antwort dargelegt, halten wir die Industrie- und Handelskammern für sinnvoll und notwendig. Der Doppelcharakter der Kammern (Selbstverwaltung des eigenen Bereichs und staatliche Aufgabenwahrnehmung) war - analog zum Doppelcharakter der Kommunen - mit Bedacht gewählt, denn ihre Aufgabe soll sich nicht in der Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaft erschöpfen, sondern zugleich die Berücksichtigung der übergeordneten volkswirtschaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Interessen beinhalten (z.B. Lehrlingsausbildung, gutachterliche Stellungnahmen). Ohne Pflichtmitgliedschaft aller Betriebe würde das Übergewicht von Konzerninteressen oder einzelner Personeninteressen politisch so sichtbar wie faktisch im Bereich der konkurrierenden freiwilligen Wirtschaftsvereinigungen.
Im Bereich des Kammerwesens ist aus Sicht der FDP folgende Abwägung zu treffen: Zwar schränkt die Organisation der Unternehmen in einer Selbstverwaltungskörperschaft mit Pflichtmitgliedschaft den Freiheitsgrad zunächst ein, doch eröffnet erst diese Einschränkung den Unternehmen die Möglichkeit zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen. Die unmittelbare Staatsverwaltung wird vermieden. Die Betroffenen können ihre Angelegenheiten, auch im hoheitlichen Bereich, selber regeln. Die Kammern unterliegen lediglich der Rechtsaufsicht. Durch die Pflichtmitgliedschaft werden also auch neue Freiheitsgrade eröffnet und gesichert. Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern auf privatrechtlicher Grundlage machen den Unternehmer zwar frei in seiner Entscheidung, sich einer dieser Organisationen anzuschließen. Doch der Preis für diesen Freiheitsgrad ist eine Einschränkung seiner Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Wahrnehmung und Umsetzung von wirtschaftsrelevanten Verwaltungsaufgaben. Denn die Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben bei Nutzung des Instituts der „Beleihung“ unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Staates oder könnten gänzlich auf den Staat rückübertragen werden.
Die FDP sieht in der bestehenden auf dem Grundsatz der Pflichtmitgliedschaft begründeten Organisation der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern in Form von Körperschaften öffentlichen Rechts grundsätzlich eine geeignete Form der Selbstverwaltung der Wirtschaft und der Interessenvertretung der Unternehmen.
Allerdings besteht ein erhebliches Maß an Reformbedarf, um den Anforderungen einer sich immer weiter globalisierenden Wirtschaft gerecht zu werden und so das deutsche Kammerwesen "wetterfest" zu machen: Erstens sollten jene Kleinstfirmen, die keinen originär gewerblichen Charakter haben und nicht ausbilden können, auf Dauer von Beiträgen befreit werden. Das sind im Übrigen auch jene Unternehmen, die mangels ihrer Größe spezifische Dienstleistungen der Kammern (z.B. Außenwirtschaft) in der Regel nie nutzen werden. Zweitens müssen die Kammern für mehr Transparenz in ihrer Rechnungslegung, Geschäftsführung und Qualität sorgen. Dazu sind entsprechende Leistungskennzahlen einzuführen, wie sie auch im unternehmerischen Controlling üblich sind. Darüber hinaus müssen die Kammern gefordert und in die Lage versetzt werden, wieder ihre eigentliche Aufgabe, das Gesamtinteresse der Wirtschaft zu artikulieren, wahrzunehmen. Gleichzeitig sollen die Kammern sich auf ihre Kernaufgaben beschränken. Drittens muss die innere Verfassung der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz ermöglichen.
Für weitere unserer Argumente und Einzelheiten zu unseren Vorschlägen hinsichtlich einer Reform des Kammerwesens füge ich Ihnen anbei den Beschluß des FDP-Bundesparteitages 2006 zur "Reform des Kammerwesens".
Ich hoffe, ich habe Ihnen die Ansicht der Liberalen zu diesem Thema näher bringen können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Harald Leibrecht
Mitglied des Deutschen Bundestages