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Hans-Christian Friedrichs
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Frage von Hans - Peter P. •

Frage an Hans-Christian Friedrichs von Hans - Peter P. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Friedrichs,

wir hören es aus aller Munde: Die Zukunft unseres Landes liegt im Export von Hochtechnologie. Das bedeutet für mich, dass diese Technologie hier in Deutschland nicht nur produziert sondern auch entwickelt wird. Ich fürchte mich vor dieser Zukunft, wenn ich die Schulpolitik oder besser noch die Schulrealität in dieser Zeit betrachte.

Ich frage mich: Wie soll eine international wettbewerbsfähige Elite (das Wort ist nicht beliebt, aber nicht alle können Wissenschaftler werden) ausgebildet werden, wenn an unseren allgemeinbildenden Schulen immer mehr gekürzt wird. Wer will mir z. B. erklären, dass das Abitur nach 12 Jahren besser ist als nach 13 Jahren? Wie sollen die Schüler in kürzerer Zeit den gleichen Stoff besser lernen, ohne dass die Lehrbedingungen verändert werden?

Sowohl Universitäten als auch Handwerkliche Ausbildungsbetriebe beschweren sich seit langem über die mangelhafte Vorbereitung durch die allgemeinbildenen Schulen. Die Lehrer – von der Grundschule bis zum Gymnasium – haben keine Handhabe, Leistung von den Kindern zu fordern. Und viel zu wenige Eltern unterstützen die Lehrer in ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich die Kinder auf das spätere Leben vorzubereiten.

So, nun meine Fragen an Sie als Kandidaten für den Bundestag:

• Welche Priorität hat für Sie die Ausbildung unserer Kinder?
• Halten Sie die Lehrerausbildung in der jetzigen Form für zeitgemäß?
• Wie stellen Sie sich das ideale Schulsystem (Ausbildungssystem) vor?

Ich feue mich sehr auf Ihre Antwort und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen
Hans – Peter Prigge
Dipl.-Ing.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Prigge,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Gehen wir der Reihe nach vor: Hochtechnologie ist eines der wichtigsten Standbeine unserer Wirtschaft, da gehen wir wohl konform. Ganz entscheidend ist dafür, dass hierzulande produziert, entwickelt und entsprechend hochwertig ausgebildet wird. Daran sind bekanntlich viele Partner beteiligt: Schulen, Universitäten, Konzerne und natürlich die mittelständische Wirtschaft. Hier sehe ich ad hoc diverse Problemfelder. Die Schulen leiden unter zu großen Klassen, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, Raumnot, einer unzureichenden Personalausstattung u. a. in den Bereichen Informatik und Gebäudemanagement, die mit Ein-Euro-Kräften abgedeckt wird, um nur einige Punkte zu nennen. Was den Unterrichtsversorgung angeht, so haben wir mal ein halbes Jahr lang akribisch protokolliert, wie viel Unterricht im Gymnasium Oedeme in Lüneburg tatsächlich gegeben wurde. Rechnet man krankheitsbedingte Ausfälle, Zuspätkommen von Lehrkräften, Klassenreisen mit anderen Klassen, Missverständnisse, Krankheit, Lehrerfortbildung, Organisatorisches/Konferenzen und viele Ausfälle ohne jede Begründung mit ein, so kamen wir auf eine Unterrichtsversorgung von nur 86,4 Prozent, jede sechste Stunde fiel also aus. Wir hätten also gut und gerne 15,8 Prozent mehr Lehrkräfte gebraucht, um eine vollständige Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Die Realität ist also meilenweit von den schön gerechneten Zahlen, nahe der 100 Prozent-Marke, der Kultusministerien entfernt. Den Lehrplan zu „verschlanken“ und auf musische Inhalte zu verzichten, um vermeintlich besser „verwertbare“ Inhalte in einem Jahr weniger „einzutrichtern“, halte ich für grundverkehrt. Ich bin in einer anderen Frage aber schon genau auf dieses Thema eingegangen und will deshalb nicht zu sehr in die Tiefe gehen und mich lieber Ihren Fragen zuwenden.

Welche Priorität hat für Sie die Ausbildung unserer Kinder?

Die Ausbildung unserer Kinder hat für mich neben dem dauerhaften Erhalt unserer Umwelt den höchsten politischen Stellenwert.

Halten Sie die Lehrerausbildung in der jetzigen Form für zeitgemäß?

Als einer der Grünen, die nicht im Lehrerberuf tätig sind, sondern als IT-Berater und als Geschäftsführer bei den Lüneburger Grünen, muss ich gestehen, die Lehrerausbildung nicht aus eigener Erfahrung beurteilen zu können. Die Qualität der Lehrerausbildung kann ich daher nur indirekt beurteilen. Ich stelle dabei als Vater zweier Kinder immer wieder erhebliche Defizite im pädagogischen Bereich fest, insbesondere für die Klassenstufen 5 und 6. Individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern kommt da oft zu kurz. Ebenso muss das Verständnis für andere Kulturen sowie Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund verbessert werden. Viele Lehrkräfte sind auch heute nicht auf die Leitung von Integrationsklassen vorbereitet, genauso sind für viele der Umgang und die Einbeziehung von neuen Medien in den Unterricht völlig fremd. Ich habe mir sagen lassen, dass die intensive Auseinandersetzung mit Inhalten bei der aktuellen LehrerInnenausbildung stark zu wünschen übrig lässt. Die letzte Phase der Ausbildung, das Referendariat, kann kaum so bezeichnet werden, da Referendare im Unterricht nicht mehr betreut werden, sondern sich mit der Klasse selbst überlassen werden. Ob es in der Schule klappt, der Unterricht Spaß macht und die Chemie stimmt, hängt also noch viel zu viel vom Prinzip Zufall ab.

Wie stellen Sie sich das ideale Schulsystem (Ausbildungssystem) vor?

Das ist ein weites Feld. Wichtig ist, dass unser Schulsystem allen gleiche und gute Bildungschancen eröffnet. Massive Abhängigkeiten vom Portmonee, der ethnischen oder sozialen Herkunft der Eltern sind beschämend, anachronistisch und ungerecht. Aufgrund jahrelanger bildungspolitischer Misswirtschaft haben wir nun einen LehrerInnenmangel und ein negatives Image des LehrerInnenberufes zu verzeichnen. Dieser Umstand muss durch eine bildungspolitische Offensive angegangen und als Daueraufgabe betrachtet werden. Die Attraktivitätssteigerung des LehrerInnenberufes ist Grundvoraussetzung für eine qualitativ und quantitativ bessere Unterrichtsversorgung und ermöglicht, überhaupt an kleinere Klassen zu denken. Erst mit längerem gemeinsamem Lernen und den anderen genannten Maßnahmen, haben wir eine Chance, an die führenden Nationen der Pisa-Studien, wie Finnland, anzuknüpfen.
Wenn Sie das gesamte Ausbildungssystem von der Kindertagesstätte über die Schule und die betriebliche Ausbildung bis zum Studium betrachten, dann kann ich diesem großen Komplex nur die mir wichtigen Aspekte Pädagogik, Chancengleichheit, Kostenfreiheit für Schülerinnen und Schüler bzw. Eltern und Praxisrelevanz der Ausbildung zuordnen. Alle diese Themen detailliert zu behandeln, würde leider den Rahmen dieses Forums sprengen, da ich mich in wenigen Minuten der realen Politik in einer Fraktionssitzung – u. a. zu einer bevorstehenden Schulausschusssitzung – widmen muss.

Für die von Ihnen benannte Thematik möchte ich Ihnen die Empfehlung einer Kollegin aus Uelzen weitergeben. Am Freitag, 04.09.2009 findet um 19:00 Uhr in Uelzen-Veerßen im Hotel „Deutsche Eiche“ die Veranstaltung „Wir können auch anders! Wie Schulen gelingen“ statt. Der GEW Kreisverband Uelzen lädt alle an Bildung Interessierte ein zu Vortrag, Film und Diskussion mit dem Journalisten Reinhard Kahl und der Schulleiterin und Buchautorin Ulrike Kegler. Weitere Details finden Sie unter www.sinn-ev.de/sinn/news/News_17.php

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Christian Friedrichs