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Frage von Kai M. •

Frage an Gustav Herzog von Kai M. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Herzog,

warum sind Sie gegen eine Freigabe von Impfstoffpatenten?

Mit freundlichen Grüßen
Kai Marburger

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Frage nach meinen Beweggründen, warum ich dem Antrag der Linksfraktion „Patente für Impfstoffe freigeben“ vom 06. Mai nicht zugestimmt habe. Denn zunächst muss ich richtigstellen: Ich bin nicht per se gegen eine Freigabe von Impfstoffpatenten in der Pandemie!

Impfstoffe sind das wichtigste Mittel zur Eindämmung dieser Pandemie. Angesichts der vorhandenen und möglicherweise noch kommenden Mutationen muss jede Möglichkeit ergriffen werden, die Durchimpfung der Weltbevölkerung zu beschleunigen. Eine Unterstützung der globalen Verfügbarkeit von Impfstoffen ist also nicht nur eine moralische Notwendigkeit, sondern auch im eigenen Interesse der reichen Länder. Aktuell limitieren jedoch die begrenzten Herstellerkapazitäten die globale Verfügbarkeit der Impfstoffe.

Aus diesem Grund bin ich offen für die bei der Welthandelsorganisation anhängige TRIPS-Initiative von Südafrika und Indien zur zeitlich begrenzten Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe, Schutzausrüstung, Arzneimittel und Medizinprodukte, die im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie eingesetzt werden.

Ziel dieser Initiative ist die Ausweitung der globalen Produktionskapazitäten für die genannten Produkte. Dies ist der meines Erachtens entscheidende Punkt. Eine Aufhebung des Patentschutzes im nationalen Rahmen alleine bringt schließlich noch keine neuen Impfdosen, solange in den Zielländern vor Ort entweder die Produktionsstätten oder das technologische Knowhow zur sicheren Herstellung der Impfstoffe – oder beides – nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind.

Eine Auslizenzierung von Impfstoffpatenten auf nationaler Ebene würde die Geschwindigkeit, mit der die Produktionskapazitäten ausgeweitet werden, nicht erhöhen, da der Prozess insgesamt zu kleinteilig und langwierig ist. So müsste beispielsweise der Schutz für jedes Patent einzeln gelockert werden und die Lockerung würde lediglich die Produktion auf nationaler Ebene betreffen. Das ergibt insbesondere vor dem Hintergrund von weit verzweigten und häufig auf mehrere Länder verteilten Produktionsschritten keinen Sinn.

Es steht zudem aktuell im höchsten Eigeninteresse der Hersteller möglichst schnell viel Impfstoff zu produzieren und auszuliefern. Deshalb gibt es bereits heute eine hohe Zahl an Auslizenzierungen und Kooperationen auf nationaler Ebene (Halle, Wuppertal, Marburg, Frankfurt, Tübingen, Dessau, Reinbeck etc.). Auch im internationalen Kontext wird die gebührenfreie Lizenzfreigabe schon praktiziert: AstraZeneca hat eine Notfalllizenz an das Serum Institute in Indien vergeben, den weltweit größten Impfstoffhersteller. Ich bin daher der Überzeugung, dass eine nationale Initiative zur Lockerung des Patentschutzes diesen Prozess zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend beschleunigen kann und die nationale Patentfreigabe kein kurzfristiges Allheilmittel darstellt.

Stattdessen müssen wir jetzt den Schwung, den die Ankündigungen von Seiten der USA und der EU in die Angelegenheit gebracht haben, für eine internationale Lösung nutzen! Die internationale Covax-Initiative (Covid-19 Vaccines Global Access), in welcher Deutschland sowohl individuell als auch als Teil der Europäischen Union einen mehr als beachtlichen Beitrag zur gerechten Verteilung der Impfstoffe leistet, ist hierfür ein wichtiger Ansatz, auf dem aufgebaut werden sollte.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal ganz deutlich machen, dass die EU von Anfang an für einen solidarischen Ansatz gewählt und bereits jetzt etwa genauso viele Impfdosen exportiert hat, wie innerhalb der EU verteilt wurden. Dass Präsident Biden sich jetzt für eine Patentfreigabe einsetzt, ist ehrenwert, lässt allerdings den egoistischen „America First“-Kurs, den die USA in der gesamten Impfkampagne gefahren sind und weiterhin fahren, nicht vergessen. Schließlich wurde der sogenannte „Defense Production Act“ aktiviert, um jede einzelne Dosis, die in den USA produziert wird, im Land zu behalten. Und auch Bidens Patent-Vorstoß solle erst gelten, sobald alle impfwilligen US-Amerikaner:innen mit dem Impfstoff versorgt wurden. Das solidarische Vorgehen der EU entspricht da meinen sozialdemokratischen Vorstellungen deutlich mehr.

Herr M., ich hoffe, ich konnte Ihnen nachvollziehbar darlegen, warum ich den Antrag der Linken abgelehnt habe und welchen Ansatz zur Sicherstellung einer gerechten Verteilung der Impfstoffe ich für erfolgsversprechender halte.

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog