Frage an Hans-Peter Friedrich von Renate U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Friedrich,
ich nehme Bezug auf ihre Antwort an Herrn Daniell Pfeiffer zum Thema Einwanderung.
Sie haben Herrn P. geantwortet, dass "Wir wollen aber die Fälle wirkungsvoll sanktionieren können, in denen EU-Bürger unter Missbrauch des Freizügigkeitsrechts nach Deutschland einreisen, nur um hier Sozialleistungen zu kassieren."
Darf ich sie darum bitten, zu erläutern,
1/ wie sie den Nachweis führen wollen, dass jemand mit der Absicht nach Deutschland kommt, Sozialleistungen zu beantragen.
2/ Inwieweit das Beantragen von Sozialleistungen ein irgendwie geartetes Vergehen darstellt. Das Recht auf Sozialleistungen ist in Deutschland verbrieft. Ein Antrag darauf ist daher legal.
3/ Warum sie das negativ konnotierte Wort "kassieren" benutzen.
Mit freundlichen Grüssen,
Renate Utzschmid
Sehr geehrte Frau Utzschmid,
vielen Dank für Ihre Fragen, mit denen Sie auf meine Antwort zur Anfrage von H. P. auf Abgeordnetenwatch Bezug nehmen. Ihre Nachfragen beziehen sich insbesondere auf die Beantragung von Sozialleistungen durch Unionsbürger in Deutschland und damit auf die Bereiche von Freizügigkeits- sowie Sozialrecht.
Die Ausübung des europäischen Freizügigkeitsrechts ist nicht voraussetzungslos. Dieses Recht besteht gemäß Artikel 21 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union vielmehr vorbehaltlich der in den Verträgen und Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Diese sind insbesondere in der EU-Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG niedergelegt, die in Deutschland durch das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) umgesetzt wird.
Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG haben Unionsbürger so lange ein Freizügigkeitsrecht, wie sie die Bedingungen aus Artikel 7 der Richtlinie erfüllen, also Arbeitnehmer oder Selbständige im Aufnahmemitgliedstaat sind oder als Nichterwerbstätige für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen.
Eine Beantragung von Sozialleistungen durch Unionsbürger stellt für sich genommen - wie in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht - grundsätzlich kein Vergehen dar. Die Beantragung von Sozialleistungen kann aber u.U. aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben: Nach § 5 Absatz 3 FreizügG/EU kann der Fortbestand der Voraussetzungen für die rechtmäßige Ausübung des Freizügigkeitsrechts aus besonderem Anlass überprüft werden. Ein solcher Anlass kann die Beantragung von Sozialleistungen sein (Nr. 5.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU).
Liegen die Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nicht oder nicht mehr vor oder hat ein Unionsbürger durch Vorspiegelung falscher Tatsachen über das Vorliegen einer Voraussetzung für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts getäuscht, kann die zuständige Behörde auf der Grundlage von § 5 Absatz 4 oder § 2 Absatz 7 FreizügG/EU das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts feststellen.
Es ist auch keineswegs so, dass Unionsbürger - anders als durch Ihre Frage nahe gelegt - in jedem Fall berechtigt Sozialleistungen beantragen können: So sind Unionsbürger, die sich in Deutschland allein zur Arbeitssuche aufhalten, gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen.
Weiter sind gemäß § 23 Absatz 3 SGB XII Unionsbürger von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen, die eingereist sind, um hier Sozialhilfe zu erlangen. Entscheidend ist insofern, worin das prägende Motiv ihrer Einreise bestand. Eine entsprechende Prüfung fällt dann in die Zuständigkeit der jeweiligen Leistungsbehörde.
Besteht der Zweck der Einreise erkennbar nur darin, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, so ist dies mit dem - wie Sie mit Recht anmerken - negativ konnotierten Wort „kassieren“ aus meiner Sicht angemessen beschrieben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Friedrich MdB