Frage an Gregor Gysi von Nicolas Dr. H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
am 23.09.2011 trat der israelische Präsident Netanjahu vor der UN mit der Botschaft auf, sich im Nahostkonfikt für die Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen, die Hand zum Frieden zu reichen, sich aber gegen die Anerkennung Palästinas durch die UN auszusprechen. Wenige Tage später, am 28.09., berichtete die Presse über die Genehmigung zum Bau weiterer 1100 Wohnungen in Ost-Jerusalem, zb. der Focus http://www.focus.de/politik/ausland/nahost/nahost-konflikt-israel-duepiert-verbuendete-mit-neuer-siedlung_aid_669674.html
Dort heißt es: ´Unterdessen warfen UN-Experten Israel vor, seit Jahresbeginn verstärkt palästinensische Häuser im Westjordanland und in Ostjerusalem abzureißen. Dies sei eine „nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzung“, sagten die Experten vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Seit Januar seien im Westjordanland und in Ostjerusalem mindestens 387 Gebäude – darunter 140 Wohnhäuser – abgerissen worden. Dies habe zur Vertreibung von 755 Palästinensern geführt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien mehr Menschen vertrieben worden, als im ganzen Jahr 2010, erklärten die Experten´.
Teilen Sie meinen Eindruck, dass es sich bei den Bau- und Abrißtätigkeiten der Behörden Israels nicht um einen mit den Bewohnern abgesprochenen Städtebau, sondern um Maßnahmen handelt, die sich nach der Abstammung der Bewohner richten? Ist es richtig, dass Israel zwar palästinensische Häuser zerstört, aber die Wohnkomplexe in den besetzten Gebieten gar nicht für die dort lebenden Palästinenser, sondern für Personen errichtet, die sich dafür als ´Juden´ legitimieren müssen? Wäre es somit richtig, dass es sich um eine staatliche Politik handelt, die sich vom Kriterium der Abstammung der auf dem Herrschaftsgebiet lebenden Menschen leiten läßt? Und, falls ja, dürfen Staaten Kriterien wie Abstammung, Religion oder Rasse als Kriterium verwenden, um Menschen Häuser zu errichten bzw. abzureissen? Vielen Dank für Ihre Antwort.
Sehr geehrter Herr Dr. Hepp,
Ihre Nachricht vom 30. September hat mich erreicht.
Zunächst ist es richtig, dass Israel immer wieder erlaubt hat, dass im Westjordangebiet Siedlungen für israelische Bürgerinnen und Bürger errichtet werden. Dabei handelt es sich zumeist um Jüdinnen bzw. Juden. Das hängt mit der Definition des Staates Israel als jüdischer Staat zusammen. Jüdinnen und Juden,egal wo sie leben, haben das Recht auf israelische Staatsbürgerschaft.
Allerdings ist die Siedlungspolitik nicht hinnehmbar. Man kann nicht mit Palästina über eine Zweistaatenlösung verhandeln und gleichzeitig auf dem Territorium Palästinas Siedlungen errichten, die die Lösung täglich erschweren. Bei Ost-Jerusalem kommt allerdings eine weitere Schwierigkeit hinzu.Israel geht davon aus, dass die gesamte Stadt Jerusalem seine Hauptstadt wird. Die Vertreter Palästinas sehen dies selbstverständlich anders. Abgesehen von einer internationalen Lösung für Jerusalem sehe ich nur die Möglichkeit, dass Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas und West-Jerusalem die Hauptstadt Israels wird.
Ferner bin ich zutiefst der Überzeugung, dass die Aufnahme Palästinas in die UNO vollzogen werden sollte. Das erhöht die Chancen Palästinas in Verhandlungen mit Israel, ohne Israel zu schwächen. Ich hoffe, dass die Entscheidung irgendwann zugunsten Palästinas getroffen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi