Frage an Gitta Bockwold von Frank J. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Bockwold !
Ich bin relativ erstaunt, dass Sie als angehende Diplom-Volkswirtin, derartige Vergleiche mit anderen Ländern wie England oder Frankreich in punkto Mindestlohn ziehen. Gemäß dem deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist in der BRD die Schere zwischen Arm und Reich zwar auseinander gegangen, jedoch ist diese auseinanderklaffende Schere im internationalen Vergleich gerade auch mit England, Frankreich und den USA relativ gering.
Weiterhin wurde beim DIW festgestellt, dass dies eine direkte Folge der extrem hohen Arbeitslosigkeit der letzten Jahre war. So klafft die Schlucht in den neuen Bundesländern umso weiter auseinander, als in den alten Bundesländern.
Quelle : http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/;art271,2274451
Zumal gerade in GB am wenigsten Unterstützung für Arbeitslosigkeit gewährt wird
Quelle : www.kei-kassel.gmxhome.de/nachr/nac-4.htm.
Wie die Zeitung "La Tribune"
Quelle : http://www.derwesten.de/nachrichten/wirtschaft-und-finanzen/2008/1/29/news-19533169/detail.html berichtet, sind tatsächlich in der BRD Lebensmittel am günstigsten. Im Parteiprogramm der Linken wird immer wieder propagiert, alle Finanzierungen über hohe Einkommen oder Vermögen bzw. Gewinne der Wirtschaft erfolgen sollen.
Was wollen Sie in diesem Fall gegen Kapitalabwanderung unternehmen? Der Fall Nokia zeigt, dass der Wirtschaftsstandort wichtig ist und nicht die schöne Landschaft. Wie wollen Sie denn Vermögende (also meist auch Entscheidungsträger der Wirtschaft) dazu bringen, gerade hier Arbeitsplätze zu schaffen bzw. Ihre Steuern zu entrichten? Was wollen Sie gegen steigende Produktpreise unternehmen, wenn die Firmen die höheren Lohnkosten und höhere Besteuerung auf die Produkte aufschlagen, man also auf dem Papier mehr Geld hat, dies aber für höhere Produktkosten ausgeben muss? Wie wollen Sie jemanden mit ALG II zu einer Arbeit bringen, wenn dieser hoch verschuldet ist (...bei Einkommen Pfändung) ?
Sehr geehrter Herr Jahncke,
ich bedanke mich für Ihren Beitrag, der mir ermöglicht, das Thema weiter zu vertiefen und beglückwünsche Sie zu Ihrem Fast-Namensvetter bei der SPD: Frank Jahnke, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD Fraktion im Bundestag.
Aber nun zu Ihren Fragen:
1) Warum ziehen sie Vergleiche zu anderen Ländern in Punkto Mindestlohn?
Grundsätzlich ist es sinnvoll die Wirkungen einer wirtschaftspolitischen Maßnahme in Ländern zu untersuchen, die bereits seit langem einen gesetzlichen Mindestlohn haben. Die Alternative wäre das Durchdeklinieren ausschließlich theoretischer Modelle.
In dem Zusammenhang kann man empirisch festhalten:
- Ein Mindestlohn führt dazu, dass nicht länger Hungerlöhne für gute und produktive Arbeit gezahlt werden.
- Ein Mindestlohn führt nicht dazu, dass verkürzt gesagt "alle Arbeitgeber" fluchtartig das Land verlassen und es keine Arbeitsplätze mehr gibt.
- Ein Mindestlohn führt zu mehr Arbeitsplätzen, dies belegt auch eine neue wirtschaftswissenschaftliche Studie. Deshalb liegt die Arbeitslosenquote in den von Ihnen genannten Staaten auch niedriger als in Deutschland.
Mit der Einführung eines Mindestlohns wird Armut trotz Arbeit bekämpft sowie das Tarifsystem vor Lohndumping geschützt und verhindert, dass Arbeitsentgelte unter das Existenzminimum sinken. Dies bedeutet eine Steigerung der Löhne für viele ArbeitnehmerInnen, die jetzt noch zu unangemessenen Hungerlöhnen arbeiten. Wer über mehr Geld verfügt, der konsumiert auch mehr und über diese zusätzliche Nachfrage freuen sich dann die Unternehmen, die mehr investieren und mehr Leute einstellen.
2) Und die Schere zwischen arm und reich?
Laut destatis/WSI-Tarifarchiv sind die Reallöhne in den 15 alten EU-Ländern von 1995 bis 2004 in Frankreich um 7,4 %, in den USA um 19,6 %, in Großbritannien und Schweden sogar um etwas über 25 % gestiegen. Davon können inländische ArbeitnehmerInnen nur träumen: im gleichen Zeitraum sind in Deutschland die realen Löhne um 0,9 % gesunken!
Das heißt konkret, die arbeitende Bevölkerung kann sich knapp 1% weniger Güter und Dienstleistungen kaufen als noch 1995 und das, obwohl unsere Volkswirtschaft seitdem um ein vielfaches produktiver geworden ist. Aber wo ist das Geld geblieben?
Die Antwort liefert uns das von Ihnen angeführte DIW Berlin bei Betrachtung aller Einkommensarten, also Einkommen aus Vermögen, Selbstständige, Beamte und abhängig Beschäftigte auf Grundlage von Daten bis 2004: die oberen 10 % der Einkommenspyramide konnten ihr reales Einkommen um gut 7 % , die "ökonomische Elite", also die oberen 0,001 %, sogar um 35 % steigern. Offensichtlich ist es so, dass eine massive Umverteilung des Produktivitätszuwachses zu Gunsten der Einkommen aus Vermögen stattfindet und die "Schere zwischen arm und reich" bzw. die Schere zwischen Arbeitseinkommen und Einkommen aus Vermögen immer weiter auseinandergeht.
DIE LINKE. tritt an, diesen Trend umzukehren.
Und was hat das mit dem Mindestlohn zu tun?
Um die Brücke zurück zum Mindestlohn zu schlagen, müssen wir uns mit der sogenannten Lohnspreizung auseinandersetzen, die eine Aussage über die Verteilung der Lohneinkommen macht: ist sie hoch, gibt es Niedriglöhne für viele und Spitzeneinkommen für wenige Arbeitnehmer, also starke Unterschiede in der Entlohnungsstruktur. Ist die Lohnspreizung gering, sind die Unterschiede nicht so stark ausgeprägt.
Nach Berechnungen der Europäischen Kommission gab es 2002 innerhalb der EU nur vier osteuropäische Länder, in denen die Lohnunterschiede unter den Beschäftigten so ausgeprägt waren wie in Deutschland. Deutschland belegte Platz 21 im Vergleich mit den anderen EU25-Ländern in der Lohnspreizungsskala.
Die Ursachen hierfür liegen u.a. in hoher Arbeitslosigkeit und dem starken Anstieg des Niedriglohnsektors. Denn, wo ein hoher Anteil an Arbeitslosen zu verzeichnen ist, sind die Löhne niedriger (in Ostdeutschland niedriger als in Westdeutschland). Und dort, wo die Löhne niedriger sind, können die Menschen weniger kaufen und, wo weniger gekauft wird, gibt es weniger Beschäftigung, also mehr Arbeitslosigkeit (im Osten ist diese höher als im Westen). Erschwerend kommt hinzu, dass ArbeitnehmerInnen aufgrund völlig verfehlter Gesetze wie Hartz IV dazu gezwungen sind, jede Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen. Diese Entwicklung hat zusätzlichen Druck auf das gesamte Lohngefüge ausgeübt.
Die von uns geforderte Einführung eines gesetzlichen branchenübergreifenden Mindestlohns und die damit einhergehende Anhebung der Niedriglohneinkommen würde zu einer weniger drastischen Lohnspreizung und damit zu mehr Lohngerechtigkeit und einer generellen Steigerung des Lohnniveaus führen.
Die dadurch steigende Nachfrage und der Wegfall des Drucks auf ArbeitnehmerInnen zu Hungerlöhnen arbeiten zu müssen, hätten mehr Investitionen und die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen zur Folge.
Laut neuesten Umfragen befürworten 80% der BürgerInnen den gesetzlichen Mindestlohn als geeignetes Instrument für mehr Gerechtigkeit bei der Entlohnung.
3) Was wollen Sie im Fall der Finanzierungen über hohe Einkommen oder Vermögen bzw. Gewinne der Wirtschaft gegen Kapitalabwanderung unternehmen?
Welche Finanzierungen meinen Sie konkret? Der konstruierte Zusammenhang zwischen Kapitalab- und -zuflüssen und der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist mir nicht bekannt.
Gerade der von Ihnen angeführte "Fall Nokia", zeigt doch deutlich, dass für Unternehmen nicht die Höhe der Löhne, sondern die Höhe der gewährten Subventionen oder auch andere Parameter wie Steuersätze, etc. ausschlaggebend für die Standortwahl sind. Nokia hat deutlich über dem Mindestlohn liegende Gehälter gezahlt, dabei satte Gewinne gemacht und hätte auch dann den Standort gewechselt, wenn die Löhne erheblich niedriger gewesen wären.
Das Unternehmen möchte die Rendite durch Verlagerung an einen Standort mit niedrigeren Steuern und höheren EU-Zuschüssen steigern und agiert damit nach aktueller Rechtslage im legalen Bereich. In diesem Sinne, kann dem Unternehmen nicht die ursächlich verfehlte Subventionspolitik, die falsche Anreize setzt, zum Vorwurf gemacht werden. Es gilt viel mehr diese zu korrigieren, sonst könnte noch der Eindruck entstehen, es sei die Aufgabe von Politik Renditeerwartungen institutioneller Anleger zu befriedigen.
Um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren, muss die überfällige Harmonisierung der Steuerpolitik und der Sozialstandards innerhalb der EU vorangetrieben werden. Dafür steht DIE LINKE.
4) Wie wollen Sie denn Vermögende (also meist auch Entscheidungsträger der Wirtschaft) dazu bringen, gerade hier Arbeitsplätze zu schaffen bzw. Ihre Steuern zu entrichten?
Gerade Deutschland mit einer der niedrigsten Steuerquoten im internationalen Vergleich ist durch erhebliche Entlastungen zu Gunsten von Unternehmen und Spitzenverdienern sowie dem massiven Sozial- und Lohnabbau für Investoren in den letzten Jahren hochattraktiv geworden. Auch die steigenden ausländischen Netto-Direktinvestitionen bestätigen: das Kapital kommt gern zu uns.
Auf makroökonomischer Basis können wir festhalten, dass dann investiert wird, wenn zu erwarten ist, dass Produkte abgesetzt werden. Das setzt voraus, dass die Masse der Bevölkerung über finanzielle Mittel verfügt, um die produzierten Waren nachzufragen. Denn der größte Teil der Arbeitsplätze ist nicht in den "Multinationalen Konzernen" angesiedelt und auch nicht mehr in der industriellen Produktion. Die meisten Arbeitsplätze stellt heute das kleine und mittlere Gewerbe und v. a. der Dienstleistungsbereich.
Der Anteil des Exports am BIP wird immer wieder überschätzt: maßgeblich ist und bleibt die Binnennachfrage. Viel mehr sind die durch die moderate Tarifentwicklung der letzten Jahre ermöglichten Vorteile für die Exportwirtschaft, aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, durch die schwache Binnenkonjunktur wieder zunichte gemacht worden.
Wie ich schon weiter oben erläutert habe, führt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu einem höheren Lohnniveau und damit zu mehr Nachfrage und zu mehr, statt weniger Investitionen und Arbeitsplätzen. Auch der Vergleich mit anderen Ländern, die Mindestlöhne eingeführt haben, zeigt: die Sorge, die Vermögenden würden anderswo investieren und Arbeitsplätze schaffen, ist unberechtigt. Im Gegenteil, Deutschland bietet neben den Steuervorteilen u. a. eine hervorragende Infrastruktur und qualifizierte ArbeitnehmerInnen. Außerdem müssen auch in anderen Ländern Produkte in der Masse nachgefragt werden, oder wie Henry Ford es einmal sagte: "Autos kaufen keine Autos".
5) Was wollen Sie gegen steigende Produktpreise unternehmen, wenn die Firmen die höheren Lohnkosten und höhere Besteuerung auf die Produkte aufschlagen, man also auf dem Papier mehr Geld hat, dies aber für höhere Produktkosten ausgeben muss?
Die Ursachen von Inflation sind vielfältig. In Deutschland und allen anderen Staaten der Währungsunion ist für die Geldmengensteuerung die EZB zuständig. Diese kontrolliert über die in Umlauf gebrachte Geldmenge und den Leitzinssatz das Inflationsniveau. Ich kann sie also beruhigen: höhere Löhne führen nicht zwangsläufig zu einer Inflation. Dies liegt, vereinfacht gesagt, u. a. an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen und daran, dass gerade Personen mit sehr viel Geld kein Interesse an einer Entwertung ihres Vermögens haben. Eine moderate Inflationsrate ist dennoch immer anzustreben, da totale Preisrigidität oder gar Deflation zu einem Rückgang an Arbeitsplätzen führen würde. Leider ist die EZB als Institution nur dem Ziel der Preisstabilität und nicht auch dem Ziel der Vollbeschäftigung verpflichtet.
6) Wie wollen Sie jemanden mit ALG II zu einer Arbeit bringen, wenn dieser hoch verschuldet ist (...bei Einkommen Pfändung)?
Für die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist es unerheblich, ob das Individuum verschuldet ist oder nicht: entweder es gibt Arbeitsplätze oder es gibt keine. Sicher haben Sie Recht mit Ihrer Annahme, dass zu wenige Arbeitsplätze zur Verschuldung vieler Haushalte führen. Das bedeutet wir brauchen mehr Arbeitsplätze und zwar solche, die mit existenzsichernden Löhnen bezahlt werden. Dies führt zu mehr Beschäftigung und zu weniger Haushaltsüberschuldungen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns kann hierzu entscheidend beitragen - dafür steht DIE LINKE.
Herzliche Grüße
Gitte Bockwold