Frage an Gregor Gysi von Harald S. bezüglich Soziale Sicherung
S. G. Herr MdB Gysi,
Eine Frage zur Rentenanpassung 2015, die Sie vielleicht auch einmal der Arbeitsministerin Nahles stellen sollten. Diese Frage stellte ich auch Nahles (Antwort steht aus).
Maßgeblich für die Rentenanpassung 2015 ist u. a. das durchschnittliche Brutteinkommen der Arbeitnehmer in 2013 und in 2014. Aus dem Unterschied wird die Lohnsteigerung der Vorjahre errechnet. Nahles beabsichtigt, in das Einkommen 2014 erstmalig ca 300 000 Niedrigstverdiener (aus Behindertenwerkstätten usw.) einzurechnen.
Wie hoch ist das maßgebliche durchnittl. Arbeitseinkommen 2013, in das Niedrigstlöhner ja nicht eingerechnet sind?
Wie hoch ist das maßgebliche durchnittl. Arbeitseinkommen 2014 mit erstmaliger Einrechnung der Niedrigstlöhner?
Wie hoch ist die daraus errechnete Lohnerhöhung der Vorjahre, die u. a. maßgeblich ist für die von Nahles geplante Rentenerhöhung 2015?
Wie hoch ist die daraus errechnete Rentenerhöhung 2015 (mit erstmaliger Einrechnung der Niedrigstlöhner ins Lohnniveau von 2014 nach der Rechenformel für Rentenanpassungen)?
Wie hoch wäre das maßgebliche durchnittl. Arbeitseinkommen 2014 ohne erstmalige Einrechnung dieser Niedrigstlöhner?
Wie hoch wäre die daraus errechnete Lohnerhöhung der Vorjahre?
Wie hoch wäre die daraus errechnete Rentenerhöhung 2015 (ohne erstmalige Einrechnung der Niedrigstlöhner ins Lohnniveau von 2014 nach der Rechenformel für Rentenanpassungen)?
Trifft es zu, dass durch die erstmalige Einrechnung der Niedrigstlöhner ins Lohnniveau von 2014 die Rentnerhöhung 2015 ca. 1,5 % niedriger ausfällt und diese Einbuße in den Folgejahren nicht ausgeglichen wird?
Wäre es nicht ein Leichtes, das durchschnittliche Brutteinkommen der Arbeitnehmer in 2014 wie bisher auszurechnen und für die Rentenanpassung 2015 zu verwenden und das nach EU-Vorgaben zur Statistik errechnente durchschnittliche Brutto-Arbeitseinkommen 2014 erst zur Berechnung der Rentenanpassung 2016 zu verwenden, wie es gerecht wäre?
Sehr geehrter Herr Seiz,
Vielen Dank für Ihre Nachricht vom 5. März. Damit Sie eine konkrete und ausführliche Antwort erhalten, habe ich mir erlaubt, Ihr Schreiben an den Bundestagsabgeordneten Matthias W. Birkwald weiterzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi
Sehr geehrter Herr Seiz,
vielen Dank für Ihre Fragen, die sich auf die Rentenanpassung in diesem und im kommenden Jahr beziehen. Sie schildern darin sehr korrekt die für viele kompliziert nachzuvollziehenden Auswirkungen einer Revision der Beschäftigtenstatistik auf die künftige Höhe der Rentenanpassungen.
Zunächst aber die für jeden Rentner und jede Rentnerin wichtigste Antwort. Zum Juli 2015 steigen die Renten zwar schwächer als im Szenario ohne die Revision der Statistik, im darauf folgenden Jahr 2016 fällt der Zuwachs aber aus dem gleichen Grund stärker aus. Am Ende kompensieren sich die beiden Effekte weitgehend.
Aber mit Ihrer Kritik haben sich nichts desto trotz Recht:
Statt der von der Bundesregierung vor einiger Zeit prognostizierten Rentenerhöhung von 3,76 Prozent für Westrentner werden jetzt nur ein bis zwei Prozent erwartet. Solche großen Abweichungen kann man keinem plausibel erklären. Die Rentnerinnen und Rentner verlieren das Vertrauen in die Politik, denn die Rentenanpassungen werden immer intransparenter. Aber diese geringere Rentensteigerung wird, wie bereits gesagt, in den darauffolgenden Jahren nachgeholt und ausgeglichen.
Das Problem, dass die Rentenanpassungen Jahr für Jahr hinter der Entwicklung der Löhne und Gehälter zurückbleiben, ist also nicht auf diese statistische Revision zurück zu führen, sondern auf die Kürzungsfaktoren, die in den vergangenen 15 Jahren in der Rentenanpassungsformel wirksam waren und das Rentenniveau (als Verhältnis einer Durchschnittsrente nach 45 Beitragsjahren zum Durchschnitts-lohn) von 53 Prozent im Jahr 2001 auf 43 Prozent im Jahr 2030 drücken werden.
Das Ziel, den Lebensstandard im Alter zu sichern, wurde seit 2001 systematisch von SPD, Grünen, Union und FDP zerstört. Und zwar mit Hilfe der Beitragssatzbegrenzung und der beiden Kürzungsfaktoren: dem Nachhaltigkeitsfaktor und dem sogenannten Riesterfaktor. Dahinter verbergen sich komplizierte Berechnungen und Rückwirkungen. Aber im Ergebnis steht heute im Vordergrund, die Beiträge zur Rentenversicherung zu senken bzw. zu begrenzen – die Arbeitnehmer sollen ja schließlich „riestern“ und die Arbeitgeber sollen nicht stärker belastet werden – und andererseits die Ausgaben zu drosseln. Mehrausgaben im einen Jahr führen deshalb automatisch zu niedrigeren Rentenerhöhungen im Folgejahr.
Konkret: Die Renten werden zwischen 2001 und 2030 ein Fünftel ihres Wertes verloren haben, das heißt statt 1000 nur noch 810 Euro wert sein.
Für Neurentnerinnen und Neurentner wird der starke Trend zur Altersarmut dadurch noch weiter beschleunigt. Wer - wie DIE LINKE im Bundestag - eine echte Teilhabe der Älteren will, muss endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel streichen und wieder zu einem Rentenniveau von 53 Prozent wie im Jahre 2001 zurückkehren. Das würde in den kommenden Jahren die Renten der älteren Generation stabilisieren. Dieser Weg würde zugleich auch die Jüngeren davon überzeugen, nicht nur auf die Höhe ihrer Beiträge zu schielen, sondern mit einem Blick auf die jährliche Renteninformation zu sehen: Die gesetzliche Rente ist sicher – und zwar deutlich sicherer als jede privat finanzierte Zusatzversicherung.
Zu Ihren Detailfragen zur Revision der Beschäftigtenstatistik empfehle ich Ihnen vor allem den hervorragenden Artikel von Johannes Steffen, der die meisten, der von Ihnen abgefragten Zahlen liefert sowie die Erläuterungen durch Annelie Bunten-bach, der Vorsitzenden des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Johannes Steffen: http://www.portal-sozialpolitik.de/info-grafiken/beschaeftigungsstatistik-und-rente
Annelie Buntenbach: http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/de/Inhalt/4_Presse/medieninformationen/03_reden/Presseseminare/2014_11_12_11_wuerzburg/rede_buntenbach.pdf?__blob=publicationFile&v=3 S. 13 ff.
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Gysi