Frage an Hans-Peter Uhl von Florian R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Uhl,
in folgendem Video: http://www.youtube.com/watch?v=gls3pO-94b4 wird dargestellt, wie die Einführung des ESM die Demokratie aushöhlt.
Ich würde Sie bitten zu den einzelnen Vorwürfen der Entdemokratisierung Stellung zu nehmen.
Insbesondere würde mich interessieren:
1. Daher das Leitungsgremium volle Gewalt hätte und juristisch immun wäre: Wie ist garantiert, dass diese Personen sich nicht einfach absprechen und dann die Milliarden in ihre Taschen stecken?
2. Wie könnte der ESM von den Bürgern gewählten Instanz (Bundestag, EU Parlament) wieder aufgelöst werden?
Vielen Dank im Vorraus!
Mit freundlichen Grüßen
Florian Rickert
Sehr geehrter Herr Rickert,
der von Ihnen verlinkte Film ist eine grobe Fehldarstellung des ESM-Vertrages. Über Inhalt und Zielsetzungen des Vertrages wird ein eindeutig wahrheitswidriger Eindruck vermittelt.
Solche Schauermärchen von der angeblichen ‚Narrenfreiheit‘ und Unkontrollierbarkeit des ESM unterlaufen das fachliche Niveau, das zur sachgerechten Interpretation von komplizierten Rechtsdokumenten vorauszusetzen wäre. Etwa die Immunität der ESM-Mitarbeiter (Art. 30) und die Integrität der amtlichen Räume und Ausstattung (Art. 27) gelten natürlich nur im Rahmen der rechtmäßigen Aufgabenerfüllung und können vom Gouverneursrat – der Konferenz der Finanzminister – jederzeit aufgehoben werden (Art. 5). Vergleichbar sind diese Regeln mit der Immunität für Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die sich seit Geltung des Grundgesetzes praktisch bewährt hat (und selbstverständlich nicht unbeschränkt gilt.)
Der ESM-Vertrag geht von der Voraussetzung aus, dass Solidarität nur bei entsprechender fiskalpolitischer Solidität (Sparsamkeit und Schuldenreduzierung) gewährt werden kann. Leistungen des ESM dürfen daher auch nur von Staaten beansprucht werden, die die Vorgaben des Fiskal-Vertrages umsetzen.
Es ist in keiner Weise so, dass wir mit dem ESM unsere Verpflichtung für einen verantwortungsvollen Umgang mit deutschen Steuergeldern aus der Hand geben. Der Deutsche Bundestag muss nicht nur den ESM-Vertrag durch ein Zustimmungsgesetz ratifizieren und den deutschen Beitrag zum Stammkapital des ESM genehmigen. Der Deutsche Bundestag oder seine Gremien werden auch danach bei allen Entscheidungen einbezogen, wenn dies die Haushalts¬verantwortung des Deutschen Bundestages erfordert. Dies gilt insbesondere für die Ent¬scheidungen, einem in Not geratenen Euro-Mitgliedstaat eine Finanzhilfe zu gewähren. Die konkreten Beteiligungsrechte werden in einem Gesetz zur Umsetzung des ESM-Vertrags geregelt, das derzeit vorbereitet wird.
Ein völkerrechtlicher Vertrag kann natürlich jederzeit wieder geändert werden, allerdings nur, wenn alle Vertragspartner sich darüber einig sind. Eine einseitige Aufkündigung wäre theoretisch auch denkbar, dies würde jedoch den internationalen Ruf als verlässlicher Vertragspartner erheblich schädigen. Der Terminus ‚unwiderrufliche Verpflichtung‘ soll die Entschlossenheit signalisieren, mit der die Vertragspartner den ESM unterstützen. Schließlich muss der ESM an den internationalen Finanzmärkten Anerkennung finden als zuverlässiger Anleihen-Emittent, um das Vertrauen der Anleger zu stärken in die Bonität der staatlichen Anleihe-Schuldner. Somit dient die vertragliche Bindung dem Eigeninteresse aller Euro-Partner, die den gemeinsamen Währungsraum
- kurzfristig mit der Möglichkeit staatlich garantierter Hilfskredite an schwache Mitgliedsstaaten stabilisieren
- und mittelfristig auf dem Weg vieler unbequemer Reformschritte zu größerer Wettbewerbsfähigkeit und fiskalischer Solidität führen müssen.
Eine kritische (seriöse) Auseinandersetzung mit dem ESM-Konzept finden Sie hier:
http://www.ecpol.vwl.uni-muenchen.de/downloads/publis/prof_haufler/esm_ifoschnell2011.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Uhl