Frage an Hans-Peter Friedrich von Claudiac J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Friedrich,
In der Zeit Online ( http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/10/10/sitzblockade-gegen-naziaufmarsch-linkspolitiker-steht-vor-gericht_10213 ) finde ich den Satz: “Politiker aller Parteien rufen immer gerne zu Zivilcourage gegen rechts auf, wenn man das umsetzt, steht man aber ganz schnell vor Gericht.” Der Artikel bezieht sich auf die derzeit laufende juristische Aufarbeitung einer Sitzblockade von 12.000 Menschen am 13.Februar 2010, dem 65. Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden, gegen eine Neo-Nazi-Demonstration, die zu diesem Datum alljährlich stattfindet. Angeklagt ist einer der Organisatoren der Gegendemonstration.
An welche Form der Zivilcourage denken eigentlich Politiker, denken Sie z.B., wie das Deutsche Volk sich gegen rechts wehren soll? Und das besonders vor dem Hintergrund der NSU-Skandale, wo doch alle dafür zuständigen staatlichen Institutionen kläglich versagt haben und noch weiter versagen? Wenn Zivilcourage vor Gericht endet, auf welcher Seite steht dann eigentlich die deutsche Justiz? Ist Einschüchterung der Bevölkerung die neue Antwort auf Zivilcourage? Waren die 12.000 Nazigegner der Gegendemonstration kriminell (--> Geldstrafe oder 2 Jahre Gefängnis!) Muß ich künftig nicht nur Angst vor der Gewalt durch Neonazis, sondern auch vor der deutschen Justiz haben, wenn ich Zivilcourage gegen rechts zeige und am 13.02.2013 an der Demonstration in Dresden teilnehme?
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Jurjanz
Sehr geehrte Frau Jurjanz,
Vielen Dank für Ihr Schreiben an Herrn Bundesminister Dr. Friedrich.
Gegenstand Ihrer Anfrage ist ein laufendes Gerichtsverfahren der sächsischen Justiz im Zusammenhang mit der Blockade eines Neonazi-Aufmarsches am 13. Februar 2010 in Dresden. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass sich Herr Dr. Friedrich zu einem laufenden Gerichtsverfahren nicht äußern kann.
Generell gilt für versammlungsrechtliche Fragen, dass die Föderalismusreform, die am 1. September 2006 in Kraft trat, eine umfangreiche Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen mit sich brachte, darunter durch Neufassung des Artikel 74 Absatz 1 GG auch eine Verlagerung des Versammlungsrechts in die Kompetenz der Länder. Damit fällt auch die Auslegung und Anwendung des Versammlungsgesetzes in die Zuständigkeit der Länder. Mit der Föderalismusreform wurde gleichzeitig als Übergangsvorschrift ein neuer Artikel 125a Absatz 1 GG erlassen, wonach Bundesrecht, das auf Grundlage einer abgeschafften Bundeskompetenz erlassen worden war, grundsätzlich weiterhin gilt, von den Ländern aber durch Landesrecht ersetzt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat u.a. das Land Sachsen Gebrauch gemacht.
Dies vorausgeschickt, drückt sich für Herrn Dr. Friedrich in Zivilcourage sozialer Mut aus, mit dem mündige Bürger trotz drohender Nachteile für die eigene Person für wichtige Werte und Normen eintreten. Dies ist vorbildhaft und selbstverständlich zu unterstützen. Ebenso selbstverständlich ist allerdings, dass Zivilcourage Grenzen gesetzt sind. Soweit sich Zivilcourage in Gegendemonstrationen ausdrückt, muss diese auch die verfassungsmäßigen Rechte der Demonstranten gegen die bzw. gegen deren politische Botschaften protestiert wird, akzeptieren, soweit diese Demonstration in den genehmigten und zulässigen Grenzen verläuft. Der Schutz genehmigter/zulässiger Demonstrationen schützt das Versammlungsrecht und damit auch genehmigte/zulässige Gegendemonstrationen. Inwieweit diese Voraussetzungen bei einer konkreten Demonstration und der dagegen auftretenden Gegendemonstration erfüllt sind, kann nur nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden.
Mit freundlichen Grüßen
i. A. Kathrin Haße
Wissenschaftliche Mitarbeiterin