Frage an Hans-Christian Friedrichs von Holger T. bezüglich Umwelt
Jeder grüne Politiker wird sicherlich den beschleunigten Ausbau der regenerativen Energien fordern! Wie schnell, meinen Sie, können wir vollständig auf Atom- und Kohlekraftwerke verzichten? Was können wir tun, um dieses zu beschleunigen?
Lieber Herr Tempel,
da ich kein Prophet bin, fällt es mir recht schwer, Ihre Frage nach einem zeitlichen Horizont für 100 Prozent erneuerbare Energien seriös zu beantworten. Dennoch gibt es Studien, die belegen, dass es technisch machbar ist, den gesamten europäischen Energiebedarf bis 2050 mit erneuerbaren Energien zu decken. Einer der größten Verfechter einer konsequenten Umsetzung von 100 Prozent erneuerbare Energien ist Hans-Josef Fell, den ich sehr schätze. Auch er geht davon aus, dass eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien innerhalb weniger Jahrzehnte möglich ist. Dieser Einschätzung zur technischen Machbarkeit möchte ich mich gerne anschließen.
Was muss passieren, damit diese Vision umgesetzt wird?
Es muss ein gewaltiger Ruck durch die Gesellschaft und die Politik gehen! Parteiübergreifend muss die Erkenntnis einziehen, dass es keine Alternative zur Abkehr von fossilen und atomaren Energieträgern gibt. Natürlich gilt das auch für jede Privatperson. Wir dürfen das riesige Potential der energetischen Gebäudesanierung nicht den nächsten Generationen überlassen, sondern müssen jetzt handeln. Gerade hier liegt ein gewaltiges Sparpotential. Neubauten müssen zwingend im höchstmöglichen Standard, also als Passivhaus oder sogar als Plusenergiehaus errichtet werden, die Nutzung von Solarthermie und Photovoltaik müsste dabei vorgeschrieben werden. Besonderer Clou ist, dass sich das sogar wirtschaftlich rechnet. Damit diese Informationen auch ankommen, sollten die Kommunen vor Baubeginn grundsätzlich eine Energieberatung anbieten. Wir sollten dezentrale hocheffiziente Energieversorgung mit Kraft-Wärme-Kopplung, so genannten Blockheizkraftwerken fördern. Ein Beispiel aus der Praxis: In Reppenstedt entsteht im Ortskern in sehr guter Lage ein Neubaugebiet. Auf etwa einem Viertel der Fläche wird eine Alten- und Pflegeheim mit angegliederten Wohnungen zum „betreuten Wohnen“ gebaut. Selbstverständlich hat der Betreiber dargelegt, dass er die Energie für den Komplex mit einem Blockheizkraftwerk erzeugen will. Im Rat der Gemeinde Reppenstedt fehlte es allerdings an dem oben erwähnten „Ruck“, sonst hätte man das gesamte Neubaugebiet über ein Nahwärmenetz an dieses - dann etwas größer dimensionierte - Blockheizkraftwerk angeschlossen. Auch darüber hinaus fehlt es an jeder Art von Vorschrift, die beispielsweise eine Gebäudeausrichtung zur Solarenergienutzung vorsieht. Ein derartig nachlässiges Vorgehen, gerade beim Ausweisen von Neubaugebieten, ist leider noch weit verbreitet und behindert uns deutlich, das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien schnell zu erreichen. Zum Glück gibt es auch positive Beispiele: In Breese in der Marsch, Landkreis Lüchow-Dannenberg, entstand ein Blockheizkraftwerk, an das sich viele Haushalte angeschlossen haben. Betrieben wird die Anlage mit Gas, das in der benachbarten Biogasanlage erzeugt wird.
Was können wir tun, um den Ausbau von regenerativen Energien zu beschleunigen?
Meine Prioritäten liegen in der Energieeinsparung und der dezentralen Energieerzeugung, unter anderem mit Photovoltaik. Wer nicht die Möglichkeiten besitzt auf dem eigenen Dach Strom zu erzeugen, kann sich an BürgerInnensolaranlagen beteiligen und vor allem – eine Selbstverständlichkeit – den Stromanbieter wechseln, hin einem der drei bis vier anerkannten Ökostromanbieter. Unter http://www.atomausstieg-selber-machen.de gibt es nähere Informationen zu empfehlenswerten Stromanbietern. Natürlich gehört auch dazu, deutlich Position zu beziehen und der Atomlobby die rote Karte zu zeigen, also am 5. September nach Berlin zur Anti-Atom-Demo „MAL RICHTIG ABSCHALTEN!“ zu fahren, idealerweise ab Lüneburg mit dem VCD-Sonderzug, und nicht zuletzt die Partei zu wählen, die sich mit Abstand am konsequentesten für den Ausstieg aus der Atom- und Kohleverstromung einsetzt: Die Grünen.
Ein Thema muss ich im Zusammenhang mit Ihrer Frage nach erneuerbaren Energien noch ansprechen: Die Mobilität. Auch die Bahn fährt mit Strom, klar dass wir auch hier auf Ökostrom aus Wind, Sonne, etc. setzen sollten. Aber wie steht es mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV)? Hier ist die Elektromobilität zurzeit in aller Munde. Elektrisch betriebenen Autos gehört neben der Brennstoffzelle oder Pflanzenölantrieben sicher die Zukunft. Ich bin bei der Förderung der Elektromobilität aber äußerst zurückhaltend. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Diesel oder Benziner einfach durch einen „Stromer“ zu ersetzen und sonst nichts zu ändern, würde nur den konventionellen Energiekonzernen mit ihren Atom- und Kohlekraftwerken Vorschub leisten. Nicht umsonst haben diese Unternehmen ein gesteigertes Interesse an der Elektromobilität. Voraussetzung für die Nutzung eines Elektrofahrzeuges ist für mich der Wechsel zu einem Ökostromanbieter, sofern noch nicht geschehen. Trotzdem bleibt der MIV extrem energiehungrig und der beste Weg in eine umweltverträgliche Mobilität ist die Mobilitätswende, hin zu mehr Radfahren, besserem ÖPNV, Car-Sharing und einem Umdenken in der Raumordnung.
Beste Grüße
Hans-Christian Friedrichs