Frage an Hans-Peter Uhl von Werner B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr.Uhl,
im Grundgesetzt steht festgeschrieben ...alle Macht geht vom Volke aus...
Weshalb kann dann das Volk nicht den Bundeskanzler/in wählen?
Weshalb stellen die Parteien die Kandidaten zur Wahl auf, ohne dass das Volk darauf Einfluss nehmen kann?
Somit geht alle Macht eben nicht vom Volke aus, oder?
Werner Bernhard
Sehr geehrter Herr Bernhard,
unser politisches System ist eine parlamentarische Mehrheitsdemokratie. Das heißt, das Volk wählt Parteien in den Deutschen Bundestag. Dort muss sich eine Koalition zusammenfinden, die mit ihrer Mehrheit den Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin wählt. Dies ist eine Grundsatzentscheidung unserer Verfassungsväter. Vorteil: Die Bundesregierung ist politisch handlungsfähig, weil sie im Deutschen Bundestag von Haus aus immer eine Mehrheit haben muss. Dies wäre nicht unbedingt der Fall, wenn Bundestag und Bundesregierung getrennt gewählt werden würden. Gegenseitige Blockaden wären die Folge. Diese schlechten Erfahrungen hatten wir mit der Weimarer Republik (1919-1933) gemacht.
Deshalb geht die Macht gleichwohl vom Volke aus. Art. 20 und 21 GG stehen in einem inneren Zusammenhang. Ich zitiere aus dem Grundgesetz-Kommentar zu Art. 21 GG (Maunz/Dürig, 53. Auflage 2009):
>>> Denjenigen Organisationen, die die Wahlen vorbereiten, vor allem indem sie politische Programme formulieren, Kandidaten für die durch die Wahlen zu vergebenden Ämter vorschlagen und dadurch erst die Voraussetzungen für die Auswahlentscheidung der Wähler schaffen, also den Parteien, fällt daher unausweichlich eine Schlüsselfunktion zu. Diese Schlüsselfunktion der Parteien als Bindeglied zwischen Volk und Staatsorganen hebt sie aus dem Kreis aller anderen am Prozeß der politischen Willensbildung Beteiligten hervor. Wie diese wurzeln sie in der Gesellschaft, ihr Ziel jedoch ist der bestimmende Einfluß auf das staatliche Ämtersystem. [...] Parteien - und nur sie - haben Funktionen sowohl im gesellschaftlichen wie im gouvernementalen Bereich. Sie bilden nicht nur die Brücke zwischen Volk und Staat, sie gehen auch selbst über diese Brücke und überschreiten damit die Schwelle zum Staat. Die „amorphe Masse“ des Volkes ist als solche nicht handlungsfähig. Sie bedarf, um ihre organschaftliche Rolle im demokratische Legitimation vermittelnden Verfahren der Wahl wirksam wahrnehmen zu können, der Parteien als derjenigen Organisationen, die im Vorfeld der Wahl den politischen Willensbildungsprozeß auf die Wahl hin strukturieren, indem sie die Vielzahl der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Interessen zu unterscheidbaren Alternativen zusammenfassen und bündeln und im nächsten Schritt Persönlichkeiten, die für diese Inhalte stehen, als Kandidaten für die Wahl präsentieren. [...] [7.] Diese von Kurt Eichenberger so bezeichnete „demokratische Austauschfunktion“ der Parteien erklärt und ihretwegen ist es gerechtfertigt, daß Art. 21 sie in den Rang einer „verfassungsrechtlichen Institution“ erhoben und als „Faktoren des Verfassungslebens“ anerkannt hat. [...] Art. 21 Abs. 1 S. 1 steht in einer nicht zuletzt durch die räumliche Nähe beider Vorschriften verdeutlichten engen (wenn man will: dienenden) Beziehung zu der Staatsfundamentalnorm des Art. 20 Abs. 2 GG: Die danach gebotene demokratische Legitimation aller staatlichen Gewalt durch allgemeine Volkswahl erfordert auch, daß die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen und fällen können, was wiederum in der modernen parlamentarischen Demokratie ohne Parteien nicht möglich ist. Art. 21 Abs. 1 S. 1 ist eine notwendige Ergänzung des Art. 20 GG. Die repräsentative Demokratie des Grundgesetzes ist mithin von Verfassungs wegen Parteiendemokratie. <<<
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Uhl