Frage an Hans-Peter Uhl von Joachim H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Dr. Uhl,
vergangenes Wochenende und auch noch in dieser Woche sprachen sich namhafte Politiker der CSU im Münchner Merkur für eine Öffnung der Partei für Muslime aus. Der Ministerpräsident Beckstein kokettierte sogar mit 31 Urlaubsreisen in die Türkei (möglicherweise will er damit die CSU in Richtung einer Zustimmung für einen Beitritt Türkei zur EU bewegen) und der niederbayerische Landtagsabgeordnete Martin Neumeyer urteilte, daß es zum Überleben der CSU notwendig sei, die Realität anzuerkennen, daß es noch in diesem Jahrhundert einen Anteil von mehr als 50 % Muslime in unserem Land gäbe. Das bedeutet doch, daß die CSU nun auch diese Entwicklung als nicht mehr abwendbar hinnehmen will.
Deshalb stelle ich an Sie folgende Frage:
Sind die Vorstellungen von Beckstein und Neumeyer isolierte Einzelerscheinungen in der CSU oder sind die im Münchner Merkur veröffentlichten Ansichten, ein Versuchsballon für den Wechsel der Einstellung der CSU weg von der christlich geprägten deutschen Leitkultur hin zur Anerkennung einer nicht mehr rückgängig zu machenden multikulturellen Gesellschaft?
Sollten Sie das Interview Ihres Parteifreundes Neumeyer nicht gelesen haben, dann finden Sie es unter diesem Hinweis nochmals:
www.pi-news.net/2007/11/neumeyer-die-csu-muss-um-muslime-werben/
Ministerpräsident Beckstein äußerte sich im Münchner Merkur so:
http://www.merkur-online.de/vermischtes/blickpkt/art9400,867404
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Hahn
Sehr geehrter Herr Hahn,
Ihre Beunruhigung ist verständlich, aber ich glaube, Sie haben da etwas gründlich missverstanden. Ich sehe mich daher genötigt, Ihnen sehr ausführlich zu antworten.
Der Islam ist – das können wir ganz ohne Wertung feststellen – ein relevanter Teil Deutschlands geworden. Etwa 3,4 Millionen Muslime leben in unserem Land, die meisten stammen aus der Türkei. Etwa eine Million hat bereits die deutsche Staatsangehörigkeit. Doch die Integration der Muslime ist leider in vielen Fällen gescheitert. Fehlende Deutschkenntnis und Anpassungsbereitschaft, die Abkapselung in Parallelgesellschaften und das Verharren im Nationalismus der Herkunftsländer sind unübersehbar. Zwar können diese Probleme nicht pauschal „den Muslimen“ angelastet werden. Aber die Schnittmenge zwischen Muslimen in Deutschland und schlecht integrierten Zuwanderern ist beträchtlich. Aufgrund dieser realen Probleme und nicht um Ausländer zu diskriminieren, haben CDU und CSU es z.B. durchgesetzt, den Familiennachzug an die Bedingung minimaler Deutschkenntnisse zu knüpfen. Doch in jedem Fall wird sich der muslimisch geprägte Bevölkerungsanteil weiter erhöhen, da die „alteingesessenen“ Deutschen immer weniger Kinder bekommen.
Wie soll es jetzt weitergehen? Natürlich will niemand in der CSU – mit Sicherheit auch nicht Günther Beckstein oder MdL Martin Neumeyer – einen Schwenk „weg von der christlich geprägten deutschen Leitkultur hin zur Anerkennung einer nicht mehr rückgängig zu machenden multikulturellen Gesellschaft“ (Ihre Formulierung). Nein, das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Im Gegenteil kämpft die CSU in Bund, Land und Kommunen geschlossen für eine Integrationspolitik, die v.a. von zwei Grundüberzeugungen getragen wird:
• Ein Mindestmaß an ethischer und kultureller Übereinstimmung ist unabdingbar. Denn die formellen Freiheiten des Grundgesetzes dürfen nicht dazu führen, dass sein inhaltlicher Identitätskern. Leider leistet die törichte Idee einer „multikulturellen Gesellschaft“ reformunwilligen Muslimen Vorschub, weil sie die Voraussetzung des bleibenden Identitätskerns für unser Land verleugnet. Dabei ist unsere Rechtsordnung sowie ihr nichtnormierter Unterbau wesentlich durch das Christentum (und auch das Judentum) geprägt worden. Das heißt natürlich nicht, dass die Nicht- und Andersgläubigen schlechtere Bürger wären. Doch Offenheit und friedliches Zusammenleben wollen wir auf dieser spezifischen kulturellen Grundlage erreichen. Deshalb haben wir sie nicht polemisch in Frage zu stellen, sondern im allgemeinen Interesse in Ehren zu halten.
• Integration ist wesentlich die Bringschuld der Muslime. Sie müssen ein islamisches Welt- und Menschenbild ausprägen, das sich als vernünftiges Modell in den pluralistischen Rahmen einfügt, den unser Grundgesetz zulässt. Z.B. sind ein anachronistisches Geschlechterverständnis, ein unklares Verhältnis zu religiösem Zwang und Gewalt und ein türkisch-nationalistischer Polit-Islam damit einfach unvereinbar. Auch die deutsche Sprache und der politisch-moralische Grundkonsens Europas gehören zum Mindesten, das viele Muslime hierzulande erst noch bejahen und sich aneignen müssen.
Bis hierher gibt es also überhaupt keine Diskussion innerhalb der CSU – das alles ist vollkommen selbstverständlich. Beckstein und Neumeyer haben etwas anderes gemeint – und da gebe ich den beiden völlig Recht: Die Muslime – zumeist mit Integrationshintergrund – sind da und sie bleiben da. Es gibt keine Alternative dazu, ein gutes, vertrauensvolles und vor allem friedliches Zusammenleben mit Ihnen führen zu wollen. Eine undifferenzierte und dialogunfähige Anti-Islam-Haltung würde alle Muslime unter Generalverdacht stellen und Abschottungstendenzen bei ihnen noch weiter verstärken. Doch die Atmosphäre der Spaltung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen wäre Gift für den gesellschaftlichen Frieden, der gerade in religiösen Fragen oberste Pflicht sein muss.
Einmal mehr ist eine Besinnung auf unser Grundgesetz ratsam: Artikel 4 schützt die Religionsfreiheit, und zwar nicht nur die Religionslosigkeit, sondern auch die Freiheit zu verschiedenen Bekenntnissen. Die Artikel 7 und 140 dokumentieren, dass unser Staat nicht laizistisch ist und damit religiöse Fragen nicht völlig in den privaten Bereich verbannt. Stattdessen leben wir in einem religionsneutralen Staatswesen, das die religiösen Bindungen seiner Bürger prinzipiell anerkennt. Darum kooperiert die öffentliche Hand mit den christlichen Kirchen, wenn es im allgemeinen Interesse liegt – mit besten Ergebnissen für die Bildungs- und Sozialpolitik. Verfassungsmäßiges Ziel kann also nicht die Entwicklung oder gar planvolle Erziehung zum Atheismus sein. Niemand sollte sich der Hoffnung hingeben, die Gläubigen aller Bekenntnisse würden auf kurz oder lang ihren Glauben relativieren oder stillschweigend fallenlassen. Die Achtung vor dem Grundgesetz erfordert vielmehr den Respekt vor den Religionen. Auch die Muslime haben da grundsätzlich einen Anspruch, ihren Glauben praktizieren und weitergeben zu können.
Der Islam ist von den christlichen Kirchen schon formal so grundverschieden, dass von einer Gleichstellung natürlich keine Rede sein kann. Doch ohne Alternative sind weitere politische Schritte der Einbeziehung. Bundesinnenminister Schäuble hat dazu auf oberster Ebene die Islam-Konferenz als Prozess der Verständigung ins Leben gerufen. Diese neue Herangehensweise sollte uns alle mit einem wichtigen Denkansatz vertraut machen: Die große Mehrheit der gemäßigten Muslime muss sich voll mit unserer Rechts- und Sozialordnung identifizieren können. Wie können wir das erwarten, wenn wir ihnen die Fähigkeit zur Übereinstimmung von Vornherein abstreiten und ihrer Religion jeden Respekt verweigern wollten?
Dieser Prozess kann natürlich nur Früchte tragen, wenn er von Anfang an klar Richtung und Grenzen der Annäherung kenntlich macht: Integration bleibt wesentlich die Verpflichtung der Muslime. Die islamischen Verbände wären gut beraten, sich hier zu bewegen und glaubwürdig zu positionieren – am besten bevor Moscheebauprojekte in Angriff genommen werden. Sie sollten nicht darauf hoffen, sie bekämen auch ohne eigene Anstrengungen alles, was sie wollten – allein wegen der Religionsfreiheit im Grundgesetz. Nein, auf diese Art wird es nicht gehen!.
Doch es bleibt dabei: Gerade das „C“ bei CDU und CSU als den Parteien, die seit jeher für religiöse Bekenntnisfreiheit besonders eintreten, verpflichtet zu einem differenzierenden – gewiss nicht schönfärberischen – Blick auf den Islam. Kurzum: Eine integrative Haltung gegenüber Muslimen steht für mich nicht im Widerspruch zur „christlich geprägten deutschen Leitkultur“ (Ihre Formulierung), sondern ergibt sich daraus als politische Verpflichtung.
Mit freundlichen Grüßen - und guten Wünschen zum 4. Advent
Hans-Peter Uhl