Frage an Günter Mey von Roman M. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Mey,
zunächst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf meine Fragen. Hinsichtlich einiger Punkte teile ich Ihre Einschätzung, einige anderer Aussagen kann ich Ihren Ausführungen allerdings nicht folgen. Daher erlauben Sie mir bitte einige Rückfragen:
Sie bemängelten im zweiten und vierten Absatz Ihrer Antwort u. a. die Veränderung der Bevölkerungsstruktur, d. h. konkret den vermehrten Zuzug von einerseits Menschen mit Migrationshintergrund und andererseits den Zuzug von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. Hier wird m. E. zu sehr pauschalisiert. Weder kann ich beobachten, dass "die Unterbindung eines Zuzuges von Migranten" zu der "Rückbesinnung auf unsere guten Tugenden" führen würde, noch bin ich der Meinung, dass ein Zusammenhang zwischen "Respektlosigkeit" und "prekärer Beschäftigung" besteht.
Ich stimme Ihnen jedoch absolut zu, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich traditioneller Werte wie "Anstand, Moral und Gemeinsinn" leider sehr zum Negativen verändert hat. Mich würde hier interessieren, auf welche Ursache Sie diese Veränderung zurückführen und wie der Staat konkret dieses "Zurückdrehen der Zeit" aus Ihrer Sicht bewerkstelligen sollte.
Ich verstehe hierzu Ihre Vorschläge bisher als "mehr Polizei; mehr Bestrafung; mehr Leistungsprinzip". Dies löst m. E. das Problem jedoch nicht, da ja - anders als von Unternehmen - Leistungsschwache ja von einem Staat nicht entlassen werden können, d. h. ein Staat hat somit auch für diese Gruppe der Gesellschaft, anders als Unternehmen, zu sorgen.
Meine Fragen daher konkret:
a) Sehen Sie den Zuzug von Migranten als Hauptproblem für die negative Entwicklung des Kiezes?
b) Falls ja, in welchen Kiez sollen die Migranten Ihrer Meinung nach dann verbracht werden?
c) Ist "mehr Polizei" die Lösung der "moralischen Probleme" des Kiezes?
Mit freundlichen Grüßen
R. M.
Sehr geehrter Herr M.,
gern beantworte ich Ihre Fragen, weil ich den Eindruck habe, daß einige
meiner Antworten und die damit verbundenen Lösungsvorschläge nicht adäquat
deutlich wurden.
Zunächst einmal habe ich nicht behauptet, daß die Unterbindung des Zuzugs
von Migranten zu einer Rückbesinnung auf unsere guten Tugenden führen wird.
Das ist Ihre Interpretation. Gleiches gilt für den Zusammenhang zwischen
Respektlosigkeit und prelkärer Beschäftigung - diesen Zusammenhang haben Sie
konstruiert. Ich habe geantwortet: wo Respektlosigkeit herrscht, muß Respekt
wieder eingefordert werden. Nichts weiter.
Weiterhin bemängeln Sie meine Aussage, daß der Zuzug von Migranten, von
denen ein nicht unerheblicher Anteil arbeitslos ist oder sich in prekären
Beschäftigungsverhältnisse befindet, die Sozialstruktur einer Wohnsiedlung
negativ beeinflußt. Dem stimme ich zu. Auch Einheimische mit ähnlichem
Sozialstatus wirken in die gleiche Richtung. Deshalb gilt für beide Gruppen:
bitte nicht noch mehr davon im Auguste-Viktoria-Kiez.
Ich möchte keine "Zurückdrehung der Zeit", sondern die Rückbesinnung auf
unsere Tugenden. Anstand, Rücksichtnahme, Bürgersinn und Hilfsbereitschaft
ggü. den Mitbewohnern sind für mich die Grundfesten einer intakten
(Mieter)gemeinschaft. Mein Vater hat mir schon als Junge auf den Weg
gegeben: Deine Freiheit hat dort Grenzen, wo die Freiheit des anderen
beginnt. Das habe ich bei Leibe nicht immer eingehalten, finde es aber als
eine gute Richtschnur für ein reibungsfreieres Zusammenleben. Da sind wir
auch schon bei Iher Frage: "Welche Ursachen sehe ich und was soll der Staat
dabei tun?"
Dazu nur drei Anmerkungen:
1. Die Ursachen liegen im teilweisen Versagen der Eltern, die entweder
gleichgültig sind, oder meinen, mit antiautoritären, individualistischen
Erziehungsmethoden ihren Sprößlingen einen Gefallen zu tun. Da der Mensch
jedoch ein "Herdentier" ist, sich also nur in der Gruppe behaupten kann,
fehlen in diesem Falle die Elemente der Akzeptanz von Hirarchie, d.h. die
Einübung kollektiver Verhaltensregeln und die Einordnung in eine Gruppe.
Respektlosigkeit und aggressiver Individualismus ist die Folge - nicht nur
in der Pubertät.
2. Bei orthodoxen Moslems oder radikalen Islamisten - bitte beachten Sie
diese Differenzierung! - besteht ein ausgeprägter Hirachiekanon innerhalb
ihrer Gemeinschaft, wird aber im Außenverhältnis zu den "Ungläubigen" ins
Gegenteil verkehrt: weil "Ungläubige" in ihren Augen minderwertig sind, sind
sie ihnen als "Gläubige" per se überlegen, egal wie gebildet, arm oder reich
die anderen sein mögen. Entsprechend respeklos und aggressiv wird von diesen
Gruppen gehandelt.
3. Schule und Gesellschaft (also auch Sie und ich!) sind dazu aufgerufen,
diesen Fehlentwicklungen entgegen zu treten, wo immer sie auftreten.
Laissez-faire und Weggucken in Familie, Schule und Wohnumfeld verschärfen
diesen Zustand. Wir - Sie, ich, unsere Familie, Freunde und Bekannte -
müssen aktiv eingreifen, wenn jemand aus dem Ruder läuft. Je eher, desto
besser. Das heißt für mich "Rückkehr zu mehr Moral" in unserer Gesellschaft.
Damit wir nicht zum Recht des Stärkeren zurück fallen, sollte im Zweifel die
Polizei einschreiten, wenn es brenzlig wird.
Zuletz möchte ich noch auf Ihre Interpretation meiner Lösungsvorschläge
eingehen.
Ja, ich befürworte mehr Polizei und mehr Leistungsprinzip. Aber nicht mehr
Bestrafung, sondern nur die schnellere Ahndung krimineller Taten. Und das
Schwächere gefördert werden sollen, habe ich bereits in meiner ersten
Antwort geschrieben. Jedoch mit dem Zusatz, daß im Gegenzug auch
Leistungsbereitschaft gefordert werden muß und - ich möchte hinzufügen - daß
die Stärkeren nicht darunter leiden müssen.
Ihre konkreten Fragen zu a) habe ich bereits ganz am Anfang beantwortet. Zu
b) wäre ich glücklich, wenn dieses Klientel in unserer Gesellschaft einen
deutlich geringeren Anteil ausmachen würde. Solange das nicht der Fall ist,
wäre ich dafür, diese Menschen - wie z.B. in Rotterdam seit Jahren
ergfolgreich praktiziert - auf alle Stadtbezirke so zu verteilen, daß weder
Ghettos noch Parallelgesellschaften entstehen können. Die Frage zu c) glaube
ich, mit den o.g. Ausführungen erschöpfend erläutert zu haben.
Ich hoffe, Ihnen wieder einige Anregungen gegeben zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
G. Mey