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Gregor Gysi
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Frage von Roswitha O. •

Frage an Gregor Gysi von Roswitha O. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Gregor Gysi

Warum bekommen eigentlich Menschen, die die DDR verlassen haben, nicht ihre Ausbildungs-und Arbeitszeiten für die Rente angerechnet?

Meine Eltern haben, wie viele andere auch, die DDR verlassen, weil ihnen die Arbeit weggenommen wurde. Lange hatte sich mein Vater geweigert, in die Volksarmee einzutreten, sie wurden bespitzelt und er wurde durch Existenz-Bedrohung zum Eintritt in die Volksarmee genötigt. Weil aber mein Vater und die anderen der Einheit sich am 17. Juni 1953 nicht aktiv an der Niederschlagung beteiligten, wurde die Einheit unehrenhaft entlassen (sie passten nicht in den Bautzener Stasi-Knast) und verloren ihren Arbeitsplatz.

Meine Eltern und viele andere wurden also durch die Nichtanrechnung ihrer Ausbildungs-und Arbeitszeit im Osten für die Rente dafür bestraft, dass sie offen ihre Meinung gesagt haben, dass sie Gleichgesinnte und Meinungs-Freiheits-Kämpfer nicht niedergeknüppelt haben und dass sie das kriminelle Regierungssystem verlassen haben.

Zudem haben sie ohne jeglichen Besitz und Hab und Gut hier im Westen über Jahrzehnte mit ihrer Hände Arbeit harte Aufbauarbeit geleistet (mein vertriebener Opa und mein Vater waren Maurer und zudem Traumatisierte).

Meine Mutter bekommt nach ihrer Scheidung nur ein Minimum an Rente, obwohl sie viele Jahrzehnte hart gearbeitet und "nebenbei" 5 Kinder großgezogen und meinen Opa gepflegt hat.

Die BRD zahlt seit vielen Jahren den Soli-Beitrag für den Aufbau Ost. Wo aber bleibt die finanzielle Solidarität für die Menschen aus dem Osten, die dort aktiv Widerstand leisteten und die mit ihrer Arbeitskraft dann den Westen mit aufgebaut haben?

Meine Eltern und viele andere Flüchtlinge haben nur eine geringe Rente und fühlen sich ungerecht behandelt und diskriminiert, weil ihre in der DDR geleistete Arbeit nicht anerkannt und gewertschätzt wird.
Bekommen Sie auch nicht Ihre Arbeitszeit in der DDR angerechnet, sehr geehrter Herr Gysi?

Mit freundlichem Gruß Roswitha Osmers

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Osmers,

Ihre Nachricht vom 11.9. hat mich erreicht. Ich habe den Abgeordneten Volker Schneider gebeten, Ihnen ausführlicher zu antworten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Osmers,

nochmals vielen Dank für Ihre Anfrage an Dr. Gysi. Als Verantwortliche der Fraktion DIE LINKE für die Probleme der Rentenüberleitung Ost möchte ich Ihnen antworten.
Einleitend möchte ich Ihnen sagen, dass die LINKE natürlich für eine Berücksichtigung aller Arbeits- und auch Ausbildungszeiten bei der Rente ist.

Bei den Renten für Menschen, die die DDR vor 1990 verlassen haben, werden die im Osten zurückgelegten Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (das es seit langem in der Bundesrepublik gibt) oder aber nach dem Rentenüberleitungsgesetz (das im Zuge der Einheit Deutschlands geschaffen wurde) berechnet.
Welche Form für die Berechnung der individuellen Renten von der Rentenversicherung herangezogen wird, hängt vom Geburtsdatum ab: Für alle vor dem 1. Januar 1937 Geborenen gilt das Fremdrentengesetz. Für alle danach Geborenen wird das Rentenüberleitungsgesetz angewandt, das auch für alle diejenigen gilt, die in der DDR geblieben sind. Nachdem, was Sie über Ihre Eltern schreiben, vermute ich, dass sie vor dem Stichtag 1. Januar 1937 geboren sind. Demzufolge würde ihre Rentenberechnung auf dem Fremdrentengesetz basieren. Dieses Gesetz wurde Anfang der 50er Jahre in der Bundesrepublik geschaffen, um die Rentenansprüche für Vertriebene und Aussiedler zu regeln. Gemäß der Fassung von Ende der 50er Jahre wurden die Berechtigten so behandelt, als hätten sie ihr Versicherungsleben nicht im Herkunftsland, sondern in der Bundesrepublik verbracht. Im Wesentlichen wird über das Gesetz geregelt, welche fremden Zeiten in der deutschen Rentenversicherung gleichgestellt werden und wie sie zu bewerten sind.
Viele Menschen waren anscheinend mit dieser Handhabe zufrieden. Jedenfalls entnehmen wir das verschiedenen Zuschriften, die von Leuten kommen, deren Rente inzwischen nach dem Rentenüberleitungsgesetz berechnet wird. Sie sind damit unzufrieden und würden lieber, wie ihnen häufig zugesagt wurde, nach dem Fremdrentengesetz bewertet werden. Wenn ich Ihren Brief richtig verstehe, haben Ihre Eltern den größten Teil ihrer Berufstätigkeit in der Bundesrepublik zurückgelegt. Der Anteil ihrer Rente, der aus DDR-Zeiten resultiert, dürfte deshalb nur gering sein. Deshalb vermute ich, dass die Rente Ihrer Eltern auch so niedrig ausfällt, weil ihre Einkommen eher niedrig waren. Entscheidend für die Rente ist ja neben den Jahren der Berufstätigkeit vor allem auch das erzielte Einkommen: Wer 45 Jahre lang für ein durchschnittliches Gehalt gearbeitet hat (es liegt derzeit bei knapp 31.000 Euro im Jahr), kommt heute im Westen auf eine Brutto-Rente von 1.224 Euro, im Osten auf 1.085 Euro im Monat.
Momentan verdient ein Maurer nach Tarifvertrag einen Mindestlohn von 12.90 Euro in der Stunde. Rund gerechnet bringt das pro Jahr 26.800 Euro. Das liegt also unter dem oben genanntem durchschnittlichen Jahreseinkommen. Entsprechend würde auch die Durchschnittsrente nicht erreicht.
Leider fallen auch die Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder zu gering aus. Für jedes Kind wird nur ein Jahr anerkannt. Dabei weiß jeder, dass in der Regel die Mütter über Jahre nur eingeschränkt berufstätig sein konnten. Entsprechend gering ist deshalb auch ihre Rente, besonders bei Frauen mit vielen Kindern, wie bei Ihrer Mutter. Zum Stichwort Ausbildungszeiten ist zu sagen: Sie werden, egal ob sie in Ost oder West absolviert wurden, in immer geringerem Maße Renten steigernd berücksichtigt.
Nun noch einmal zu Ihrer Schilderung bezüglich der Ausbildungs- und Arbeitszeiten aus der DDR. Mir ist nicht ganz klar, ob die Anerkennung trotz entsprechender Nachweise nicht erfolgt oder aber, ob die Nachweisführung so kompliziert ist. Zur Nachweisführung habe ich vor einiger Zeit eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Diese hat auf die Möglichkeit der Glaubhaftmachung verwiesen, für den Fall, dass keine Unterlagen vorhanden sind. Unter dem folgenden Link finden Sie die Antwort: http://dserver.bundestag.btg/btd/16/068/1606899.pdf . Wenn Ihre Eltern Repressalien ausgesetzt waren, bestünde noch die Möglichkeit, über die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze eine Entschädigung zu erhalten. Allerdings erhält diese monatliche Zahlung nur, wer mindestens sechs Monate inhaftiert war. Wie viele Betroffene, so halte auch ich, hält meine Fraktion DIE LINKE, diese Gesetze nicht für ausreichend. Sie verfolgen leider nicht das Ziel einer angemessenen Entschädigung.
Meine Fraktion sieht sich angesichts dessen, was Menschen vorgeblich im Namen des Sozialismus widerfahren ist, besonders in der Pflicht. Wir haben deshalb bei den entsprechenden Verhandlungen im Bundestag im März 2007 einen eigenen Gesetzentwurf eingereicht:
http://dserver.btg/btd/16/048/1604846.pdf

Damit ging es uns, wie Sie sehen werden, unter anderem um die Anrechnung (oder besser Nicht-Anrechnung) einer Entschädigungsrente auf weitere Einkommen, um die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen und um die gesundheitlichen Folgeschäden einer Haft. Leider fanden diese Forderungen keinen Eingang in das Gesetz der Bundesregierung. Wenn ich Ihnen auch nicht konkret helfen kann, so hoffe ich doch, dass Ihnen die Informationen nützlich sind. Wenn noch nicht geschehen, könnten Sie auch einmal einen Rentenberater aufsuchen, um die Unterlagen Ihrer Eltern prüfen zu lassen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Eltern alles Gute.

Mit freundlichen Grüßen

MdB Dr. Martina Bunge

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