Frage an Hans-Christian Friedrichs von Ulrich M. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Friedrichs
Wie stehen Sie zum Autobahnbau in Deutschland? Sagen Sie: "Je mehr, desto besser," oder meinen Sie, dass die Bahn weit mehr als bisher an Gütertransport und Personenverkehr leisten könnte und sollte?
Könnten Sie noch etwas zum Bau der Ostseeautobahn A20 hinzufügen?
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich May
Lieber Herr May,
inzwischen betrachte ich den Autobahnneubau, insbesondere in Deutschland, sehr kritisch. Der immer wieder von den Regierungsparteien und der FDP genannte Effekt sich verbessernder Standortbedingungen für die Wirtschaft und der daraus resultierende Erhalt von Arbeitsplätzen, tritt belegbar seit den 1980er Jahren nicht mehr ein. Wir besitzen ohnehin eines der weltweit dichtesten Autobahnnetze, Zeitgewinne sind nur marginal oder treten bei gleichzeitiger Verkehrsverlagerung auf die neue Straße und erhöhtem Verkehrsaufkommen oftmals gar nicht mehr auf. Entscheidend für Wirtschaftswachstum oder sogar die Schaffung von Arbeitsplätzen sind in Mitteleuropa nicht mehr die Straßen, sondern ganz andere Faktoren, wie direkte Wirtschaftsförderung oder optimal ausgebildete MitarbeiterInnen. Wegen Standortfaktoren wie geringer Lohn- und Lohnnebenkosten oder niedrigen Umweltauflagen sind in der Vergangenheit oft genug Unternehmen oder zumindest die Produktion nach Osteuropa oder nach Asien verlagert worden.
Häufig werden die „Perlenketten“ entlang der großen Autobahnen als Beleg für die positive Wirkung dieser Straßen genannt. Herr Dr. Dirk Fittkau erforschte mit seiner Dissertation die Beeinflussung regionaler Kaufkraftströme durch den Bau einer Autobahn (am Beispiel des Lückenschlusses der A49). Er fand dabei heraus, dass es durch den Bau einer Autobahn sowohl Gewinner als auch Verlierer gibt. Gewinner sind die „Perlen“, die uns an den Autobahnanschlüssen bekannt sind. Das sind oftmals Fastfood-Restaurants, Baumärkte und Tankstellen, vielleicht auch noch Fachmärkte. Oft handelt es sich bei diesen vermeintlichen Neuansiedlungen nur um Verlagerungen aus dem Hinterland dieser Straßen. Zu den Verlierern gehören in der Regel der Einzelhandel und die Gastronomie, sowie das Handwerk auf dem Lande. Hier gibt es tatsächlich einen Kaufkraftabfluss vom ländlichen Raum hin zu den Oberzentren und den Knotenpunkten, u. a. mit negativen Folgen für den Arbeitsmarkt. Wer nun ganz nüchtern versucht, Gewinner wie Baumärkte gegen Verlierer, etwa Handwerksbetriebe, gegeneinander aufzurechnen, wird zu volkswirtschaftlich negativen Ergebnissen kommen.
Die teils verheerenden Umweltauswirkungen des Autobahnbaus, wie Flächenversiegelung, Zerschneidung und Verlärmung sind unbestritten. Beziehen wir auch den Klimawandel und den viel zitierten Klimaschutz mit ein, so müssen wir uns fragen, ob der motorisierte Individualverkehr (MIV) noch die richtige Maxime für eine langfristige und umweltgerechte Mobilitätsstrategie darstellt. Ich bin der Auffassung, dass wir sowohl im Personen-, als auch im Güterverkehr viel mehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger setzen sollten, um den CO2-Ausstoß effektiv zu reduzieren, weitere Strategien wie Verkehrsvermeidung und neue Ansätze der Raumordnung kommen hinzu. Wenn wir diese Grundsätze zum Klimaschutz und Umweltschutz ganz allgemein wirklich ernst nehmen, ist ein Flächen verschwendender Autobahnneubau weder zielführend, noch zeitgemäß.
Zur Bahn: Selbstverständlich ist die Bahn im Prinzip das umweltfreundlichere Verkehrssystem. Selbst bei einem mit Dieseltraktion bespannter Containerzug wird nur ein zehntel der CO2-Menge ausgestoßen, als würden die Container per Lkw transportiert werden. Tatsächlich war die Bahn aber noch in 2008 an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen und eine ad hoc Verlagerung großer Anteile des Güterverkehrs auf die Bahn wäre gar nicht möglich gewesen. Durch das Sanierungsprogramm der DB Cargo AG „Marktorientiertes Angebot Cargo“ (MORA C) wurden zwischen 2001 und 2004 knapp die Hälfte aller gewerblichen Gleisanschlüsse und etliche Strecken stillgelegt, es bedeutete den Rückzug der Bahn aus der Fläche und eine Steigerung des Lkw-Verkehrs. Politisch zielführend im Sinne einer umweltfreundlichen Mobilitätsstrategie wären hingegen die Förderung des schienengebundenen Güterverkehrs und der Ausbau des Netzes gewesen. Ein überregionaler „Masterplan Mobilität“ müsste die politischen Leitlinien beinhalten, die eine wirkliche Verkehrswende vorsehen. Dieser Masterplan müsste sich als Handlungsanweisung in den Bundes- und Landesverkehrswegeplänen sowie in den Landes- und regionalen Raumordnungsprogrammen wieder finden. Im Gegensatz zu heute muss die Politik eine deutliche Handschrift mit Prioritätensetzung für die Bahn besitzen. Die Instandsetzung und Modernisierung des Netzes ist also keine Aufgabe, die von heute auf morgen zu lösen wäre, sondern nur langfristig.
Klar ist, dass die weitere schleichende Demontage von Bahnstrecken
sofort zu stoppen ist und die Anlagen als Bestandteil der
Daseinsfürsorge zu erhalten sind.
Zur Ostseeautobahn A20: Der Bau dieser Autobahn hat bisher nicht die gewünschten arbeitsmarktpolitischen Wirkungen erzielt, Gewerbebetriebe haben sich nicht wie prognostiziert angesiedelt. Ich bin skeptisch, ob diese Autobahn auch innerhalb des Gesamtkonzepts „Küstenautobahn“, die von Holland bis Polen reichen soll, jemals ihre erschließende und prosperierende Wirkung erzielen wird. Immerhin wird seit Jahren erfolglos versucht, Investoren für den Bau der Elbquerung im Zuge der A20 zu finden. Private Investoren finden sich deshalb nicht, weil die vorhergesagten Verkehrszahlen – im Gegensatz zur Hauptachse A1 – so gering sind, dass die Einnahmen aus der Maut nicht die Kosten für das Projekt von ca. 1 Mrd. Euro decken werden. Der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsminister Dr. Phillip Rösler antwortete mir am 11.02.2009 in Westergellersen dazu auf meine Frage, wie es sich denn vertrüge, dass einerseits nach seiner Aussage „der Staat als Schiedsrichter am Spielfeldrand stehen, aber nicht selbst mitspielen sollte" – er sich also nicht unternehmerisch betätigen sollte - und andererseits nun doch die Elbquerung mangels Investoren und Wirtschaftlichkeit durch den Staat und Steuerzahler finanziert werden solle, damit dass „das ja bei Verkehrsprojekten etwas anderes sei, da wäre der Staat nämlich zur Daseinsvorsorge verpflichtet“. Von einer derartigen Übernahme an Verantwortung für das Bahnnetz können wir hingegen nur träumen. So teilte uns Herr Rösler am 30.06.2009 auf Anfrage mit, dass für die Modernisierung der Wendlandbahn bzw. „die Infrastruktur … allein der Bund und die Deutsche Bahn AG verantwortlich wären“, von Engagement für das System Schiene also keine Spur.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Christian Friedrichs