Frage an Gunter Weißgerber von Pierre V. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Weißgerber,
Sie sind der Meinung
"Wenn ein Mensch bedingungslos den Anspruch darauf hat, ist der Anreiz selbst sein Schicksal in die Hand zu nehmen dahin"
und verwechseln Lust und Zwang. Der von ihnen angesprochene Anreiz ist nämlich keiner, den die Bürger in jedem Fall dankend in Anspruch nehmen.
So etwa zählt für Arbeitsvermittler und das Bundessozialgericht das Auffüllen von Zigarettenautomaten zu den "zumutbaren Arbeiten". (Quelle: http://www.journalmed.de/newsview.php?id=19045 )
Sprich: Wer dieses Angebot, legale Drogen zu verteilen, nicht in Anspruch nimmt, bekommt das ALG gekürzt. Sozial ist, was Arbeit schafft? Toller Anreiz.
"Und der Staat tut damit kund, dass auch er kein Interesse mehr hat, dem Betroffenen dabei zu unterstützen."
Den wovon genau Betroffenen? Betroffen von zuviel Zeit für sich, Freunde und Bekannte? Betroffen von zu wenig täglich verpendelten, umweltschädigenden Kilometern? Betroffen von zu wenig negativem Stress, weil das Grundeinkommen Kündigungs- und anverwandte Ängste exorziert?
"Der Bürger oder die Bürgerin wird einfach mit Geld abgefunden und zur Untätigkeit abgestempelt."
Erwerbslos ist nicht gleich arbeitslos. Und so vermeintlich realitätsfern die Idee vom Grundeinkommen bzw. Existenzgeld auch sein mag, so human ist die zugrundeliegende Idee.
Übrigens finde ich es immer wieder bemerkenswert, dass der (auch von Ihnen) vorgebrachte Haupteinwand gegen Existenzgeld und Co. stets der vom Bürger ist, der sich sogleich nach Eingang der Überweisung auf die faule Haut legt.
Womit begründen Sie persönlich diesen Verdacht?
Mit freundlichem Gruß,
Pierre Vlcek.
PS: Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral kennen Sie vielleicht? (Volltext: http://www.uni-flensburg.de/asta/pol_kultur_anekdote.htm )
Sehr geehrter Herr Vlec,
aus meinen anderen Antworten zum selben Thema können Sie ersehen, dass die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen nicht einfach ist und Grundfragen des Selbstverständnisses unseres Sozialstaates aufwirft. Für Millionen arbeitslose Menschen muss es sich aber seltsam anhören, wenn Sie meinen, ihre Situation sei insoweit etwas Positives abzugewinnen, als umweltschädigende, gependelte Arbeitswege nicht mehr zurückgelegt werden müssen. Ist dies eine zielführende Diskussion?
Ich fühle mich dem Anspruch verpflichtet, Arbeitslosigkeit - übrigens auch und gerade Langzeitarbeitslosigkeit - mit allen Förderinstrumenten unseres Systems wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen. "Arbeit schaffen" ist nicht nur eine wirtschaftliche Forderung sondern eine gesellschaftliche Aufgabe erster Güte. Human ist was Arbeit schafft!
Ich gebe Ihnen insoweit Recht, als Erwerbsbiographien heute nicht mehr bruchlos verlaufen und neue Formen von "Arbeit" gefunden werden müssen, bspw. gesellschaftliche Aktivitäten, die unser Gemeinwesen stärken; hier müssen wir innovative Konzepte fördern. Im Mittelpunkt muss aber stets der/die Einzelne stehen. Ich befürchte, ein bedingungsloses Grundeinkommen kontakariert diesen Anspruch.
Mit freundlichen Grüßen
Gunter Weißgerber