Frage an Gunter Weißgerber von Randy K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Weißgerber,
wie Ihnen sicher bekannt sein dürfte, sind nach einer aktuellen Forsa-Umfrage fast 2/3 aller Bundesbürger gegen eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Auch in Ihrem Wahlkreis dürfte somit eine signifikante Mehrheit der Wähler diese Teilprivatisierung ablehnen. Es dürfte sicher auch Ihrem Verständnis entsprechen, dass Ihre Wähler doch andere Wünsche an die Bahn stellen, als rein renditeorientierte Investoren. Entspricht es nicht auch Ihren Erfahrungen im Kontakt mit Ihren Wählern, dass die Bahn eine breite, flächendeckende Verkehrsinfrastruktur sicher stellt - und das, soweit möglich, umweltfreundlich und zu annehmbaren Preisen? Dies aber steht naturgemäß im Widerspruch zum Wunsch der Finanzinvestoren, aus der Bahn ein globales Logistikunternehmen zu machen, welches überdurchschnittliche Renditen erwirtschaftet. Die Bahn gehört der Bundesrepublik Deutschland, sprich: dem Volk. Als Mitglied des Bundestages aber sind Sie Vertreter dieses Volkes, nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, sondern nur Ihrem Gewissen unterworfen!
Da es auch in Ihrer Fraktion deutliche Stimmen gegen diese Privatisierung gibt, haben ja vielleicht auch Sie zu diesem Thema eine ambivalente, oder gar ablehnende, Einstellung? Sicherlich dürften Sie aber Verständnis haben, dass ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, wie Sie und Ihre Genossinnen und Genossen bei der Entscheidung abstimmen werden - eine Entscheidung, die für die für die Deutsche Bahn AG, ihre Mitarbeiter, ihre Kunden und ihre Besitzer, also auch für Ihre Wähler, von großem Gewicht ist. Daher dürfte es auch die Menschen in Ihrem Wahlkreis durchaus interessieren, wie Sie abstimmen.
MIt freundlichen Grüßen
R. Kurz
Sehr geehrter Herr Kurz,
die Teilprivatisierung der Bahn erhitzt seit Monaten die Gemüter, nicht nur auf politischer Ebene. Vorneweg: Ich bin für diesen Schritt und dies aus verschiedenen Gründen.
Zunächst erst einmal: Die Privatisierung der Bahn wurde nicht in der Großen Koalition eingeleitet; seit 1994 -- als aus der Deutschen Bundsbahn wurde die Deutsche Bahn AG. Was dabei gerne vergessen wird: Allein die Deutsche Bundesbahn erwirtschaftete jährlich ein Defizit von weit über fünf Milliarden Euro. Überdies musste die völlig veraltete Deutsche Reichsbahn integriert werden. Und schließlich: Wer erinnert sich nicht an den Zustand dieser Unternehmen Anfang der neunziger Jahre, veraltete Züge, kein Service usw. Es gilt also festzustellen, dass die erste Stufe der Privatisierung in Anbetracht der über die Maßen positiven Entwicklung der Deutschen Bahn AG ein Erfolg war.
Weiter ist eins sicher: Der Wettbewerb im Bahnbereich kommt. Ab 2007 ist der europäische Güterverkehr liberalisiert, der Personenverkehr wird 2010 folgen. Dabei sei nur angemerkt, der Wettbewerb birgt große Chancen für Verbraucher und letztlich die Umwelt.
Nun gibt es die Möglichkeit, wie das vielzitierte Kaninchen auf die Schlange "Wettbewerb" zu schauen, oder diese europäische Aufgabe als Schrittmacher mitzugestalten. Nichts anderes ist Sinn und Zweck der zweiten Stufe der Bahnreform. Die Deutsche Bahn braucht frisches Kapital, um sich europäisch aufzustellen und auch hier in Deutschland gegen ausländische Mitbewerber eine gute Position zu halten. Als Sozialdemokrat fühle ich auch eine Verantwortung gegenüber den 230.000 Beschäftigten der Bahn. Wenn der Wettbewerb kommt, muss ich Antworten finden oder der Konzern muss sich auf deren Kosten konsolidieren. Im Übrigen: Selbstverständlich wäre es möglich das benötigte Geld auch anderweitig aufzubringen. Die Antwort liegt dann allerdings auf der Hand: Der Steuerzahler muss die vielen Milliarden bezahlen.
Ich bin vor diesem Hintergrund dafür, auf das Kapital privater Investoren zurückzugreifen. Und damit sind wir beim Kern der Diskussion: Kommt die Bahn dabei sprichwörtlich "unter die Räder"? Mitnichten: Sämtliche Modelle sehen vor, dass die Investoren nie die Mehrheit in den Leitungsgremien der Bahn haben werden. Die Entscheidung bleibt also beim Bund! Dies gilt für integrierte Modell genauso wie für das aktuell diskutierte Holding-Modell.
In diesem Zusammenhang will ich auch mit dem Vorurteil aufräumen, dies hätte Streckenstilllegungen zur Folge. Die Regionalverkehre werden ausschließlich und in eigener Regie von den Bundesländern bestellt. Dazu erhalten sie massive Zuschüsse vom Bund. Die Bahn selbst ist hier also nur Anbieter von Leistungen, sie wird selbst keine einzige Strecke von sich aus nicht mehr bedienen.
Zusammengefasst bin ich also vor dem Hintergrund einer anstehenden europäischen Liberalisierung und in Verantwortung für die hunderttausenden Beschäftigten bei der Bahn für die Gewinnung privater Investoren für ein Unternehmen, bei dem auch in Zukunft der Bund das Sagen hat.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Gunter Weißgerber