Portrait von Hans-Peter Friedrich
Hans-Peter Friedrich
CSU
20 %
/ 15 Fragen beantwortet
Frage von Lea B. •

Frage an Hans-Peter Friedrich von Lea B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Friedrich,

viel Kritik auch aus Ihrer eigenen Partei hat die Plakataktion "Vermisst" hervorgerufen, die Fotos von jungen Muslimen darstellt, um so vor Islamismus und Radikalisierung zu warnen. Doch auch wenn Sie die Plakataktion deshalb Ende September auf unbestimmte Zeit ausgesetzt haben, so ist die Werbekampagne für die Beratungsstelle Radikalisierung doch angelaufen. So werben Sie im Internet, verteilen Postkarten und sonstige Marterialien.

Bitte erklären Sie mir, warum Sie die missglückte Kampagne gegen den Willen Ihrer eigenen Parteifreunde sowie gegen großen Protest aus den sonstigen Parteien und der Bevölkerung fortsetzen.

Was versprechen Sie sich von der Kampagne?

Was haben Sie der Kritik entgegenzusetzen, dass Sie durch die Darstellung freundlich aussehender junger Muslime im Zusammenhang mit einer Kampagne gegen Radikalisierung suggerieren, dass jeder Muslim ein potentieller Fundamentalist ist?

Glauben Sie nicht, dass Sie damit eine Islamangst schüren und Gesellschaft entzweien, wo eigentlich ein Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden sollte?

Wie waren die Plakate "eigentlich" gemeint?

Wie kann es passieren, dass vor dem Hintergrund all dieser Kritik eine solche Kampagne dennoch anläuft, und, wie die Süddeutsche Zeitung am 30.9. berichtet, dabei derartige Postkarten ausgerechnet an einem Kölner Tatort der NSU- Attentate verteilt werden?

Ich bedanke mich für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
Lea B. aus Berlin

Portrait von Hans-Peter Friedrich
Antwort von
CSU

Sehr geehrte Frau Böckmann,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 17. Oktober 2012 und Ihr Interesse an der Öffentlichkeitskampagne zur Bekanntmachung der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angesiedelten Beratungsstelle Radikalisierung.

Ihre Sorge, dass die Kampagne eine Islamangst schüre und die Gesellschaft entzwei, nehme ich sehr ernst, vermag sie aber nicht zu teilen. Leider wird das Motiv der Kampagne aus meiner Sicht sehr stark verkürzt diskutiert. Es wird darauf reduziert, dass Muslime abgebildet sind und im Text das Problem der Radikalisierung angesprochen wird. Ziel der Kampagne ist es jedoch, auf das Angebot der Beratungsstelle Radikalisierung beim BAMF hinzuweisen und Betroffene dazu zu motivieren, das Hilfsangebot zu nutzen.

Bei der Beratungsstelle Radikalisierung handelt es sich um eine erste Anlaufstelle für Angehörige und das soziale Umfeld sich radikalisierender Muslime. Die Mitarbeiter des BAMF beantworten häufige Fragen und halten weitere Informationsangebote zum Thema Islamismus und Radikalisierung bereit. Darüber hinaus stehen in Kooperation mit dem BAMF erfahrene zivilgesellschaftliche Partner mit speziell entwickelten Hilfsangeboten für eine persönliche Beratung und Betreuung vor Ort zur Verfügung.

Wir haben uns im Vorfeld - auch und gerade unter Einbeziehung des Sachverstandes der muslimischen Verbände sowie der zivilgesellschaftlichen Partner - intensiv mit der Motivauswahl beschäftigt. Die Kampagne soll eine breite Zielgruppe - das persönliche Umfeld von Menschen, die von Radikalisierung bedroht sind - erreichen.

Die Optik als Vermisstenanzeige spricht die Zielgruppe in ihrem persönlichen Bedürfnis an, keinen Angehörigen oder Freund durch das Abgleiten in Extremismus zu verlieren. Bewusst wird die menschliche Dimension, der schmerzhafte Verlust eines Sohnes oder Bruders thematisiert, die sich durch Einflüsse von radikalen Salafisten von ihrem Umfeld so entfernt haben, dass sie nicht wiederzuerkennen sind. Der Text greift auf, wie Angehörige ihre Situation gegenüber dem Bundesinnenministerium, den Angehörigen der Sicherheitsbehörden und der Beratungsstelle geschildert haben. Durch das Wiedererkennen dessen, was sie selbst gerade erleben, sollen die Angehörigen motiviert werden, sich Rat und Hilfe zu suchen.

Die Jugendlichen selbst werden dabei nicht unter Generalverdacht gestellt. Die Schlagzeile lautet gerade nicht „Gesucht“ oder „Wanted“, sondern im Gegenteil „Vermisst“. Die Optik ist folgerichtig auch an Aufrufe zum Auffinden von vermissten Menschen angelehnt. Der Text unterstellt den abgebildeten Personen nicht, dass sie zu Gewalttätern geworden sind, sondern nimmt lediglich die Sorge von Angehörigen auf, dass dies erfolgen könnte. Die Grundhaltung der Kampagne ist empathisch, sie enthält kein kritisches Wort über die „vermissten Personen“, die freundlich und fröhlich abgebildet sind, sondern spiegelt die Empfindung ihrer Angehörigen oder Freunde wieder. Dass auch die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund von dieser Problematik betroffen ist, wird durch das Motiv „Tim“, ein Konvertit ohne Migrationshintergrund, verdeutlicht.

Aufgrund einer Gefährdungsbewertung des BKA habe ich den Start der Plakataktion Ende September ausgesetzt. Angesichts der angespannten Sicherheitslage in Teilen Nordafrikas und einigen islamisch geprägten Staaten aufgrund des Filmes „Innocence of Muslims“ sowie den Entwicklungen im Hinblick auf die in Frankreich veröffentlichten Mohammed-Karikaturen musste das berechtigte Anliegen der Plakataktion zurückstehen.

Das Bundesinnenministerium wollte jegliches Risiko für die Sicherheit deutscher Bürger im Ausland vermeiden. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass auch die Plakate für islamistische Agitationen missbraucht werden. Die übrigen Maßnahmen der Öffentlichkeitskampagne, wie Online-Werbung, Anzeigen in ausgewählten Jugendzeitschriften sowie eine Verteilung von Gratispostkarten in öffentlichen und gastronomischen Einrichtungen, wurde ansonsten planmäßig fortgesetzt.

Wie jede Öffentlichkeitskampagne konzentrierte sich diese Kampagne auf bestimmte Zielgruppen und Regionen, in diesem Fall auf Regionen, in denen eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Betroffenen vermutet wird, sodass für die Plakataktion als Pilotprojekt drei Städte und für die Verteilung der Gratispostkarten zehn Großstädte im gesamten Bundesgebiet ausgewählt wurden. Eine konkrete Festlegung der Verteilstandorte der Postkarten konnte vorab nicht erfolgen, da die Verteilung von der Zustimmung des jeweiligen Inhabers oder Geschäftsführers abhängig ist. Aufgrund der Sensibilität des Themas, wurden die Verteiler der Gratispostkarten ausführlich von der ausführenden Agentur unterrichtet. Sie sind explizit dazu angehalten worden, mit dem Ladenpersonal zu sprechen und die Karten nur mit deren Einverständnis zu platzieren. Die Besitzer der Einrichtungen in der Keupstraße in Köln haben somit ihre Zustimmung zur Auslegung der Karten erteilt. Falls möglicherweise in Einzelfällen von dieser Regelung abgewichen wurde, bedauern wir das sehr.

Dass unsere Botschaft bei den betroffenen Angehörigen, Freunden und Bekannten unabhängig von der Kritik auch tatsächlich ankommt, zeigt ein Anstieg von über 75% der Beratungsfälle seit Veröffentlichung der Kampagne beim BAMF. Hinzu kommen weitere Anfragen direkt bei den zivilgesellschaftlichen Partnern sowie die Anfragen um Übersendung von Plakaten betroffener Einrichtungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Hans-Peter Friedrich MdB
Bundesminister des Innern

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Hans-Peter Friedrich
Hans-Peter Friedrich
CSU