Frage an Hans-Peter Uhl von Dieter L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Uhl!
Wie ich lese, sind Sie Jurist. Als solcher beantworten Sie doch bitte, wie Sie zu den permanenten Rechtsbrüchen in der Eurofrage stehen. Im Maastricht-Vertrag steht klipp und klar, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haften darf. Dies wurde durch den EFSF und den ESM ausgehebelt. Nun steuern wir auf die Bankenunion zu – ein weiterer Meilenstein zur Aufgabe der Souveränität.
Werden Sie als Mitglied des 18. Deutschen Bundestages weiteren Banken- und Staatenrettungen zustimmen und dadurch mithelfen, dafür Steuergelder der Deutschen Bürger auszugeben?
Sehr geehrter Herr Lutz,
die No-Bailout-Klausel des Lissabon-Vertrags sollte die einzelnen Mitgliedstaaten in die Pflicht nehmen, eine verantwortliche Wirtschaftspolitik zu betreiben, insbesondere die Staatsverschuldung zu bremsen, nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern und eine Bankenregulierung zu betreiben, die grenzüberschreitende Finanzrisiken einschränkt. All dies ist bekanntlich nicht geschehen. Die No-Bailout-Klausel hat somit ihr Ziel leider nicht erreicht. Als das Kind somit in den Brunnen gefallen war und die Finanzmarktstabilität und die Währungsunion als solche aufs Äußerste gefährdet waren, haben die Regierungen der Euro-Zone ein Vorgehen verabredet, das mittels zwischenstaatlich verbürgter Hilfskredite – verbunden mit Reformauflagen – den Krisenländern die Chance einer Kurskorrektur verschaffen und das Vertrauen in die Stabilität des Finanzmarkts im Euro-Raum stützen soll. Dieses Vorgehen widerspricht sicherlich dem Buchstaben der No-Bailout-Klausel, hat jedoch ökonomisch dieselbe Intention, nämlich nachhaltiges Wirtschaften seitens der Staaten und Banken in der Euro-Zone zu fördern. Juristisch war die Rettungsschirmpolitik insofern vertretbar, da sie einstimmig und freiwillig zwischen den Regierungen der Euro-Partner vereinbart worden ist und wesentlich aufgrund der Reformauflagen, die den haftenden Staaten auch Einfluss auf das Verhalten der Schuldnerstaaten verschaffen.
Die ursprünglich unzureichende Ausgestaltung der Währungsunion hat wesentlich zu der heutigen Staatsschulden- und Konjunkturkrise geführt, die letztlich v.a. eine Bankenkrise ist. Bestimmte Länder hätten nicht oder nur unter engeren Voraussetzungen aufgenommen werden dürfen. Von Anfang an hätte es zudem - neben einheitlicher Geldpolitik und dem gemeinsamen Markt für Finanzdienstleistungen - auch einer gemeinsamen Perspektive auf die Bankenaufsicht bedurft: Es war ein kolossaler Missstand, dass Ersparnisse aus Kerneuropa in Milliardenhöhe über den Interbankenmarkt in Länder der Euro-Peripherie unkontrolliert verliehen werden konnten und dort von den Banken nicht diversifiziert investiert, sondern geballt in wenig nachhaltige Strukturen gelenkt wurden (Staatlicher Konsum in Griechenland, Immobiliensektor in Spanien etc.).
Ausgehend von dieser katastrophalen Situation wäre es im Jahr 2010 ein unverantwortliches Experiment gewesen, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen; mit der erwartbaren Folge einer Reihe von Banken- und Staatspleiten samt Auflösung der Währungsunion und einer Erschütterung des Anlegervertrauens im globalen Maßstab.
Abgesehen davon, dass wir mit einem solchen Crash-Kurs den gewachsenen Produktionsstrukturen in Deutschland mit ihrer Exportorientierung einen schockartigen Strukturwandel aufzwingen würden – das Hauptproblem wäre das Bankensystem mit den gewachsenen Interdependenzen: Auf die Auslandsforderungen deutscher Finanzinstitute müssten schlagartig hohe Abschreibungen vorgenommen werden. Abgesehen davon, dass davon mittelbar nicht nur reiche Anleger betroffen wären, sondern nicht zuletzt Sparer, die privat fürs Alter vorsorgen wollen; schlimmer als die direkten Verluste wäre der Vertrauensschaden, der zum Bank-Run auch in Deutschland führen könnte. Zumindest könnte in Folge geringerer Bankeinlagen auch die Kreditvergabe und somit die Investitionstätigkeit in Deutschland gestört werden, ganz abgesehen vom weiteren Einbruch der Nachfrage im übrigen Europa und vom womöglich partiell gestörten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.
Ein solcher Zusammenbruch des Bankensystems und weiter Teile der Wirtschaft kann europarechtlich ja nicht gewollt sein. Es wäre also unverantwortlich gewesen, dies billigend in Kauf zu nehmen, um das No-Bailout-Prinzip strikt durchzuhalten. Wir haben es also mit einem kurzfristig nicht zufriedenstellend zu lösenden Zielkonflikt zwischen dem ordnungspolitischen Grundsatz, dass Risiko und Haftung zusammengehören (kein Bailout für private Gläubiger), einerseits und der Stabilität des Finanzsystems andererseits zu tun.
Natürlich brauchen wir jetzt – um diesen Missstand zu heilen - vorbereitende Schritte, um mittel- bis langfristig die Gläubigerhaftung endlich durchsetzen zu können. Dazu gehören ja gerade die Überlegungen zur Europäischen Bankenunion, die zunächst eine Kombination von strikteren Ex-ante-Regeln hinsichtlich der Eigenkapitalquote mit einer einheitlichen Bankenaufsicht vorsehen, die letztlich auch die Kompetenz zur „prompt corrective action“ erfordern wird, also des vorbeugenden Eingriffs in Banken, die übermäßige Risiken eingehen, etwa weil sie einseitig in Staatsanleihen des Sitzlandes investiert sind o.ä. Insoweit ist die Bankenunion sicherlich sehr sinnvoll. Andererseits muss natürlich verhindert werden, dass über das Vehikel der Bankenunion ein Kanal für Finanztransfers aus Deutschland in Richtung Krisenländer gelegt wird. Zu diesem Thema – sowie generell zur Schuldenkrise - empfehle ich Ihnen nachdrücklich die Lektüre des letzten Jahresgutachtens des Sachverständigenrats, das sich in seiner Sachlichkeit und Abgewogenheit sehr wohltuend von den marktschreierischen Kommentaren vieler Medien und Publizisten abhebt:
http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/ga201213/ga12_ges.pdf
Die verantwortungsvolle Antwort lautet daher: Vertrauen in den Fortbestand der Währungsunion und in die Stabilität des Finanzmarkts stützen, damit die Kapitalflucht aus den Krisenländern gestoppt wird und dortige (rentable) Unternehmen wieder Kredit bekommen. Die makroökonomischen Ungleichgewichte (Importüberhänge) müssen über den fiskalischen Sparkurs abgebaut werden. Für Investitionen gibt es EU-Hilfen und ansonsten gilt: Wachstum muss über Strukturreformen generiert werden. Dies ist in den Krisenländern natürlich schwierig, weil diesbezüglich die ‚kulturellen‘ Voraussetzungen schwach sind und wenig Aufklärung geboten wird. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit etwa in Bezug auf bessere Berufsausbildung, mehr Wettbewerb (statt geschützten Branchen), mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt etc. etc. Die Bemühungen auf EU-Ebene und die Konditionen der Hilfskredite zielen in diese Richtung und dies ist richtig.
Letztlich wird der deutsche Steuerzahler keinen Vorteil haben, wenn um uns herum alles zusammenkracht. Der Rückzug in die nationale Autarkie ist eine Illusion, weil Wachstumsschwäche in Folge mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sowie ein unzureichend regulierter Finanzmarkt grenzüberschreitende Schäden verursachen. Es ist dasselbe Problem wie bei Umweltverschmutzung, die nicht an nationalen Grenzen Halt macht. Letztlich ist es im Interesse Deutschlands unverzichtbar und geboten, auf supranationaler Ebene nach Einflussmöglichkeiten zu streben im Sinne der Werte, von denen wir mit guten Gründen überzeugt sind: Eigenverantwortung, Privatinitiative, Preisstabilität und Gläubigerhaftung.
Es gibt so viele falsche Propheten, die zurück in die ungebremste Schulden- und Inflationswirtschaft wollen und/oder unkonditionierten Transfers und der Vergemeinschaftung der Staatsschulden den Weg bereiten wollen. Dies ist auch im Inland bei Politikern von Rot-Grün partiell der Fall. Bürger, die stattdessen auf langfristige und ökonomisch nachhaltige Rezepte setzen, sollten deshalb zusammenhalten und die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel bei ihrem umsichtigen und schweren Kampf in Europa unterstützen.
Ich empfehle – auch zum Thema No-Bailout-Prinzip - das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des BMF:
http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte_Texte/02-03-2012-Eurozone-Anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=5
Mit freundlichen Grüßen
Uhl