Frage an Hans-Peter Uhl von Swantje B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Uhl!
Sind Ihre Entscheidungen in den Bundestagsabstimmungen in jedem Fall Gewissensentscheidungen? Wenn nicht, inwiefern sind sie von Ihrer Parteizugehörigkeit beeinflusst? Ich bitte Sie herzlich um eine ehrliche Antwort.
Mit freundlichen Grüßen, Swantje Bastin
Sehr geehrte Frau Bastin,
die meisten politischen Entscheidungen, an denen ich als Bundestagsabgeordneter beteiligt bin, würde ich als „pragmatisch-kontingent“ bezeichnen: Das heißt, es gibt gute Gründe dafür, eine bestimmte Regel aufzustellen und zugleich gute Gründe, die Regel anders zu gestalten bzw. eine andere Regel aufzustellen. Wir können also nicht wissen, ob eine bestimmte Regel „objektiv“ richtig ist. Wir müssen trotzdem abwägen und entscheiden.
In der Gesamtabwägung kommen wir Abgeordnete dann nach Beratung in der Fraktion (z.B. der Abgeordnete Uhl in der CDU/CSU-Fraktion) zu einem Entschluss: Wir machen es so (oder nicht so) und stimmen entsprechend für oder gegen eine bestimmte Entscheidungsvorlage bzw. Initiative. Dabei handeln wir natürlich nicht unfehlbar sondern können uns auch irren, weil wir niemals mit Sicherheit vorhersagen können, welche Auswirkungen eine bestimmte Regelung bzw. Gesetzesänderung in der Lebenswirklichkeit haben wird. Häufig stellen wir nach einigen Jahren fest, dass ein vielleicht gut gemeintes Gesetz in der Praxis teilweise unvorhergesehene Negativfolgen entwickelt hat. Dann müssen wir entsprechend nachbessern und umsteuern.
Dabei darf man sich die Sache nicht so vorstellen, dass ein fertiger Gesetzentwurf sozusagen vom Himmel fällt und die Abgeordneten nur noch überlegen müssen, ob sie dafür oder dagegen sind. Sondern der Gesetzentwurf kommt entweder aus der Mitte des Parlaments oder er wird im Wechselspiel von Ministerien und Abgeordneten entwickelt. Und zwar ist die Gesetzgebung ein lernendes Verfahren: Einzelne Abgeordnete haben eine bestimmte Regelungsidee und werben in ihren Fraktionen um eine Mehrheit dafür. Wenn die Fraktion die Idee aufgreift und (in geänderter Form) beschließt, muss sie sich um eine Mehrheit im Bundestag bemühen. Regierungsfraktionen (zur Zeit: CDU/CSU und FDP) müssen sich untereinander einigen, weil sie nur gemeinsam eine Mehrheit haben. Oppositionsfraktionen finden in der Regel keine Mehrheit. Es kommt aber durchaus vor, dass Regierungsfraktionen Argumente und Ideen aus der Opposition teilweise aufgreifen und in ihren eigenen Entwürfen berücksichtigen.
Häufig ist es am Ende so, dass das Ergebnis (ein fertiger Gesetzentwurf ) mir persönlich nicht zu 100% gefällt. Schließlich muss in langen und komplizierten Beratungen jeder Kompromisse machen. Aber ich habe im Vornhinein immer Gelegenheit, mich mit meinen Gedanken und Argumenten an der Diskussion zu beteiligen. Am Ende akzeptiere ich meistens das gemeinsam erzielte Ergebnis. Fast immer stimme ich zum Schluss mit meiner Fraktion (CDU/CSU) bzw. mit meiner Regierungskoalition (CDU/CSU/FDP) ab. Alles andere wäre unvernünftig. Wenn jeder Abgeordnete ständig eine Extratour fahren würde, wäre keine Regierungskoalition jemals handlungsfähig.
Natürlich kann ich nur Entscheidungsvorlagen zustimmen, die mit meinem Gewissen vereinbar sind. Wenn (rein theoretisch) meine Fraktion von mir z.B. verlangen würde, ich solle meine Hand heben für eine Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln oder für eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe, würde ich niemals zustimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Uhl