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Hans-Peter Uhl
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Frage von Jan-Dirk H. •

Frage an Hans-Peter Uhl von Jan-Dirk H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Uhl,

warum haben Sie als der für meinen Stadtteil zuständige Abgeordnete dem ESM zugestimmt, obwohl Sie wissen, dass:
1. nach Artikel 9 die Übertragung der Rechte an den ESM bedingungslos und unwiderruflich sind?
2. der Gouverneursrad nach Artikel 10 die Höhe des Grundkapitals von 700 Milliarden Euro aus Artikel 8 jederzeit ändern kann, ohne das Volk oder die Regierungen zu fragen?
3. nach Artikel 27 der ESM das deutsch Volk zwar verklagen kann, selbst aber umfassende gerichtliche Immunität gegen Klagen erhält?
4. das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM (vormals Eigentum, Finanzmittel und Vermögenswerte u.a. des deutschen Volkes!!) gegen jeglichen Zugriff von Regierungen (Volksvertretern) auf jeglichen Weg (Regierungshandeln, Gerichts- oder Gesetzesweg) befreit ist?
5. nach Artikel 30 die Mitglieder des Gouverneursrats volle Immunität gegenüber der Gerichtsbarkeit genießen?
6. der Gouverneursrat nicht vom Volk gewählt wird, somit auch nicht abgewählt werden kann?

Bitte beantworten Sie mir die oben stehenden Fragen, weil ich gern von Ihnen als meinem Volksvertreter wissen möchte, warum Sie einer zutiefst undemokratischen und unkontrollierbaren Institution wie dem Gouverneursrad zugestimmt haben.

Mit tief besorgten Grüßen
Jan-Dirk Hansen

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Hansen,

der Gouverneursrat besteht aus je einem Regierungsvertreter der EURO-Länder. Alle diese Regierungsvertreter (typischerweise die Finanzminister) sind wiederum demokratisch legitimiert und kontrolliert. Der deutsche Regierungsvertreter im Gouverneursrat, der gegenüber dem Bundestag verantwortlich ist, besitzt für alle Entscheidungen (etwa über das Stammkapital) ein faktisches Veto-Recht. Es kann gegen den Willen Deutschlands also nichts entschieden werden.

Hier (ab Seite 8) können Sie nachlesen wie die Beteiligung des Deutschen Bundestags an allen Entscheidungen über künftige Kredite des ESM aussieht:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/101/1710126.pdf

Wann immer künftig Geld aus dem ESM ausgezahlt werden soll, muss der Bundestag dies vorher genehmigen. Es ist somit keineswegs ein Selbstbedienungsladen für auswärtige Staaten entstanden.
• Jeder konkrete Hilfsantrag wird separat geprüft und verhandelt werden.
• Ohne deutsche Zustimmung gibt es keinen Kredit.
• Und die Zustimmung Deutschlands gibt es nicht ohne Zustimmung des Bundestag.

Der Bundestag wird es also komplett in der Hand haben, einem Hilfsantrag zuzustimmen oder nicht. Wenn die Auflagen nicht hart genug sind, muss eben abgelehnt werden. Einen Blanko-Scheck gibt es jedenfalls nicht.

Zu den Immunitätsregelungen: Bei den in Artikel 32 und 35 ESM-Vertrag vorgesehenen Immunitäten für den ESM, sein Vermögen sowie seine Amtsträger und Bediensteten handelt es sich um bei internationalen Finanzinstitutionen übliche Regelungen. Dadurch soll der ESM und sein Vermögen vor unberechtigtem Zugriff Dritter geschützt werden. Das ist im Interesse der ESM-Mitglieder und damit auch des deutschen Steuerzahlers. Die persönliche Immunität der Amtsträger und Bediensteten kann durch den Gouverneursrat des ESM, in dem wie gesagt die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. den Geschäftsführenden Direktor aufgehoben werden. Dadurch wird Missbrauch entgegengewirkt. Vergleichbare Regelungen gelten u. a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z. B. die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).

Zur Grundsatzfrage, warum überhaupt einen EURO-Rettungsschirm? Die Idee ist folgende:
• Über einen zwischenstaatlichen Fonds können Hilfskredite an einzelne Partnerstaaten gewährt werden, die sich am freien Finanzmarkt kein Geld mehr leihen können.
• Wer einen solchen Kredit will, muss sich Auflagen fügen, damit die Kreditgeber nicht nur die Haftung tragen, sondern auch entsprechende Kontrolle bekommen.

Grundsätzlich liegt es in der Eigenverantwortung eines jeden Staates, seine Schuldentragfähigkeit glaubhaft zu machen und sich somit zu erträglichen Zinsen Geld von privaten Investoren leihen zu können. Steigende Zinsen sind das natürliche Druckmittel für notwendige wirtschaftspolitische Reformen. Aber leider funktionieren auch die Finanzmärkte nicht immer perfekt. Schließlich haben es die Investoren viele Jahre lang versäumt, unsolide Schuldenpolitik rechtzeitig mit höheren Zinsen zu bestrafen. Umgekehrt droht jetzt ein Teufelskreis der Spekulation. Ich zitiere den Ökonomen Andreas Haufler (LMU München):

„Auch ein grundsätzlich solventes Land wird dann in die Staatsinsolvenz getrieben, wenn internationale Investoren pessimistische Erwartungen haben und entsprechend hohe Risikoprämien verlangen. Dieses ineffiziente Gleichgewicht kann durch temporäre, supranationale Liquiditätshilfen verhindert werden, die stattdessen zu einem ‚guten‘ Gleichgewicht mit niedrigeren Zinsen und Bedienung aller Staatsschulden führen. Hier gewinnen daher alle Akteure durch die temporäre Bereitstellung von supranationalen Krediten.“ (ifo-Schnelldienst 9/2011)
http://www.ecpol.vwl.uni-muenchen.de/downloads/publis/prof_haufler/esm_ifoschnell2011.pdf

Klar ist jedoch : All dies kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Ohne die nötigen Eigenanstrengungen bei den Schuldensündern – Italien, Spanien etc. – wird es keine Lösung geben. Die Hausaufgaben, die seit Jahren liegen geblieben sind, müssen endlich angepackt werden, nämlich Einsparungen und Wirtschaftsreformen.

Der ESM-Rettungsschirm ist in der gegebenen Situation also ein sinnvolles Instrument. Aber er ist sicherlich auch ein riskantes Instrument, das im schlechtesten Fall missbraucht werden könnte zur finanziellen Ausplünderung Deutschlands. Es kommt also entscheidend darauf an, wie der ESM genutzt werden wird, und somit maßgeblich auf die Mitwirkung der deutschen Vertreter. Dafür wiederum wird es entscheidend sein, wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag künftig aussehen.

Meine Stimmungslage ist dieselbe wie bei Ihnen: Wut und Enttäuschung wegen der schwindelerregende Misswirtschaft und der Regelverletzungen im Euro-Raum. Aber wir müssen realistisch bleiben: Ein Rückzug ins nationale Schneckenhaus würde deutschen Interessen langfristig nicht nützen.
Schlechte Erfahrungen sollen nicht beschönigt werden. Doch unsere Welt wächst immer schneller zusammen. Da liegt unsere Verantwortung darin, diejenigen Ordnungsvorstellungen, die sich in Deutschland bewährt haben, auf europäischer Ebene immer wieder zur Geltung zu bringen:
- Wettbewerbsfähigkeit,
- Preisstabilität
- und Haushaltsdisziplin

Dies tut Bundeskanzlerin Merkel energisch, und zwar unter sehr widrigen Umständen. Dabei hat sie mein Vertrauen und hätte dafür generell mehr innenpolitische Unterstützung verdient.

Mit freundlichen Grüßen
Uhl