Frage an Hans-Peter Friedrich von Reiner N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
"Deutschland ist eines der beliebtesten Länder der Welt", sagten sie in der "Rheinischen Post". "Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses positive Bild zerstört wird. Neonazis schaden unserem Vaterland." Da gebe ich ihnen im vollen Umfang recht. Ich verfolge allerdings nun schon seit einiger Zeit mit großer Sorge den Zuzug von Migranten aus Osteuropa. Glauben sie das es nur Neonazis sind die gegen einen derartigen massiven Zuzug sind ? Ist es ihrer Meinung vertretbar das so viele Menschen in unser Sozialsystem drängen und Sozialleistungen bekommen von dem sozialen Pulverfass ganz zu schweigen ? Wie möchte die Politik diese Situation in den Griff bekommen ? Gibt es schon Pläne ihrerseits ? Wäre es nicht geschickter die Lebensqualität dieser Menschen in ihrem Heimatland zu verbessern damit sie nicht ihr Land verlassen müssen ? Was halten sie von Volksabstimmungen wie z.B. in der Schweiz zu solchen Themen ? Meine Fragen haben keinen Fremdenfeindlichen Hintergrund sondern drücken nur meine Befürchtungen für unsere Zukunft und die unserer Kinder in diesem Land aus.
Mit freundlichen Grüßen
R. Necke
Sehr geehrter Herr Necke,
zu Beginn meiner Antwort darf ich das von Ihnen angesprochene
Wanderungsgeschehen kurz in den Zusammenhang der gesamten Zu- und Abwanderung nach und aus Deutschland, vor allem aus europäischen Staaten und dorthin zurück stellen.
Insgesamt gab es in Deutschland im Jahre 2011 (Berichtszeitraum entspricht dem des aktuell vorliegenden Migrationsberichtes 2011) ca. 840.000 Zuzüge von Ausländern, denen im gleichen Jahr rund 539.000 Fortzüge gegenüberstanden, was einen positiven Wanderungssaldo von über 300.000 Personen ergibt. Im selben Jahr zogen etwa drei Viertel aller zuwandernden Personen (75,8 %) aus einem anderen europäischen Staat (EU sowie europäische Drittstaaten, inkl. Russische Föderation und Türkei) nach Deutschland.
Beim Zuzug von Migranten aus Osteuropa ist zwischen der Zuwanderung aus EU-Mitgliedstaaten (EU-Binnenwanderung) und aus Drittstaaten (von außerhalb der EU) zu unterscheiden.
Als osteuropäische Drittstaaten, deren Staatsangehörige in relativ großer Zahl in Deutschland zuzogen, sind - ebenfalls für das Jahr 2011) die Russische Föderation (gut 16.000 Zuzüge, knapp 10.000 Fortzüge, Wanderungssaldo demnach mehr als 6.000 Personen), die Ukraine (per Saldo mehr als 3.000) und Kasachstan (per Saldo gut 600). Prozentual im Verhältnis zu allen ausländischen Zuzügen sind das 2,0 % (Russische Föderation), 0,8 % (Ukraine) und 0,2 % (Kasachstan).
Aus den alten Staaten der Europäischen Union (EU-14) kamen 19,4 % und aus den zwölf neuen EU-Staaten (EU-12) 42,7 %. Damit liegt der Anteil der Zuzüge aus den EU-Staaten bei 62,1 % aller Zuzüge. Dabei ist insbesondere der Anteil aus den EU-2-Staaten (Bulgarien und Rumänien) seit dem Beitritt im Jahr 2007 kontinuierlich angestiegen.
Und nun zu Ihren konkreten Fragen:
Was den steigenden Zuzug aus anderen EU-Mitgliedstaaten angeht, so will ich sehr deutlich darauf hinweisen, dass ich mich uneingeschränkt zum gemeinsamen europäischen Freizügigkeitsrechts als einer der großen Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses bekenne. Der Mehrzahl der Menschen aus anderen EU-Staaten kommt zu uns, um hier eine Beschäftigung aufzunehmen, ein Unternehmen zu gründen oder eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen. Diese EU-Bürger werden uns immer willkommen sein. Deutschland profitiert von dieser Art von Zuwanderung.
Auf der anderen Seite dürfen wir die Augen nicht vor den gravierenden Problemen verschließen, die es in verschiedenen deutschen Kommunen und Städten mit einer wachsenden Zahl von Zuwanderern vor allem aus den neuen EU-Mitgliedstaaten gibt. Es ist nicht hinzunehmen, wenn diese Art des Zuzugs unsere Sozialsysteme über Gebühr belastet.
Aus diesem Grund hat sich der Rat der Innen- und Justizminister bei seiner zurückliegenden Sitzung auf meine Initiative gemeinsam mit den zuständigen Kollegen aus Österreich, den Niederlanden, Großbritanniens mit den Folgen der Armutsmigration sowie mit der Bekämpfung des Missbrauchs des EU-Freizügigkeitsrechts beschäftigt. Zugleich hat der Rat die Kommission auf Initiative von Deutschland aufgefordert, bis zu den Sitzungen im Oktober bzw. Dezember dieses Jahres Berichte dazu vorzulegen, um dann über das weitere Vorgehen zu beraten.
Aus meiner Sicht muss in diesen Berichten vor allem klargestellt werden, wie wir den Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts konsequent bekämpfen und Personen, die des Missbrauchs überführt sind, auch dauerhaft außer Landes halten können. Hier müssen wir zu einer Verständigung auf europäischer Ebene kommen.
Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, dass eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern mittel- und langfristig das wichtigste Mittel ist, um Migrationsdruck abzubauen und die Betroffenen davon abzuhalten, ihre Heimatländer zu verlassen. Die Bundesregierung ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestrebt, bilateral wie auch auf europäischer Ebene dazu beizutragen, dass sich die Lebensverhältnisse vor Ort verbessern und die betroffenen Unionsbürger in ihren Heimatländern bessere wirtschaftliche und soziale Perspektiven bekommen. In erster Linie liegt es allerdings in der Verantwortung der Herkunftsmitgliedstaaten selbst, die Lebensverhältnisse im Land zu verbessern.
Für diese Zwecke standen und stehen auf europäischer Ebene auch erhebliche Mittel zur Verfügung. Es hat sich allerdings gezeigt, dass diese Gelder erst zu einem Bruchteil abgerufen worden sind. Daher habe ich die Europäische Kommission bei der zurückliegenden Sitzung des Rates der Innen- und Justizminister gemeinsam mit meinen Kollegen aus Österreich, den Niederlanden und Großbritannien nachdrücklich aufgefordert, den Abruf der vorhandenen Gelder effektiver zu unterstützen, um zu einer durchgreifenden Verbesserung der Lebensverhältnisse vor Ort beizutragen.
Schließlich noch einige Worte zu Volksabstimmungen zu diesen Themen wie in der Schweiz: Zunächst haben Volksinitiativen in der Schweiz einen anderen verfassungsrechtlichen Stellenwert und eine andere Tradition, während die Väter und Mütter des Grundgesetzes Elementen der direkten Demokratie aus guten Gründen sehr zurückhaltend gegenüber standen.
Zudem ist die Frage berechtigt, ob die Schweiz mit Volksabstimmungen zu solchen Fragen nur gute Erfahrungen gemacht hat. Dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit: Aktuell ist es das Ziel der Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“, die Zuwanderung in die Schweiz - auch und vor allem aus europäischen Nachbarstaaten - dauerhaft durch Quotierungen zu begrenzen. Da eine solche Initiative im Ergebnis aller Voraussicht nach gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU verstoßen würde und vor allem der Wirtschaft in der Schweiz selbst schweren Schaden zufügen würde, wird sie sowohl vom Schweizerischen Bundesrat als auch von Wirtschaftsverbänden in der Schweiz einhellig abgelehnt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Friedrich MdB
Bundesminister des Innern