Frage an Gustav Herzog von Volker U. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
dem Beitrag "Inflationskalküle" auf FAZ-online vom 31.5.2021, konnte ich entnehmen, daß die aktuelle Inflationsrate in Deutschland auf 2,5% angestiegen ist. Die Bundesbank rechnet Ende des Jahres sogar mit 4%. Die Tariflöhne sind 2021 lediglich um 1,3% gestiegen und Renten in den alten Bundesländern wurden dieses Jahr überhaupt nicht erhöht.
Inflationstreiber sind primär die Energiepreise, die sich durch die zukünftig steigende
CO2-Abgabe noch weiter stark verteuern werden. Da sich Gering- und Mittelverdiener, ebenso wie Rentner dieser Erhöhungsspirale nur schwer entziehen können, frage ich Sie, wie diese Bürger angesichts der auseinander gehenden Schere zwischen geringen Einkommenszuwächsen und steigender Inflationsrate ihren finanziellen Alltag zukünftig noch bestreiten sollen?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
V. U.
Sehr geehrter Herr Ultes,
vielen Dank für Ihre Frage zu Inflation und Energiepreisen, auf die ich gerne eingehe.
Zunächst erlaube ich mir, Ihre in der Sache richtigen Angaben ein wenig in Kontext zu setzen und zu konkretisieren. Richtig ist zweifelsohne, dass im laufenden Jahr die Verbraucher:innenpreise gestiegen sind und die Inflationsrate voraussichtlich noch ein wenig steigen wird. Als Gründe hierfür nennt die Bundesbank die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung zum 01. Januar, die getroffenen Klimaschutzmaßnahmen sowie den Ölpreis, der nach dem geringen Niveau in den Anfangsmonaten der Coronakrise langsam wieder ansteigt. Die höhere Inflation im Vergleich zum Beginn der Pandemie zeugt in erster Linie von einer erfreulichen Erholung der Wirtschaft aus dem Krisentief.
Betonen möchte ich, dass die Bundesbank den hohen Inflationswert von vier Prozent, den Sie anführen, lediglich als vorübergehende Möglichkeit nennt, die im Zuge eines kurzfristigen statistischen Sondereffekts bei den Pauschalreisen eintreten kann. Konkret formuliert sie: "Deshalb [aufgrund des Sondereffekts] könnte die Inflationsrate dann vorübergehend 4% erreichen" (https://www.bundesbank.de/resource/blob/866638/84c5c3983cfc6d3d6a066b70e725a773/mL/2021-05-monatsbericht-data.pdf: 9). Es ist also auch seitens der Bundesbank nicht davon auszugehen, dass zwangsläufig mit einer solchen Steigerung der Inflation zu rechnen ist und erst recht nicht damit, dass ein solches Niveau langfristig gehalten wird.
Nun haben Sie aber selbstverständlich vollkommen Recht, dass auch vorübergehende Steigerungen der Verbraucher:innenpreise besonders für Menschen mit geringen und normalen Einkommen erhebliche Auswirkungen haben und ein allgemeiner Aufschwung der Wirtschaft nicht allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße zugutekommt.
In diesem Sinne ist es mir wichtig, zu betonen, dass die Gewerkschaften Ende des vergangenen Jahres einen entscheidenden Erfolg in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst erringen konnten. Die Steigerung der Tariflöhne um 1,4 Prozent, die zum 01. April in Kraft getreten ist, stellt nur einen ersten Schritt dar. Insgesamt sollen die Tariflöhne in den kommenden Monaten um mindestens 3,2 Prozent für die höchste Entgeltgruppe und sogar 4,5 Prozent für die niedriger Eingruppierten steigen. Das Beispiel der Tarife im öffentlichen Dienst habe ich mir herausgesucht, da hierunter der für uns Sozialdemokrat:innen so wichtige Pflegebereich fällt. In der Pflege kommen schließlich noch zusätzliche Zulagen hinzu, sodass hier sogar eine Steigerung von 8,7 Prozent und speziell in der Intensivpflege um bis zu 10 Prozent beschlossen wurde. Ich muss Ihnen also in Ihrer Einschätzung widersprechen, dass die Entwicklung der Tariflöhne hinter die Inflationsrate zurückfallen wird.
Trotz dieser notwendigen Einschränkung teile ich aber Ihre Sorge um die soziale Verträglichkeit von Klimaschutzmaßnahmen, besonders in der Steuerung der Energiepreise. Die Bundesbank bestätigt, dass die steigende Entwicklung in den Energiepreisen weiterhin anhält im Gegensatz zu den Nahrungsmitteln, Industriegütern ohne Energie und Dienstleistungen, wo sich die Preise im März bereits wieder stabilisiert haben. Als Sozialdemokrat:innen steht für uns beim Klimaschutz die soziale Verträglichkeit an erster Stelle, wodurch wir uns auch von unseren politischen Mitbewerber:innen unterscheiden. Wir sind der Überzeugung, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise nur wirksam sein können, wenn alle Bürger:innen in die Lage versetzt werden, ihren Beitrag zu leisten.
Die Bepreisung von CO2 ist ein wichtiges Instrument, allerdings ist sie kein Allheilmittel und birgt bei allzu rigoroser Anwendung die Gefahr, bestehende soziale Ungerechtigkeiten noch zu verstärken. Wenn die Bürger:innen ständig nur zur Kasse gebeten werden, ohne dass die soziale Gerechtigkeit Beachtung findet, werden Klimaschutzmaßnahmen nur auf Ablehnung stoßen. Effektiver Klimaschutz baut auf der Akzeptanz und der Beteiligung der Bürger:innen auf. Eine bereits jetzt sehr hohe Bepreisung von CO2, wie sie beispielsweise die Grünen fordern, erreicht diese Akzeptanz nicht und wird damit auch nicht zu mehr Klimaschutz führen. Davon bin ich überzeugt.
Das Zukunftsprogramm und die aktuelle Regierungsarbeit der SPD zeichnet dort ein sehr viel differenzierteres und sozial verträglicheres Bild. Der entscheidende Unterschied ist, dass wir als Sozialdemokrat:innen dafür sorgen, dass erst ausreichend umweltschonende Alternativen zu CO2-intensiven Nutzungen geschaffen werden, bevor die Preise weiter anziehen können. Was macht der Heizungsbaulehrling, der beispielsweise bei mir im Wahlkreis von seinem Wohnort Kusel nach Schönenberg-Kübelberg zu seinem Ausbildungsbetrieb pendelt, wenn der Benzinpreis morgen um 16 Cent erhöht wird? Ihm bleibt keine andere Möglichkeit, als den sehr viel höheren Preis zu zahlen - und das von seinem nicht allzu üppigen Lehrlingsgehalt. Das nehmen die Grünen in Kauf, wenn sie ihre Forderungen aufstellen, die zwar ihre Klientel mit hohen Gehältern in den Städten mit guter ÖPNV-Infrastruktur verkraften kann, viele Gering- und Normalverdiener:innen allerdings in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen.
Bevor die Preise beispielsweise für Benzin also so erheblich erhöht werden können, muss die öffentliche Verkehrsinfrastruktur schnell und flächendeckend ausgebaut und für alle bezahlbar werden. Nur so besteht im ersten Schritt überhaupt die Möglichkeit und anschließend auch der Anreiz, auf umweltschonende Mobilitätswege umzusteigen. Hierfür sorgen wir als SPD.
Unser Fokus liegt auf dem schnellen und umfassenden Ausbau der erneuerbaren Energien, besonders der Wind- und Solarenergien, um die Grundlage dafür zu schaffen, dass alle Bürger:innen grüne Energie nutzen können. Mit der Abschaffung der EEG-Umlage entlasten wir die Stromverbraucher:innen und schützen damit besonders das Portemonnaie der Gering- und Normalverdiener:innen. Außerdem sind verschiedene Modelle denkbar, über welche die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürger:innen zurückgegeben werden können. Wir prüfen einen möglichen Pro-Kopf-Bonus auf die Eignung als ökologischer und sozial gerechter Anreiz.
Ein wichtiger Schritt wäre in diesem Zusammenhang auch die von uns als SPD angestrebte Regelung, die durch die CO2-Bepreisung zusätzlich entstandenen Heizkosten zu gleichen Teilen auf Mieter:innen und Vermieter:innen aufzuteilen. Schließlich sind sowohl die Mieter:innen durch ihr Heizverhalten als auch die Vermieter:innen durch ihre Entscheidung, Wohnungen ordentlich zu dämmen oder dies zu unterlassen, für die Verursachung von Energiekosten verantwortlich. Wie so häufig stellt sich allerdings auch hier die Union quer, die ausschließlich im Interesse der mit ihr eng verbandelten Vermieter:innenlobby dafür einsteht, ausschließlich die Mieter:innen auf den Kosten sitzen zu lassen. Dass dies nicht nur sozial ungerecht ist, sondern auch jeden Anreiz für Vermieter:innen, in energieschonende Gebäudestrukturen und Heizsysteme zu investieren, untergräbt, interessiert die CDU/CSU nicht. Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir alles daran setzen, unsere sozial gerechte Lösung gegen die Lobbyinteressen der Union durchzusetzen.
Herr Ultes, ich hoffe, ich konnte Ihnen deutlich machen, dass wir als Sozialdemokrat:innen die soziale Verträglichkeit aller politischen Maßnahmen und damit auch der Klimaschutzmaßnahmen stets an die erste Stelle setzen und uns damit deutlich sowohl von der CDU/CSU, die in erster Linie die Interessen der Wirtschaft vertritt, als auch von den Grünen, die den Klimaschutz über die soziale Gerechtigkeit stellen, unterscheiden. Deutlich steigende Tariflöhne, Grundrente, Kurzarbeit, Pflegeboni etc. sind unverzichtbare sozialdemokratische Projekte, die sicherstellen, dass auch Gering- und Normalverdiener:innen am Klimaschutz teilhaben können.
Mit freundlichen Grüßen,
Gustav Herzog