Frage an Hans-Peter Friedrich von Stephan F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Friedrich,
zu Ihrer Äußerung im Spiegel: "Normalerweise stehen Menschen mit ihrem Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet" habe ich eine Frage.
Ihnen ist sicherlich das Urteil des BGH zur Website "spickmich.de" bekannt, in dem der VI. Senat am 23.06.2009 (Az. VI ZR 196/08) festgestellt hat:
"Die anonyme Nutzung ist dem Internet immanent (vgl. Senatsurteil vom 27. März 2007- VI ZR 101/06 - VersR 2007, 1004, 1005). Dementsprechende Regelungen zum Schutz der Nutzerdaten gegenüber dem Diensteanbieter finden sich in den §§ 12 ff. TMG, den Nachfolgeregelungen zu § 4 Abs. 4 Nr. 10 TDG. Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, um den es im Streitfall geht, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden (vgl. Ballhausen/Roggenkamp K&R 2008, 403, 406)."
Zitat nach: http://www.telemedicus.info/urteile/816-VI-ZR-19608.html
Könnten Sie mir bitte erklären, welche neuen Erkenntnisse Ihr Ministerium gewonnen hat, die es Ihnen ermöglichen, dieses Urteil zu ignorieren und eine genau entgegengesetzte Gesetzeslage zu fordern?
Da der VI. Senat bei einer De-Anonymisierungspflicht nicht nur einen Verstoß gegen geltendes Recht sieht, sondern auch einen Konflikt mit Art. 5 GG feststellt, würde es mich doch sehr interessieren, ob Ihre Äußerungen mit Rechtsexperten Ihres Hauses abgesprochen wurden und welchen rechtlichen Ausweg diese Experten aus diesem Konflikt sehen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stephan Feinen
Sehr geehrter Herr Feinen,
Bundesinnenminister Dr. Friedrich hat mehrfach - u.a. auf dem Kirchentag in Dresden - betont, dass er keine gesetzliche Pflicht will, sich ständig und überall im Netz ausweisen zu müssen. Selbstverständlich muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, Pseudonyme zu verwenden. Gerade für Internet-Angebote der Seelsorge und Beratungsstellen ist dies unverzichtbar.
Die Frage nach der Anonymität im Internet hat jedoch viele Facetten und lässt sich nicht mit einem klaren Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß beantworten. Die jüngsten Äußerungen des Bundesinnenministers bezogen sich auf Blogs, in denen Menschen unter Pseudonymen radikale politische Ansichten verbreiten. Sie bilden Fassaden, hinter die niemand schauen soll. Sie entziehen sich damit der demokratischen Streitkultur. Das mag ihr gutes Recht sein, aber es ist letztlich feige.
Dem Bundesinnenminister geht es darum, dass gerade diejenigen, die mit ihren politischen Radikalthesen am lautesten prahlen, sich nicht hinter einer Maske verstecken, sondern mit offenem Visier streiten. In einer Demokratie können und müssen wir uns das leisten.
Mit freundlichen Grüßen
i.A. Michael Karl