Frage an Hans-Peter Uhl von Carsten H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dr. Hans-Peter Uhl,
unser Gesundheitssystem leidet seit vielen Jahren an mangelnden Einnahmen oder zu hohen Ausgaben. Seit vielen Jahren wird mehr oder weniger erfolgreich an der Ausgabenseite herum experimentiert. Aber der durchschlagende Erfolg ist für mich nicht erkennbar.
Die einzige Veränderung in Sachen Einnahmen in den ganzen Jahren war die Änderung der Beitragssätze. Und auch die nur mit eher durchschnittlichen Ergebnissen.
Was ich an dem System nicht verstehe. Das System der Krankenversicherung soll doch eine Solidargemeinschaft sein. Alle zahlen nach ihren individuellen Möglichkeiten ein und wer Hilfe braucht bekommt sie aus dem großen Topf. Doch unser Gesundheitssystem ist nicht so aufgebaut. Es gibt eine reihe von Personenkreisen die sich diesem System entziehen können und damit zu guter Letzt dem System im ganzen Schaden.
Da sind die Selbstständigen, die nicht in die gesetzlichen Krankenkassen zahlen müssen.
Da sind die Menschen mit hohen Einkommen, die nicht in die gesetzlichen Krankenkassen zahlen müssen.
Ein großer Teil dieser Personen sind gern gesehene Kunden bei privaten Krankenkassen. Und das aus gutem Grund. Man muss kein Statistiker sein um zu erkennen das diese Menschen wohl statistisch weniger Kosten verursachen als es die Gruppe der gesetzlich Versicherten. Denn sonst wären die privaten Krankenversicherungen mit ihren günstigen Beiträgen schon Pleite. Der Grund liegt vermutlich auch im Berufsbild der Personen mit hohen Einkommen und auch in der Motivation, auch krank zur Arbeit zu gehen, bei den Selbstständigen.
Ich könnte mir vorstellen das es der gesetzlichen Krankenversicherung viel besser gehen würde, wenn alle Personen unabhängig vom Einkommen oder anderen Merkmalen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in dieses System einzahlen würden. Freiwillige Zusatzversicherungen stehen ja jedem offen.
Könnten Sie sich ein solches System für die Zukunft vorstellen?
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
was Sie andeuten ist sinngemäß das, was SPD und Grüne seit Jahren als „Bürgerversicherung“ anpreisen. Ich bin gegenüber diesen Überlegungen sehr skeptisch, und zwar aus einer Reihe von Gründen:
1. Bei der Einführung der „Bürgerversicherung“ wären auch die krankenversicherungsrechtlichen Sondersysteme am Ende, die mit guten Gründen auf die besondere Arbeits- und Lebenssituation ihrer jeweiligen Mitglieder zugeschnitten sind (z.B. landwirtschaftliche Krankenversicherung und Künstlersozialversicherung).
2. Millionen Versicherte müssten in der „Bürgerversicherung“ Beiträge auf Zinsen und andere Kapitaleinkünfte zahlen. Um diese Einkünfte lückenlos zu erfassen, wäre ein gigantischer Verwaltungs- und Kontrollaufwand nötig. Es würde neue Datenströme und große Probleme mit dem Datenschutz geben, weil die Krankenkassen die erforderlichen Daten für jeden einzelnen Versicherten bei den Finanzämtern anfordern müssten.
3. Wir würden also bei den Krankenkassen mit großem Aufwand ein zweites Einkommensteuersystem errichten, dessen Verwaltungskosten zumindest einen bedeutenden Teil der zusätzlichen Einnahmen wieder auffressen würden. Ein vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen im Auftrag der Grünen erstelltes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Einbeziehung aller Einkommensarten lediglich zu einer Beitragssenkung von 0,4 Beitragssatzpunkten führen würde. Der Effekt ist daher im Verhältnis zum erforderlichen Erfassungsaufwand als marginal zu bezeichnen.
4. Mit der „Bürgerversicherung“ bliebe es dabei, dass die Gesundheitskosten weit überwiegend aus Löhnen und Gehältern finanziert werden. An jeder Lohn- und Rentenerhöhung würden die Krankenkassen automatisch mitverdienen. Eine Entkoppelung der Krankenkassen-Beiträge von den Arbeitskosten wäre nicht in Sicht. Damit leistet die Bürgerversicherung keinen Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (und der Schwarzarbeit).
5. Entgegen allen Versprechungen fände in der „Bürgerversicherung“ keine Gleichbehandlung der verschiedenen Einkommensarten statt. Die Einnahmen von Selbständigen werden um bestimmte Ausgaben verringert, während Arbeitnehmer kaum Werbungskosten und andere Belastungen abziehen können. Völlig unklar bleibt beispielsweise, wie private Lebensversicherungen und Riester-Renten behandelt werden. Vollständig erfasst und mit Beiträgen belegt würden in der „Bürgerversicherung“ also auch weiterhin nur Löhne, Gehälter und Renten. Belastet würden vor allem die Bezieher mittlerer Einkommen, z.B. Facharbeiter mit einem bescheidenen Vermögen, die auch noch für ihre Zinseinkünfte zur Kasse gebeten würden.
6. Ohne die von den Privatversicherungen erbrachten höheren Vergütungen wären viele Ärzte oder Kliniken weniger in der Lage, teure Geräte und Infrastruktur zu finanzieren, von denen auch die gesetzlich Versicherten profitieren. Zudem gibt es ja auch erhebliche Steuerzuschüsse für die GKV (künftig etwa der Sozialausgleich für Menschen, welche keine Zusatzbeiträge bezahlen können). Und eine Steuerfinanzierung geht ja auf die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aller Bürgerinnen und Bürger zurück und stellt somit immer eine solidarische Umverteilung dar. Im Übrigen gehören der PKV durchaus nicht überwiegend Großverdiener an, sondern auch viele Selbständige mit Normalverdiener-Einkommen.
Warum also ein funktionierendes System ändern, wenn damit unabsehbare Zielkonflikte und neue Probleme verbunden wären? Belassen wir es doch bei dem freiheitlichen System, das wir haben, und vermeiden neue staatliche Zwänge.
Mit freundlichen Grüßen
Uhl