Frage an Gunther Krichbaum von Oliver J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Krichbaum,
die SPD möchte offensichtlich mit Tolerierung der Linkspartei eine Gegenkandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufstellen. Wie beurteilen Sie dieses ?
Sehr geehrter Herr Jung,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Bei der Bundesversammlung am 23. Mai 2009 droht ein für die Bundesrepublik Deutschland einmaliges Szenario: Erstmals betreibt eine große deutsche Partei offensiv die Abwahl des amtierenden Bundespräsidenten, der für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht. Zusätzliche Sprengkraft entwickelt dieser Plan durch das Kräfteverhältnis in der Bundesversammlung: Ohne die komplette Unterstützung durch die Linkspartei ist der Plan der SPD von vornherein zum Scheitern verurteilt. Damit sollen die Nachfolger der SED aus dem Osten und linksextremistische Sektierer aus dem Westen entscheiden, wer Deutschland in den nächsten fünf Jahren repräsentiert. Zu Recht begreift die überwiegende Mehrheit der Deutschen die Behauptung der SPD nicht, dabei handele es sich nicht um eine Vorentscheidung für die Zeit nach der Bundestagswahl: Warum sollte, wer das Staatsoberhaupt mit den LINKEN wählen möchte, dies nicht auch beim Amt des Bundeskanzlers tun?
Bundespräsident Horst Köhler hat sein Amt in den letzten vier Jahren vorzüglich ausgeübt. Er überzeugte durch eigenständige Ideen, war mitunter ein unbequemer Mahner und stets ein wichtiger Impulsgeber. All dies machte ihn in der Bevölkerung unabhängig von den parteipolitischen Präferenzen ausgesprochen populär. Diesen Bundespräsidenten, den die Spitzenkräfte der SPD noch vor wenigen Wochen in höchsten Tönen lobten, will die Sozialdemokratie nun abwählen, um von ihrem innerparteilichen Chaos abzulenken. Viele sozialdemokratische Wahlfrauen und -männer werden sich daher bis zur Bundesversammlung am 23. Mai 2009 gut überlegen, ob sie den Versuch unterstützen, Horst Köhler aus rein parteitaktischen Gründen mit den Stimmen der LINKEN abzuwählen.
Schritt für Schritt machte die SPD die PDS/Linke in den letzten Jahren hoffähig. Zunächst mit der Duldung in Sachsen-Anhalt, dann mit den Koalitionen in Mecklenburg und in Berlin. Heute regiert sie in Berlin noch immer gemeinsam mit der LINKEN, obwohl rechnerisch auch ein rot-grünes Bündnis möglich wäre. Gleiches möchte sie in Hessen und schließt es für Thüringen nicht aus. Damit signalisiert sie den Wählern, dass es sich bei der Linken zwar um eine Partei mit irrigen Vorstellungen handelt, sie aber durch die SPD in einer Regierung in Schach gehalten werden könne. Genau mit dieser Taktik macht sie die Linkspartei aber für linke Sozialdemokraten, denen der Reformkurs der Schröder-SPD seit Jahren nicht passte, wählbar. Die Umfragen zeigen dieses Dilemma klar auf: Während sich die Linkspartei im Umfragehoch sonnt, dümpelt die SPD seit Monaten auf historischen Tiefstständen dahin.
Besonders ärgerlich ist die Unehrlichkeit der SPD bei der Präsidentenwahl, Ihr Fraktionsvorsitzender Struck erklärte noch im März, es sei unvorstellbar, dass seine Partei die Stimmen von SPD, Grünen, LINKE und den rechtsextremen Gruppen vereinen würde, um Horst Köhler abzuwählen und Kurt Beck erklärte bei der Vorstellung der Kandidatin Schwan, es werde keine aktiven Gespräche zur Unterstützung der SPD-Kandidatin geben. Aber nur wenige Tage später verkündete Andrea Nahles im Fernsehen, selbstverständlich werde um die Stimme jeder Wahlfrau und jedes Wahlmannes der Bundesversammlung für Frau Schwan geworben, dies zeigt, mit welch falschen Karten hier seitens der SPD gespielt wird. Auch wenn noch so oft betont wird, nach der Bundestagswahl käme eine rot-rote Zusammenarbeit nicht in Frage, ist spätestens jetzt ganz klar: Nach der Bundestagswahl im September 2009 wird die SPD ein Bündnis mit der LINKEN eingehen, wenn dafür rechnerisch eine Möglichkeit besteht.
Mit freundlichen Grüßen
Gunther Krichbaum