Hakan Demir
Hakan Demir
SPD
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Frage von Karin F. •

Bitte erklären Sie mir warum die SPD Abschiebungen nun forciert und als Regierungspartei für GEAS in der EU stimmte, statt sich für eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Ländern wie Lybien einsetzte?

Guten Tag Hakan Demir,

ich organisiere seit Jahren u.a. Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte. Aber möchte keine weiteren Demos organisieren. Für was? Örtliche SPD-ler*innen reden was von Solidarität und die Realität heißt Bezahlkarte, GEAS, Abschiebungen.
Diese Bilder sagen eigentlich alles:
https://guidos-welt.de/

Wie sollen Menschen Politiker*innen noch irgendetwas glauben? Eine Partei, die angeblich für soziale Themen steht, stimmt für GEAS, wohlwissend, dass die Menschen in diesen Ländern gefoltert, ermordet, vergewaltigt werden. In Lybien herrschen KZ-ähnliche Zustände (https://fragdenstaat.de/blog/2018/libyen-fluechtlingslager/)!

Nancy Faeser, SPD, verhandelt mit fragwürdigen Ländern über Abschiebungen statt die Debatte auf eine vernünftige, menschliche Ebene zu bringen.
Ich wünsche mir, dass Sie sich hinter ihre Wählerschaft stellen, die FÜR eine menschliche und solidarische Gesellschaft auf die Straße gehen.

Mit freundlichen Grüßen,

Karin F.

Hakan Demir
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau F.

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift - und ebenfalls danke für ihr zivilgesellschaftliches Engagement für die Demokratie. 

Sie sprechen drei wichtige Themen an: die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems; den Umgang mit Drittstaaten in Bezug auf Asylverfahren, Transit und Rückführungen; sowie den Umgang mit Geflüchteten hier bei uns in Deutschland. 

Wie Sie vielleicht wissen, sehe ich ebenfalls einige Teil der EU-Asylreformen kritisch und habe mich auch in meiner Fraktion und öffentlich entsprechend geäußert (beispielsweise hier gemeinsam mit anderen Abgeordneten: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/24-bundestagsabgeordnete-von-spd-und-gruenen-lehnen-eu-asylreform-ab-a-46b70f27-9f97-4fac-a5e6-832da5622804 ). Ich kämpfe weiter für eine Europäische Seenotrettung, für ein wirksames Grundrechtemonitoring bei Frontex und für gute Aufnahmebedingungen in allen EU-Staaten. Denn nur wenn alle EU-Staaten menschenwürdige Bedingungen schaffen, wird sich die partielle Überlastung einzelner Staaten beheben lassen. Für einen geeinten Kontinent können eine Million Asylsuchende im Jahr keine Überlastung sein. Die weitgehende Einigkeit und der Versuch, in der EU wieder geschlossener bei der Aufnahme vorzugehen, ist auch einer der Punkte der GEAS-Reform, die man in der Umsetzung nutzen und verteidigen muss. In Bezug auf andere Aspekte wie die Einhaltung von Menschenrechten an den Außengrenzen, würdige Aufnahmebedingungen auch in Grenzverfahren und eine effektive wirksame Verteilung wird es stark auf die Umsetzung der Reformen ankommen. 

Ein kritischer Aspekt der GEAS-Reform ist auch die vereinbarte Drittstaatenregelung, die die Standards für sichere Drittstaaten gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention an einigen Stellen absenkt (beispielsweise beim Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt sowie bei den Anforderungen an das Existenzminimum). Zurückweisungen oder Auslagerungen von Verfahren nach Libyen werden aber auch unter den neuen GEAS-Regeln nicht möglich sein. Libyen würde nicht annähernd die menschenrechtlichen Anforderungen auch der neuen Regeln in der Asylverfahrensverordnung (und auch nicht die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention) erfüllen. Außerdem wurde in der GEAS-Einigung – auch dank des Einsatzes der Bundesregierung – ein Verbindungselement zwischen Drittstaat und Geflüchteten festgehalten. Sichere Drittstaaten können nur Staaten sein, zu denen die Schutzsuchenden eine tatsächliche Bindung haben. Das sogenannten „Ruanda-Modell“ bleibt unter EU-Recht unzulässig. Auch für die Migrationsabkommen, die die Bundesregierung abschließt, gilt, dass diese nur mit menschenrechtlich verantwortungsvollen Partnerländern abgeschlossen werden. Bisher wurden Abkommen mit Indien und Georgien abgeschlossen. Dabei geht es auch in zentraler Weise um reguläre Migrationswege im Rahmen der Arbeitsmigration und um die Unterbindung von Ausbeutung. Zu Drittstaatslösungen zur Auslagerung von Asylverfahren hat das BMI unter Leitung von Nancy Faeser einen weitgehend kritischen Bericht vorgelegt: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/06/mpk-drittstaaten.html

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu Aufnahmebedingungen in Deutschland und zur Diskussion um die Bezahlkarte sagen. Ich halte es für falsch, soziale Rechte von Geflüchteten weiter einzuschränken. Abschreckung beispielsweise durch die Einschränkung der Freiheit, auf Wochenmärkten oder auf Second-Hand-Börsen einzukaufen, ist nicht der richtige Weg. Gleichzeitig stärkt die Ampel aber auch die Rechte von Geflüchteten, beispielsweise was die Arbeitsaufnahme angeht, und schafft als erste Regierung mit dem Chancenaufenthaltsrecht wirksame Regeln gegen Kettenduldungen. 

Ich hoffe, ich habe darlegen können, warum ich einige Ihrer Kritikpunkte teile, andere nicht. Wir brauchen diesen kritischen Austausch zwischen Wählerschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Denn das große Ziel muss bleiben, dass Deutschland und die EU solidarisch bleiben – dass sie sich nicht ihrer Verantwortung für Schutzsuchende entziehen. 

Mit freundlichen Grüßen 

Hakan Demir 

 

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