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Gregor Gysi
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Frage von Manfred S. •

Frage an Gregor Gysi von Manfred S. bezüglich Verkehr

Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,

gestern Abend lief in der Sendung "Kontraste" ein Bericht "Parallel-Justiz in Deutschland: Wie geheime Schiedsgerichte Politikfehler verschleiern".
Hier wurde aufgedeckt, dass zunehmend öffentliche Aufträge über PPP-Projekte beauftragt werden. Probleme weden dann unter Ausschluß der Öffentlichkeit in geheim tagenden Schiedsgerichten verhandelt und entschieden. Ich halte diese Verfahren für höchst undemokratisch - zumeist es ja auch um hohe Millionenbeträge geht.Da es außer Ihrer Partei leider kaum noch Fraktionen gibt, die die Interessen der Bevölkerung ersthaft wahrnehmen, möchte ich Sie bitten, etwas dagegen zu unternehmen.Vielleicht könnte eine Verfassungsbeschwerde etwas erreichen?!
Wie können es gewählte Abgeordete dulden, dass sie selber durch die Einsetzung von privaten Schiedsgerichten, mithelfen, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird????
Herr Dobrindt ist ja wohl ein großer Verfechter dieser PPP-Maßnahmen und sollte dringend gestoppt werden!

mit freundlichen Grüßen
Manfred Schröder

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Sehr geehrter Herr Schröder,

Ihre Nachricht vom 10. Juli hat mich erreicht. Ich habe sie an meinen Stellvertreter, den Abgeordneten Jan Korte mit der Bitte weitergeleitet, die Angelegenheit zu überprüfen und ggf. Maßnahmen einzuleiten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gregor Gysi

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Sehr geehrter Herr Schröder,

Sie hatten Gregor Gysi eine Frage gestellt, die er an mich weitergeleitet hat und auf die ich Ihnen hiermit antworten möchte.

Dass Schiedsgerichte auch für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten grundsätzlich zulässig sind (über § 173 VwGO i.V.m. dem 10. Buch der ZPO) dürfte seit längerem h.M. in Rechtsprechung und Literatur sein. So führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. 6. 1959 – VII C 97/57 aus:

Dem BerGer. ist grundsätzlich darin beizutreten, daß Schiedsverträge – und für Schiedsgutachterverträge gilt nichts anderes – auch in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geschlossen werden können. Das ergibt sich auch aus § 30 MRVO 165.
Ein Schiedsvertrag kann jedoch nur geschlossen werden, wenn die Angelegenheit durch Vergleich zwischen den Parteien geregelt werden kann, wenn nicht Hoheitsakte den Gegenstand des Schiedsvertrages bilden und wenn nicht besondere Vorschriften in Sonderheit des Landesrechts den Abschluß eines Schiedsvertrages ausschließen (Wieczorek, ZPO Bd. IV Teil 2 Anm. I c und Anm. I c 1 zu § 1025 S. 1247; Stein-Jonas-Schönke, ZPO Bd. II Anm. II 1 und 2 zu § 1025; Klinger, Die VO über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der BrZ, 3. Aufl., Anm. A zu § 30 S. 219).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle sämtlich nicht gegeben.

Gegenstand des Schiedsverfahrens sind Hoheitsakte, nämlich Steuerforderungen der Stadt N. Über Steuerforderungen aber kann nur nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, die im Falle von Eingemeindungen nur in sehr beschränktem Umfange abwandelbar sind, nicht aber nach Vereinbarung der Parteien entschieden werden. Ferner stehen landesrechtliche Bestimmungen dem Abschluß eines Schiedsvertrages entgegen (wird ausgeführt).

Auch im Zusammenhang mit PPP-Verträgen dürfte die h.M. von der Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen ausgehen, auch wenn hierzu noch nicht sonderlich viele Aufsätze oder Urteile vorliegen. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die verfassungsrechtliche Bedenken äußern, ohne aber im Ergebnis stets zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu kommen. Das BVerfG hat sich bislang - soweit ersichtlich – weder zu der Verfassungskonformität von Schiedsgerichten für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Allgemeinen noch über die von Schiedsgerichten für PPP-Verträge im Besonderen geäußert. Es hat nur zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung (konkret: § 10 GüSchlG NW a.F., vgl. jetzt § 53 Justizgesetz NW) ausgeführt:
Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, nur kontradiktorische Verfahren vorzusehen. Er kann auch Anreize für eine einverständliche Streitbewältigung schaffen, etwa um die Konfliktlösung zu beschleunigen, den Rechtsfrieden zu fördern oder die staatlichen Gerichte zu entlasten. Ergänzend muss allerdings der Weg zu einer Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte eröffnet bleiben. (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 14.02.2007 – 1 BvR 1351/01)

Die Fraktion lehnt nicht nur die Schiedsgerichtsklauseln in PPP-Verträgen ab, sondern die PPP-Verträge insgesamt. Wir halten PPP für nicht reformierbar (vgl. unser Positionspapier unter: http://www.linksfraktion.de/themen/oeffentlich-private-partnerschaften/ ).
Dementsprechend wenden wir uns mit unseren parlamentarischen Initiativen sowohl gegen öffentlich-private Partnerschaften im Allgemeinen als auch gegen einzelne ÖPP. Bei der Maut bspw. haben wir die Gesetzentwürfe abgelehnt und die Bundesregierung aufgefordert, das Geld bei Toll Collect einzutreiben.

Eine Klage gegen Schiedsvereinbarungen in PPP-Verträgen hat die Fraktion – soweit ich weiß – bisher nicht in Betracht gezogen. Angesichts der gegenteiligen h.M. müssten die Erfolgsaussichten solcher Klagen sorgfältig geprüft werden. Diese dürften nicht zuletzt von der konkreten Ausgestaltung der Schiedsvereinbarung im Einzelfall abhängen. So wird von einigen Autoren, darunter auch von solchen, die davon ausgehen, dass Schiedsvereinbarungen grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind, eine weitgehende Öffentlichkeit des Verfahrens gefordert.

Im Anhang zur Vertiefung ein paar Dokumente zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen..

Mit freundlichen Grüßen
Jan Korte

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