Frage an Hans-Peter Uhl von Udo R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Uhl.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier auch mal ein dickes Lob für einen Politiker, nämlich Sie, loszuwerden. Meine am 02.08.2008 an Sie gestellte Frage bzgl. der Realität der Sozialen Sicherung haben Sie als bislang Einziger der von mir gleichlautend befragten Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien ausführlich, kompetent und zu meiner vollsten Zufriedenheit beantwortet. Es war sehr überraschend für mich, daß nicht Herr Dr. Gysi oder Frau Nahles es waren, die so umfassend geantwortet haben, sondern ausgerechnet ein Politiker einer doch eher konservativen Partei. Das läßt mich hoffen, daß der Gedanke einer sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard noch nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Denn wie die aktuellen Ereignisse zeigen, haben wir uns von einer sozialen Marktwirtschaft doch mittlerweile mehr als nur entfernt.
Daher noch eine Frage an Sie: Inwieweit halten Sie den Lobbyismus für mitursächlich an der Entwicklung des Sozialstaates? Sind Politiker wirklich unabhängig, wenn sie in Aufsichtsräten der Wirtschaft und der Banken sitzen? Sind "Berater" aus der Wirtschaft (z. B. Durchleitungsgesetz RWE) wirklich nur Berater? Sind die Zweifel der Menschen an der Arbeit der Volksvertreter zum Wohle des Volkes tatsächlich so unbegründet?
Mit freundlichen Grüßen
Udo Reidegeld
Sehr geehrter Herr Reidegeld,
für Ihre freundlichen Worte über mein Antwortverhalten herzlichen Dank!
Alles in allem würde ich unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem schon noch als Soziale Marktwirtschaft bezeichnen. Ich meine aber auch, dass diese vernünftige und ausgewogene Wirtschaftsphilosophie in den letzten Jahrzehnten leider an Einfluss verloren hat. Sie wird von zwei Seiten zurückgedrängt:
- Erstens: Von Profit- und Renditeinteressen, die sich um schützenswerte soziale Güter wie Familie, Bildung und Wertevermittlung nicht scheren und deshalb rechtliche Schranken, die zugunsten des Gemeinwohls bestehen, als „unwirtschaftlich“ ablehnen.
- Zweitens: Von staatswirtschaftlichen Eingriffen und übertriebenem Sozialstaatsdenken; Die Staatsquote steigt, der Staat kümmert sich so „gut“ um alles, dass die Erwerbstätigen sich vor Steuern und Abgaben fragen müssen, wofür sie eigentlich arbeiten.
Die richtige Balance ist schwierig, aber notwendig: Regulierung der Wirtschaftstätigkeit zugunsten von Gemeinwohlzielen ist nötig; doch zu vermeiden sind (Fehl-)Anreize hin zu weniger Leistungsorientierung, weniger Eigenverantwortung und weniger Investitionen. Wenn vor lauter „gut gemeint“ die Wirtschaft gelähmt wird, leidet nicht zuletzt das Gemeinwohl (Folge: Weniger für alle).
Thema Lobbyismus: Es ist legitim, dass jeder seine Interessen vorträgt. Die unterschiedlichen Eigeninteressen müssen jedoch vom Gesetzgeber möglichst objektiv in ein Gesamtbild integriert werden. Diese Objektivität ist besonders gefährdet, wenn in Politik und Verwaltung einseitige Interessen (finanzielle) Macht bekommen. Gelegenheit macht Diebe; deshalb ist Transparenz und Kontrolle nötig.
Grundsätzlich meine ich, dass der Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung zur Erlangung von Fachwissen aus Wirtschaft und Gesellschaft, das in der Bundesverwaltung selbst nicht vorhanden ist und auch nicht dauerhaft benötigt wird, sinnvoll sein kann. Schließlich sollen die Gesetze und ihr Vollzug möglichst bürgernah sein. Der Einsatz externer Mitarbeiter muss aber so gestaltet werden, dass Interessenkonflikte ausgeschlossen sind. Externe Mitarbeiter dürfen daher z.B. nicht bei der verantwortlichen Formulierung von Gesetzesentwürfen, in Leitungsfunktionen und bei der Vergabe öffentlicher Aufgaben eingesetzt werden.
In der Vergangenheit gab es einige Fälle, wo Misstrauen angebracht war und der Verdacht einer Interessenkollision im Raum stand. Um dies künftig zuverlässig auszuschließen, hat die Bundesregierung am 18. Juni 2008 eine entsprechende Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten in der Bundesverwaltung beschlossen:
- Über die Beschäftigung Externer muss Transparenz herrschen
- und ihr vorübergehender Einsatz ist nur gerechtfertigt, wenn das für die Erfüllung spezifischer Aufgaben notwendige Fachwissen unter den regulär Beschäftigten (in der Regel Beamte) nicht vorhanden ist.
- Das Bundesinnenministerium muss regelmäßig über den Einsatz der externen Personen in der Bundesverwaltung berichten.
Zu den Abgeordneten: Nebentätigkeiten müssen veröffentlicht werden. Die Öffentlichkeit hat die Möglichkeit, das politische Engagement im Bundestag daraufhin zu untersuchen, ob Nebentätigkeiten einen illegitimen Einfluss gehabt haben könnten. Jeder der 600 Bundestagsabgeordneten nimmt sein Mandat auf seine persönliche Weise wahr. Es sollten nicht alle in einen Topf geworfen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Uhl