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Gustav Herzog
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Frage von Stefan R. •

Frage an Gustav Herzog von Stefan R. bezüglich digitale Infrastruktur

Sehr geehrter Herr Herzog,

Gemäß Ihrer früheren Antwort haben Sie Gutachter eingeladen, um die schädigenden Einflüsse der Mobilfunkstrahlung auf Gesundheit und Umwelt prüfen und angemessen verhindern zu können, die bei Dauerbelastungen ja mittlerweile auch unterhalb unserer Grenzwerte nachgewiesen sind.

1) Welche Chancen sehen Sie, hier überhaupt noch Einfluss zu nehmen, angesichts des forcierten 5G-Netzausbaus?

2) Welche Bedeutung spielt hierbei die aktuelle Untersuchung von Hardell zur Wirkungslosigkeit unserer Grenzwerte?
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7405337/

3) Werden Sie sich für die Einführung und Bewahrung der strahlungs-armen "weißen Zonen" einsetzen, um Allergikern ein Leben zu ermöglichen und bei der Gesundheitsvorsorge eine individuelle Wahlfreiheit bei der Suche eines Wohnortes zu bewahren?

Wie weit besteht inzwischen ein Bewusstsein dafür, dass solche Zonen starken Wertzuwachs erfahren werden, wegen ihrer extremen Seltenheit und dem steigenden Bedarf?

Nachdem sich immerhin Palm-Beach in den USA ganz vom 5G-Netzausbau befreien konnte, https://stateofthenation2012.com/?p=113333 und die dortige Bevölkerung (hochgradig Milliardäre) vor der 24-stündigen Strahlenexposition aus neuen Funkmasten nun verschont ist: Warum denkt man nicht auch hierzulande an eine optionale Möglichkeit für Gemeinden, sich von dem Ausbauzwang zu befreien, dem sie ansonsten ausgeliefert sind?

4) Wie stehen Sie zu der Idee, dass sich Regionen und Gemeinden für Erhalt und Etablierung strahlungsarmer Zonen bewerben können? Analog wie bei "Luftkurort" und dem "Bad"-Status, (oder analog zur Option auf Bahnreisen für Handy- oder Ruhe-Abteil, wäre es nicht sogar noch wichtiger, eine derartige Option für Wohngebiete zu schaffen (zumindest wenn diese ausreichend mit Glasfaser versorgt sind und die lokale Mehrheit ein Funkloch befürwortet) ?

Kann man angesichts der zunehmenden Knappheit solcher Flächen von einem Wertschöpfungspotential sprechen und einen Nachfrage-Boom antizipieren?

mit freundlichen Grüßen

Portrait von Gustav Herzog
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Reich,

vielen Dank für das Lesen meiner bisherigen Antwort und Ihre Fragen hierzu, auf die ich sehr gerne eingehen möchte.
Zunächst bedanke ich mich für Ihren Hinweis auf die Fachgesprächsreihe zu Fragen gesundheitlicher und ökologischer Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder (HF-EMF) durch Mobilfunk, die ich als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für digitale Infrastruktur geführt habe. In insgesamt fünf Fachgesprächsrunden wurden Sachverständige von Behörden, Geräteherstellern und Netzwerkbetreibern, Wissenschaft, Arbeitsschutz sowie Bürgerinitiativen und Umweltverbänden angehört. Dieser Austausch war für mich sehr aufschlussreich und eine wichtige Gelegenheit, um alle Perspektiven in diesem komplexen Themenfeld einbeziehen und verstehen zu können.

In Ihrer Vorbemerkung unterstellen Sie allerdings, dass die bisherige Nutzung von HF-EMF für den Mobilfunk einen nachgewiesen schädigenden Einfluss auf Gesundheit und Umwelt hätte. Diese Aussage entspricht nach meinem Wissen nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. In diesem Zusammenhang verweisen Sie auf die Forschungsbemühungen Lennart Hardells, an dessen Studien in der Vergangenheit mehrfach methodische Unzulänglichkeiten kritisiert wurden, welche die Ergebnisse zumindest fragwürdig erscheinen lassen.

Die Argumentation seines Appells an die EU, den 5G-Ausbau auf Eis zu legen (des sogenannten 5G Appeals), stützt Hardell stark auf die Erkenntnisse des National Toxicology Program. Hierbei handelt es sich um ein behördenübergreifendes Programm unter der Leitung des US-Gesundheitsministeriums, in dessen Rahmen u. a. das krebserregende Potenzial von Mobilfunk erforscht und bewertet werden soll. Laut Hardells 5G Appeal weise diese Studie bereits bei einer EMF-Aussetzung unterhalb der Grenzwerte, die von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICNIRP) festgelegt wurden, einen signifikanten Anstieg von Krebszellen in Hirn und Herz nach (vgl. https://www.jrseco.com/wp-content/uploads/2017-09-13-Scientist-Appeal-5G-Moratorium.pdf). Diese Behauptung fußt allerdings auf einer Fehlinterpretation der Daten und ist demzufolge nicht richtig.
Wie der Studie zu entnehmen ist, wurden die im Versuch verwendeten Ratten der Strahlung am gesamten Körper ausgesetzt (vgl. https://www.biorxiv.org/content/biorxiv/early/2016/05/26/055699.full.pdf). Für die Ganzkörperexposition (im Gegensatz zur Teilkörperexposition, bei welcher z. B. der Kopf beim Telefonieren höherer Strahlung ausgesetzt ist) ist ein Grenzwert von 0,08 Watt pro Kilogramm festgelegt (vgl. https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/strahlenschutz/nichtionisierende-strahlung/strahlenschutz-beim-mobilfunk/grenzwerte-bei-hochfrequenten-emf/). Das heißt, erst bei einer Strahlungsaussetzung über diesem Grenzwert gelten negative gesundheitliche Auswirkungen als möglich. Selbst der geringste Strahlungswert von 1,5 W/kg, dem die Tiere ausgesetzt wurden, entspricht demnach bereits dem 18,75-Fachen des Grenzwertes – der höchste Versuchswert von 6 W/kg kommt sogar dem 75-fach gesteigerten Grenzwert gleich. Dass in diesen Bereichen schädigende Effekte auftreten, kann dementsprechend nicht als Beweis für die Ungültigkeit der gängigen Grenzwerte angeführt werden. Ganz im Gegenteil unterstreichen die Ergebnisse dieser Studie die Wirksamkeit unserer Grenzwerte. Langzeitmessungen an Basisstationen zeigen zudem, dass die Grenzwerte hier in der Praxis gewöhnlich bei weitem unterschritten werden. (Die Messergebnisse können unter folgendem Link eingesehen werden: https://emf3.bundesnetzagentur.de/karte/.)

Ein weiterer Vorwurf Hardells aus der von Ihnen zitierten Studie lautet, dass die Einstufung von Mobilfunk als „möglicherweise krebserregend“ durch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IACR) in der 5G-Planung ignoriert werde. Auch dies ist nicht der Fall. Zunächst muss erwähnt werden, dass die IACR in ihrer eigenen Pressemitteilung auf die begrenzte Aussagekraft der Ergebnisse hinweist. So seien die Beweise für einen Zusammenhang zwischen der Nutzung mobiler Telefone und der Bildung von Gliomen (Hirntumore, die sich aus Stützgewebe des Nervensystems entwickeln) und Akustikusneurinomen (gutartige Tumore im Schädelinneren) limitiert und für andere Krebsarten sogar gänzlich ungeeignet (vgl. https://www.iarc.fr/wp-content/uploads/2018/07/pr208_E.pdf). Beweise sind dann limitiert, wenn Zufall und Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden können. Ungeeignet sind sie, wenn Studien unzureichender Qualität, mit ungenügender statistischer Aussagekraft oder mit uneinheitlichen Ergebnissen zugrunde liegen.

Dass weiterhin mögliche Risiken tiefergehend erforscht und minimiert werden müssen, steht außer Frage. Über die zahlreichen Studien bezüglich der Strahlenbelastung durch den 5G-Ausbau, die derzeit im Zuständigkeitsbereich des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durchgeführt werden, wurden Sie ja bereits durch das Bundesamt für Strahlenschutz informiert.
Unbestritten ist außerdem, dass Interessenskonflikte im schlimmsten Fall zu Verzerrungen in den Forschungsschlussfolgerungen führen können und entsprechend vermieden werden müssen. Die Vorwürfe Hardells gegenüber den führenden Wissenschaftler*innen der Debatte, von der Industrie korrumpiert wider das Wohl der Menschen zu agieren, hingegen wirken diffamierend. Die jährlichen Finanzberichte sowie die Erklärungen der persönlichen Interessen aller Mitglieder der ICNIRP sind öffentlich einsehbar und problemlos zu finden (vgl. https://www.icnirp.org/en/about-icnirp/funding-governance/index.html). Diese Offenheit lässt die erhobenen Vorwürfe von Intransparenz und Industriehörigkeit schnell in sich zusammenfallen.

Außerdem wird im 5G Appeal behauptet, die steigende Anzahl von Funkmasten führe zu „einer massiven Zunahme der Zwangsexposition“. Richtig ist, dass aufgrund der kürzeren Reichweite zusätzliche Basisstationen für eine 5G-Abdeckung notwendig sein werden. Allerdings ist keineswegs zu erwarten, dass dieser Zuwachs an Basisstationen mit einer Erhöhung der Gesamtexposition im gleichen Umfang einhergeht. Für 5G werden sogenannte Small Cells vermehrt zum Einsatz kommen. Diese befinden sich zwar näher am Menschen, verfügen aber über eine deutlich niedrigere Sendeleistung als herkömmliche Basisstationen (Small Cells werden mit einer effektiven Sendeleistung von unter 10 Watt betrieben, während die Sendeleistung herkömmlicher Basisstationen zwischen 10 und 50 Watt liegt. Zum Vergleich: Rundfunk- und Fernsehsender senden mit einer Leistung von bis zu 500.000 Watt). Parallel zum 5G-Ausbau wird darüber hinaus die 3G-Infrastruktur nach und nach abgeschaltet. Außerdem werden sogenannte MIMO-Antennen (Multiple Input Multiple Output) zum Einsatz kommen, die die elektromagnetischen Felder nutzungsorientiert ausrichten können (sogenanntes Beamforming), statt wie die großen LTE-Basisstationen breit in die Fläche zu senden. Der Einsatz dieser Antennen ist deshalb sinnvoll, um die Strahlungsaussetzung zu minimieren. Um innerhalb dieser komplexeren Szenarien die konkrete Exposition der einzelnen Nutzer*innen bestimmen zu können, werden derzeit Verfahren entwickelt.

Grundsätzlich gilt jedoch, dass über 90 Prozent der Exposition aus den Endgeräten und nicht von den Basisstationen stammen – egal, um welchen Mobilfunkstandard es sich handelt. Die Feldstärke der elektromagnetischen Felder nimmt mit zunehmendem Abstand rapide ab: Bei einer Verdopplung des Abstands viertelt sich die Intensität des Feldes. Wenn ein besonderes Vorsorgebedürfnis besteht, ist der persönliche Verzicht auf ein Mobiltelefon oder – wenn der Verzicht nicht möglich oder gewünscht ist – dessen Nutzung mit einem kabelgebundenen Headset oder einer Freisprechanlage noch immer die effektivste Maßnahme.
Gerne möchte ich außerdem auf Ihre Fragen und Hinweise zu strahlungsarmen Bereichen eingehen: Uns ist bekannt, dass es Personen gibt, die über gesundheitliche Einschränkungen in Form von Kopfschmerzen, Konzentrations- oder Schlafstörungen berichten, die sie auf das Vorhandensein elektromagnetischer Felder zurückführen. Bislang wurde kein wissenschaftlicher Beleg für dieses als „Elektrosensibilität“ bezeichnete Phänomen erbracht. So ergaben u. a. Studien der Strahlenschutzkommission zu den biologischen Auswirkungen des Mobilfunks im Rahmen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms, dass kein Zusammenhang zwischen EMF-Aussetzung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen besteht. Die wahrgenommenen Befindlichkeitsstörungen von selbstdiagnostizierten „Elektrosensiblen“ seien stattdessen auf den so genannten Nocebo-Effekt (analog zum Placebo-Effekt) zurückzuführen und damit psychosomatischen Ursprungs (vgl. http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2011/2011_10.pdf%3F__blob%3DpublicationFile (27-28)).

Unabhängig von ihrem Auslöser sind die Symptome dieser Personengruppe, zu der sich etwa 1 Prozent der deutschen Bevölkerung zählt, dennoch real und sollten unserer Ansicht nach Beachtung finden. Wir sind deshalb derzeit in Gesprächen zu einer möglichen Einrichtung von HF-EMF-reduzierten Zonen in öffentlichen Bereichen. Sollte es Gemeinden oder Regionen geben, die demokratisch legitimierte Beschlüsse fassen, auf Mobilfunk gänzlich zu verzichten, so werde ich keinen Druck auf die Telekommunikationsunternehmen ausüben, die „weißen Flecken“ mit öffentlichem Mobilfunk zu versorgen. Die Versorgung für die Sicherheits- und Rettungsdienste, den Notruf sowie die kritische Infrastruktur muss allerdings zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein.

Sehr geehrter Herr Reich, wie Sie sehen, haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt. Mir stehen weiterhin alle parlamentarischen Instrumente der Einflussnahme zur Verfügung und die zuständigen Stellen haben bereits die Initiative ergriffen, um noch offene Fragen zügig zu klären. So können wir möglichen negativen Auswirkungen des Netzausbaus auf Mensch und Umwelt gegebenenfalls entgegenwirken. Von einem forcierten 5G-Ausbau kann also nicht die Rede sein.

Anbei sende ich Ihnen noch einige Links, unter denen Sie weitere ausführliche und fundierte Informationen zu der Thematik finden.

Mit freundlichen Grüßen,
Gustav Herzog

Linksammlung:
• FAQ des Bundesumweltministeriums zur Einführung der 5G-Mobilfunknetze:
https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/strahlenschutz/nieder-und-hochfrequenz/hochfrequente-felder/fragen-und-antworten-zur-einfuehrung-der-5g-mobilfunknetze-und-emf/
• Informationen zu Strahlenschutz beim Mobilfunk und dem Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder auf der Seite des Bundesamts für Strahlenschutz:
https://www.bfs.de/DE/themen/emf/kompetenzzentrum/kompetenzzentrum_node.html
• EMF-Portal der RHTW Aachen, umfangreiche wissenschaftliche Literaturdatenbank zu Wirkungen elektromagnetischer Felder:
https://www.emf-portal.org/de
• Informationszentrum Mobilfunk, unterstützt durch die deutschen Mobilfunkunternehmen:
https://www.informationszentrum-mobilfunk.de/