Frage an Gustav Herzog von Michael W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Hr.Herzog,
ich bin 1964 geboren und somit der erste Jahrgang der erst mit 67 in Rente gehen kann, ohne Abzüge hinnehmen zu müssen. Meine Frage bezieht sich auf dieses Thema. Warum besteht nicht die Möglichkeit nach insgesamt 40 Arbeitjahren ohne Abzug in Rente gehen zu können? Mein Vorschlag wäre das dann jeder weniger Rente bekommen würde, aber dann gestaffelt Zuschüsse z.B. bei Mietnebenkosten erhalten würde usw. Dadurch würden doch aber Arbeitsplätze für junge Menschen frei werden. Wer trotzdem noch nach 40 Arbeitsjahren ( finde das ist Berufsabhängig) arbeiten möchte könnte z.B. im Handwerksbereich als Anleiter für Lehrlinge arbeiten. Ich selbst arbeite als Krankenpfleger und kann mir nur schwer vorstellen bis zum 67. Lebensjahr unter diesen zur Zeit bestehenden Umständen arbeiten zu können. Meine Arbeit macht mir sehr viel Freude, jedoch auf Grund der Schichtarbeit scheint es mir fast unmöglich solange arbeiten zu können.
Mit freundlichen Gruß
Michael Wilhelm
Sehr geehrter Herr Wilhelm,
vielen Dank für Ihre wichtige Frage!
Der Entscheidung der Großen Koalition, das Eintrittsalter für die Gesetzliche Altersrente stufenweise von 65 auf 67 anzuheben, basierte auf einem unstrittig positiven Umstand: Wir werden älter! Diese erfreuliche Tatsache hätte aber ohne Reformen deutliche Konsequenzen für die Stabilität und die Struktur unserer sozialen Sicherungssysteme.
Der demografische Wandel, der nicht nur aus der höheren Lebenserwartung, sondern auch aus der schrumpfenden Bevölkerung resultiert, erfordert Anpassungen der Sicherungssysteme, um sie demografiefest und vor allem auch bezahlbar für kommenden Generationen von Beitragszahlern zu machen. Hier ein paar ausgewählte Eckdaten, basierend auf Erhebungen und Prognosen des Statistischen Bundesamtes: Während das Verhältnis der 65-Jährigen und Älteren zu den 20- bis 65-Jährigen im Jahr 2005 noch ca. 1 zu 3 betrug, wird es im Jahr 2030 voraussichtlich bei 1 zu 2 liegen. Auch die Rentenbezugsdauer hat sich in den letzten 40 Jahren im Durchschnitt um 7 Jahre auf nunmehr 17 Jahre erhöht, und es ist davon auszugehen, dass die Lebenserwartung bis 2030 um weitere 2,8 Jahre ansteigen wird, was eine Rentenbezugsdauer von fast 20 Jahren im Jahr 2030 bedeutet.
Bedenkt man zudem, dass das Statistische Bundesamt bis 2030 im Vergleich zu heute einen Rückgang des Erwerbspersonenpotentials von gut 9 Millionen Menschen sieht, kommt man nicht umhin, die Notwendigkeit von Veränderungen zu sehen. Die in der Großen Koalition dazu getroffenen Entscheidungen betreffen aber nicht nur den meines Erachtens nach gerechten Ausgleich, dass ein Teil der höheren Lebenserwartung auch zu einer längeren Lebensarbeitszeit verwendet wird. Zusätzlich dazu fließen schon jetzt auch mehr Steuergelder in die Rentenkassen- es ist also nicht so, dass nur die Versicherten und die Bezieher von Renten die Folgen der Demografie allein zu schultern hätten.
Zu Ihren Anregungen und Kritikpunkten: Vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente gehen heißt ja: früher mit den Beitragszahlungen aufhören und länger Rente beziehen (zumindest statistisch). Versicherungsmathematisch KANN das nicht abschlagsfrei funktionieren. Dennoch gibt es selbstverständlich auch bei der „Rente mit 67“ Möglichkeiten, abschlagsfrei früher aufzuhören. So z.B. nach 45 Beitragsjahren- das entspricht nicht Ihrer Forderung nach 40 Jahren, ist aber für diejenigen relevant, die z. B. unmittelbar nach der Schule in die betriebliche Ausbildung gegangen sind und ohne bzw. nur mit kurzen Unterbrechungen danach erwerbstätig waren. Diese Personengruppe kann beispielsweise auch weiterhin mit 65 ohne Abzüge in Rente gehen.
All diese Erörterungen sind natürlich wenig hilfreich, wenn man selber in die Situation kommt, vor 67 aufhören zu müssen, aber auch angewiesen ist auf eine Rentensumme, von der man auskömmlich leben kann. Deshalb hat die SPD als Partei und im Bundestag als Fraktion beschlossen:
- Einstieg in die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters nur dann, wenn ältere ArbeitnehmerInnen überhaupt Arbeitsplätze haben. Konkret fordern wir: Erst wenn mindestens 50 Prozent der 60 bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, darf die Anhebung des Renteneintrittsalters erfolgen. Auf die Überprüfung der Beschäftigungssituation Älterer VOR der Realisierung der Anhebung der Altersgrenze haben wir übrigens schon 2007 bestanden und im Gegensatz zur Bundesregierung, die die Zahlen schönredet, sind wir der Auffassung, dass das erklärte Ziel noch nicht erreicht ist und fordern die Aussetzung, bis es tatsächlich erreicht ist und stabil bleibt.
- Es muss mehr Spielraum für individuelle Anpassungen, Ausnahmen und Rücksichtnahmen geben. Ich finde den Ansatz falsch, bestimmte Berufsgruppen pauschal zu Ausnahmefällen zu erklären. Zumal wir in Zukunft eine steigende Anzahl von Menschen mit sehr „bunten“ Erwerbsbiografien haben werden- immer mehr Menschen werden im Laufe ihres Erwerbslebens mehr als einen Beruf ausgeübt haben. In wessen Ermessen soll es dann liegen zu beurteilen, ab wie vielen Jahren Berufsausübung beispielsweise als Dachdecker jemand das Recht hat, vorzeitig in Rente zu gehen?
Ich halte daher den Ansatz für besser, wieder genauer die ganz individuellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Arbeit zu betrachten und in die Einzelfallentscheidungen einfließen zu lassen.
- Als dritten Aspekt möchte ich auf eine Aufgabe hinweisen, vor der nicht nur die Politik steht, sondern auch die Arbeitgeber und letztlich die gesamte Gesellschaft: Wir brauchen ein neues Verständnis von der Humanisierung der Arbeit. Es ist erstrebenswert, dass künftig Arbeitsplätze (auch der Ihre) so gestaltet sind, dass es möglich wird, als ArbeitnehmerIn mit Freude und ohne Gesundheitsschäden auch als Älterer im Berufsleben zu bleiben, ohne vorher kaputt gemacht zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Gustav Herzog