Frage an Hans-Peter Friedrich von Robert B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Friedrich,
ich verfolge das Tagesgeschehen in den Medien sehr gerne und beurteile die Aussagen der Politiker aller Parteien grundsätzlich kritisch. Auffällig:
Von 47% der Autobrandstifter in Berlin wurde behauptet, es seien politisch motivierte Taten Linksextremer und linksextremer Gruppen gewesen. Diese Zahl einer Statistik (Quelle:Polizei Berlin) basiert auf der Spekulation, und das nur auf Grundlage von Vermutungen; ein angezündeter Mittelklassewagen sei die Tat Linksextremer, ohne jeglichen Hinweis oder gar Beweis.
Auf dem Boden dieser Vermutungen und Thesen machte die FDP und auch die CDU in Berlin Wahlkampf.
In einem Artikel der Online-Zeitung schwaebische.de vom 13. Oktober 2011 sagten Sie im Bezug auf die Serie der Brandsätze gegen die Bahn, das wäre eine neue Dimension linksextremistischer Gewalt, außerdem sprachen Sie von den Brandstiftern, deren Brandsätze nicht dafür ausgelegt waren zu töten, Sie hätten Anschläge verübt und warnten vor Linksterrorismus.
Der Badischen Zeitung zufolge sagten Sie zum Thema "Verfassungsschutzbericht 2010", betrachte man die Straftaten, bei denen "tatsächlich Gewalt angewendet wird, stellt man fest: Sie werden mehrheitlich von Linksextremisten verübt", und übersehen dabei, dass nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität/Schwere des Verbrechens aufgewogen werden muss.
Und Frank Scheffel, der damalige Spitzenkandidat der Berliner Union, rief im Rahmen des Berliner Wahlkampfes 2001 vom Rednerpult: "Wir wollen nicht, dass Berlin eine sozialistische Stadt wird!"
Kurz vor dem 11.09.2011 warnten Sie in der Bild-Zeitung vor islamistischem Terrorismus, und behaupteten, man könnte von fast 1.000 Personen sagen, sie seien mögliche islamistische Terroristen.
Also frage ich Sie: Warum versuchen Sie und Ihre Partei so krampfhaft, den Menschen bei jeder Gelegenheit vor Linken und einer gesamten Religion Angst zu machen, während Rechte trotz V-Leuten unbehindert morden können?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Sehr geehrter Herr Bingener,
für Ihre E-Mail vom 4. Dezember 2011 über „Abgeordnetenwatch“ danke ich Ihnen. Sie thematisieren darin ein vermeintliches Übermaß bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Linksextremismus und des islamistischen Terrorismus, während die Gefahr durch den Rechtsextremismus/-terrorismus aus Ihrer Sicht unterschätzt werde.
Lassen Sie es mich eingangs nochmals klarstellen: Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung droht sowohl von Rechtsextremisten, Linksextremisten wie auch durch den internationalen Terrorismus. Dies habe ich als Bundesminister des Innern immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt und dabei nicht nur einseitig vor Linksextremisten und Islamisten gewarnt. So wird etwa im jährlichen Verfassungsschutzbericht 2010 eine nicht hinnehmbare hohe Zahl an Gewaltstraftaten im rechts- wie im linksextremistischen Spektrum verzeichnet. Spätestens seit dem 11. September 2001 steht auch die Gefahr des internationalen islamistischen Terrorismus im Mittelpunkt. Dementsprechend wachsam verfolgen die Sicherheitsbehörden des Bundes die jeweiligen Entwicklungen in allen Bereichen. Zudem sind die extremistischen Straftaten nur eine Teilmenge der politisch motivierten Kriminalität (PMK) insgesamt.
Durch die Brandanschlagsserie auf den Berliner Hauptbahnhof und die Bahnstrecken rund um Berlin im Oktober dieses Jahres wurde eine neue Dimension linker Gewalt sichtbar. Die Tatsache, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hat, zeigt, wie gravierend diese Ereignisse sind. Nicht zutreffend ist jedoch, ich oder ein Mitarbeiter meines Hauses habe in diesem Zusammenhang erklärt, es handele sich bei den Brandanschlägen auf die Bahn um linksterroristische Taten. Die Sicherheitsbehörden haben in den letzten Jahren keine linksextremistischen Strukturen feststellen können, die bereits die Existenz linksterroristischer Vereinigungen entsprechend den Voraussetzungen des Strafgesetzbuches und der dazu ergangenen Rechtsprechung nahelegen. Diese Brandanschlagsserie bestätigt aber eine seit längerem von den Sicherheitsbehörden beobachtete Entwicklung, wonach die Zahl der linken Gewalttaten seit 2005 fast jährlich steigt, ebenso wie die Zahl der von den Verfassungsschutzbehörden gezählten gewaltbereiten Linksextremisten. Seit 2005 fallen Jahr für Jahr im Bereich der politisch motivierten Kriminalität - links (PMK-links) die meisten politisch motivierten Gewalttaten an.
Im Jahr 2010 war die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus bzw. durch Islamisten in der Tat das zentrale Schwerpunktthema der Bundessicherheitsbehörden. Sie sind wiederholten Hinweise über geplante Anschläge islamistischer Terroristen in Deutschland, die sie Mitte 2010 erhielten, intensiv nachgegangen. In diesem Zusammenhang erinnere ich an den ersten vollendeten, islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland auf dem Flughafen Frankfurt a.M. am 2. März 2011, bei dem zwei US-Soldaten getötet wurden. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig klarzustellen, dass die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in keiner Weise mit einer Ablehnung oder gar Furcht vor der islamischen Religion verwechselt werden darf!
Auch der Bekämpfung des Rechtsextremismus sieht sich die Bundesregierung in Deutschland seit jeher in besonderer Weise verpflichtet. Umso mehr erschüttern die aktuell zu Tage getretenen Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle. Dass eine rechtsterroristische Gruppe existiert, Gewaltverbrechen begeht und jahrelang unentdeckt im Untergrund agiert, ist ohne Beispiel. Und dies ist besonders schmerzhaft für alle, die in diesem Land für die innere Sicherheit Verantwortung tragen, wie es mein Haus gemeinsam mit den Innenministerien der Länder tut. Bis zu den Ereignissen Anfang November hatten die Bundessicherheitsbehörden keine Erkenntnisse zur Existenz rechtsterroristischer Organisationen oder Strukturen. Allerdings hatten sie regelmäßig darauf hingewiesen worden, dass Anschläge nach dem Muster von Oslo und vergleichbar dem Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980 durch fanatisierte und irrational handelnde Einzeltäter grundsätzlich nicht prognostiziert und daher auch nicht ausgeschlossen werden können.
Die deutschen Sicherheitsbehörden unternehmen alles, die Straftaten der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ unverzüglich und vollständig aufzuklären und alle Personen, die zu dieser Gruppe gehören oder sie zumindest unterstützt haben, dingfest zu machen. Die Arbeit der Ermittler läuft seit Anfang November auf Hochtouren. Bundesweit sind derzeit über 400 Beamte des BKA und der Länder im Einsatz. Auch wenn die polizeilichen Ermittlungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen werden, habe ich bereits am 18. November 2011 einen ersten Maßnahmenkatalog vorgestellt, mit dessen Umsetzung zügig begonnen wurde, um die anhand dieser Ereignisse ersichtlichen bestehenden Defizite in der Arbeit der Sicherheitsbehörden schnellstmöglich abzustellen. Der Schwerpunkt der Maßnahmen liegt dabei auf einer künftig besseren Koordinierung der Arbeit von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden.
Extremistische Bedrohungen, ob rechte, linke und islamistische Gewalt - sind offen und mit gleicher Abscheu durch alle Teile der Gesellschaft zu ächten. Die Sicherheitsbehörden sind weder auf dem einen noch anderen Auge blind. Alle demokratischen Kräfte müssen politisch motivierte Kriminalität und Extremismus gemeinsam ablehnen und bekämpfen. Nur so kann dieses Problem langfristig gelöst werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Friedrich MdB