Wir hatten eine Wahlrechtsreform gesehen, die es erlaubt, dass direkt gewählte Abgeordnete nicht in den Landtag einziehen können. Wäre die "Übertragbare Einzelstimmgebung" eine Alternative für Sie?
Sehr geehrte Frau Jensen,
ich sehe mit Sorge darauf, dass immer mehr politische Macht in den Parteien konzentriert ist und diese auch durch die Präferenz der Listen noch weiter zementiert wurde.
Mein Vorschlag um eine direktere Wahl der Abgeordneten den Bürgern zu überlassen wäre das Umstellen des Wahlsystems auf die "Übertragbare Einzelstimmabgabe". Dies erlaubt weiterhin eine repräsentative Aufteilung der Stimmen ohne, dass viele verloren gingen und erlaubt dem Souverän eine gezieltere Wahl seiner Vertreter.
Bsp.: Momentan kommen 42 Abgeordnete aus SH, man teilt SH in 4 Wahlbezirke und aus jedem kommen 10 Abgeordnete (oder 8 mit jeweils 5), welche nach oben genanntem Verfahren ausgewählt werden.
Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?
Sehen Sie überhaupt Handlungsbedarf bei dem Wahlsystem bzw. der Partizipation des Souverän?
Vielen Dank für Ihre Zeit und Aufmerksamkeit.
S. H.

Sehr geehrter Herr H.
vielen Dank für Ihre Nachricht und intelligenten Überlegungen zur Reform des Wahlrechts. Die „Übertragbare Einzelstimmabgabe“ ist ein spannender Ansatz, würde jedoch erhebliche Änderungen am bestehenden System mit sich bringen und es komplizierter und weniger zugänglich machen.
Die jüngste Wahlrechtsreform verfolgt ein anderes Ziel: Sie sorgt für eine klare, transparente Mandatsverteilung und reduziert die Anzahl der Abgeordneten auf eine Größe von 630 Sitzen. Die Überhang- und Ausgleichsmandate, die in der Vergangenheit zu einer stetigen Aufblähung des Bundestags geführt haben, wurden durch das neue System abgeschafft. Die Möglichkeit, unabhängig von einer Partei zur Wahl anzutreten und das Mandat im Wahlkreis zu erringen, bleibt bestehen.
Ein häufig geäußertes Argument gegen die Reform ist, dass direkt gewählte Abgeordnete möglicherweise nicht in den Bundestag einziehen. Tatsächlich hat die Reform jedoch eine neue Dynamik geschaffen: Sie stärkt den Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die Zusammensetzung des Parlaments – und das nicht nur über die Landeslisten der Parteien. Ein Beispiel:
Nehmen wir an, eine Partei erhält in Schleswig-Holstein sechs Sitze. Auf Platz 9 der Landesliste steht eine Kandidatin, die zugleich als Direktkandidatin antritt. Sie gewinnt im Wahlkreis die meisten Erststimmen. Da die Partei insgesamt nur sechs Sitze erringt, zieht diese Kandidatin nun in den Bundestag ein – und nicht etwa die Person, die auf Listenplatz 6 steht. Die persönliche Unterstützung im Wahlkreis hat also weiterhin einen Einfluss darauf, wer tatsächlich in den Bundestag einzieht, und wird gegenüber den internen Aufstellungsverfahren der Parteien priorisiert.
Grundsätzlich ist das Wahlrecht ein lebendes System, das sich im verfassungsrechtlichen Rahmen an gesellschaftliche Realitäten anpassen kann. Zukünftigen Handlungsbedarf schließe ich daher nicht aus. Aber erst einmal müssen wir nun die Erfahrungen mit dem in dieser Legislaturperiode veränderten Wahlrecht machen und auswerten.
Mit freundlichen Grüßen
Gyde Jensen