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Gert Winkelmeier
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Gert Winkelmeier von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Winkelmeier,

im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg fällt mir manchmal Vietnam ein. Geht es Ihnen auch so?

Haben die Taliban ein Rückzugsgebiet in Pakistan und können sie schon deshalb nicht entscheidend besiegt werden?

Fehlt eine umfassende Strategie zur Beseitigung des Drogenproblems und haben die Taliban somit eine dauerhafte Einnahmequelle?

Hat Isaf- Kommandant McNeill behauptet, daß für die Erreichung der NATO-Ziele 400.000 Mann erforderlich sind und nach dem Hinzukommen der afghanischen Armee immer noch 260.000 Soldaten fehlen werden?

Ist die Terrorgefahr in den USA und in Europa in den fast 7 Jahren des Afghanistankrieges größer oder kleiner geworden?

Liegt ein Bündnisfall vor, wenn nicht der Bündniszweck sondern das Gegenteil erreicht wird?

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre Fragen. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass vielen Menschen beim Thema Afghanistan Vietnam einfällt. Allerdings mit einem kleinen Unterschied: Diesmal ist Deutschland mit dabei. Nun sind historische Vergleich immer problematisch, aber es gibt durchaus Parallelen. Dies betrifft die militärische Lageentwicklung und die strategischen Ziele beider Kriege. In Vietnam führten die USA mit den Verbündeten aus Australien und Südkorea Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam, um ihren strategischen Einfluss in Asien gegenüber der Sowjetunion und China zu behaupten. Für die Weltöffentlichkeit erklärten sie ihn als Kreuzzug gegen den Kommunismus zur "Verteidigung der Werte der freien Welt". Das hinderte die westliche Vormacht jedoch keineswegs daran, in Lateinamerika gleichzeitig Diktatoren der übelsten Sorte zu unterstützten. In Deutschland wurde der Propagandaspruch ausgegeben: Die Freiheit Westberlins wird in Vietnam verteidigt. Peter Struck, der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende, hat damals offensichtlich gut aufgepasst. Er wandelte als Verteidigungsminister die Parole ab in "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt".

Die USA haben nach dem Ende des Ost-West-Konflikts den Anspruch formuliert, keinem Staat und keiner Staatenkoalition zu erlauben, auch nur annähernd so stark zu werden, wie sie. Afghanistan steht bereits seit 1979 im geostrategischen Fokus der USA. Dies ist hier nachzulesen:

http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html

Nachdem das von ihnen mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes ISI ab 1994 installierte Regime der Taliban nicht so funktionierte, wie sich dies die US-Strategen vorgestellt hatten, ließ man die Gotteskrieger fallen und setzte wieder auf die Warlords der sogenannten Nordallianz. Der Überfall auf Afghanistan im Jahr 2001 wurde damit begründet, dass die Taliban die Planung und Ausführung der Attentate des 11. September von ihrem Territorium zugelassen hätten. Die USA reklamierten deswegen das Recht auf Selbstverteidigung. Dazu nur so viel: Es gibt weder Beweise für die behauptete mittelbare Täterschaft der Talibanregierung noch eine rechtliche Grundlage für diesen Krieg. Keine der beiden Resolutionen des Sicherheitsrates der UNO vom September 2001 -- 1368 und 1373 -- ermächtigt die USA zur militärischen Gewaltanwendung.

Die heutige offizielle Begründung für den Afghanistankrieg lautet: Wir wollen dem Land Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bringen. Vor dem Hintergrund der vom US-Präsidenten angeordneten Foltermethoden bei Verhören und dem jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn sprechenden Gefangenenlager Guantánamo kann sich jedermann seinen Reim darauf machen.

Tatsächlich geht es ausschließlich darum, einen dauerhaften strategischen Brückenkopf gegen China und den Einfluss Russlands und Irans in Zentralasien zu bilden. Wegen seiner Lage und des Fehlens einer noch nie in seiner Geschichte vorhandenen starken Zentralgewalt bietet sich hierfür Afghanistan aus Sicht der USA besonders an. Militärisch wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein, alle Anzeichen sprechen dagegen. Die Zahl der Anschläge, Gefechte und Scharmützel hat ein hohes Niveau erreicht und steigt weiter an. Die Afghanen wehren sich gegen die Fremdherrschaft. Was dies bedeutet, musste England im 19. Jahrhundert bereits mehrfach erleben. Die NATO und die Koalition der übrigen Willigen hat daraus jedoch offensichtlich nichts gelernt.

Der vor kurzem als Oberbefehlshaber in Afghanistan ausgeschiedene General McNeill hat in seiner Abschiedspressekonferenz in der Tat von 500 000 Soldaten gesprochen, die erforderlich wären, um das Land militärisch zu kontrollieren und den Aufstand niederzuschlagen. Ich habe keine Veranlassung, an dieser Einschätzung eines Fachmannes zu zweifeln, die auch von russischen Militärs geteilt wird. Und die wissen, wovon sie reden. Mc Neills Nachfolger verfügt über eine Truppenstärke von ca. 60 000. Allein dieser Zahlenvergleich genügt, um den Irrsinn von Forderungen nach mehr Kampftruppen zu verdeutlichen: Welcher Politiker wäre wohl bereit, die Zahl der Soldaten um 800 Prozent zu erhöhen? Und: Wo sollten sie denn auch herkommen!

Ja, die Taliban haben ein Rückzugsgebiet in den sogenannten Stammesgebieten Pakistans. Das sind Teile des Landes im Grenzgebiet zu Afghanistan, über die die pakistanischen Regierungen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 noch nie die volle Staatsgewalt ausüben konnten. Den lokalen Führer und Stammesfürsten ist ein autonomer Status zugestanden worden. Hier leben beiderseits der 2 400 Kilometer langen Grenze überwiegend Paschtunen, die in Afghanistan die größte Ethnie bilden. Sie erkennen diese Grenze mitten durch ihr Stammesgebiet nicht an. Dabei haben sie das Völkerrecht auf ihrer Seite: Sie geht auf die sogenannte Durand-Linie zurück, die 1893 zwischen dem englischen Vizekönig von Britisch-Indien und dem russischen Zaren auf 99 Jahre vertraglich als Grenze des jeweiligen Einflussgebietes festgelegt worden war. In diesen Stammesgebieten tummeln sich die Geheimdienste jeglicher Couleur und spielen ihr jeweils eigenes Spiel. Der britische MI6 hat übrigens seit 1947 beste Beziehungen zum pakistanischen ISI. England hat seine Ambitionen in diesem Raum nie aufgegeben und geht nach dem Motto vor: Teile und herrsche. Viele regionale Probleme -- unabhängig von den strategischen Zielen der einzig verbliebenen Supermacht USA und ihrem Vorgehen -- haben hier ihre Ursache. Schon aus diesem Grund verbietet sich eine Beteiligung unseres Landes an diesem Krieg.

Am Mohnanbau für die Herstellung von Drogen verdienen in erster Linie die oben erwähnten Warlords. Die Drogenmafia reicht bis weit in hohe Repräsentanten der derzeitigen afghanischen Regierung hinein, die Taliban sind hier nicht das Hauptproblem. Eine konsequente Gegenstrategie ist daher nur schwer durchzusetzen, denn die Verbündeten für die eigenen Absichten müssen schließlich bei Laune gehalten werden. Im Übrigen darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass die USA überhaupt an einer solchen Strategie interessiert sind. Ich empfehle Ihnen dazu das Buch des amerikanischen Professors McCoy mit dem Titel: "Die CIA und das Heroin: Weltpolitik durch Drogenhandel".

Die Frage nach der Bedrohung durch den Terrorismus in den USA und in Europa will ich so beantworten: Dies hängt ganz davon ab, welche Ziele diejenigen verfolgen, die in den meisten Fällen die unsichtbaren Fäden des Terrorismus ziehen, unsichtbar auch für diejenigen, die Terrorakte durchführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einige historische Beispiele verweisen.

* Die von Präsident Kennedy verworfene "Operation Northwoods" von 1962, von den US-Stabschefs entworfen mit dem Ziel, CIA-geführte Attentate in den USA so anzulegen, dass man sie Kuba in die Schuhe schieben konnte ( http://www.gwu.edu/~nsarchiv/news/20010430/doc1.pdf );
* Das Attentat von Bologna 1980, das vom italienischen Geheimdienst organisiert worden war ( http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/402451/ );
* Das "Celler Loch" in Deutschland ( http://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch )

Dass die Taliban hingegen Europa oder die USA im Visier hätten, wird von Fachleuten verneint. Im Übrigen dient das Schüren der Ängste vor der Terrorgefahr nur einem Zweck: der Einführung eines Präventionsstaats. Der Kabarettist Georg Schramm hat das neulich in der ZDF-Sendung "Neues aus der Anstalt" sehr schön auf den Punkt gebracht.

http://de.youtube.com/watch?v=QWWpvs6aY-M&feature=related

Ihre Frage nach dem Bündnisfall, den der NATO-Rat 2001 nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages beschlossen hat, möchte ich ausschließlich unter rechtlichen Gesichtspunkten beurteilen. Die Terroranschläge des 11. September sind hochkriminell, aber kein Angriff auf die USA. Deswegen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch in den beiden oben erwähnten Resolutionen Maßnahmen beschlossen, die der Bekämpfung dieses kriminellen Aktes angemessen sind: polizeiliche, geheimdienstliche und juristische. Für die Ausrufung des Bündnisfalls gab es somit keine völkerrechtliche Grundlage. Dies gilt übrigens selbst dann, wenn man die Sichtweise des NATO-Rates teilen würde, es habe sich um einen militärischen Angriff auf das Territorium der USA gehandelt. Denn das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung endet nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen dann, wenn der Sicherheitsrat in einem solchen Fall Maßnahmen ergriffen hat. Exakt dies ist mit den beiden Resolutionen aber geschehen. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der "Operation Enduring Freedom" (die von der Bundesregierung im Gegensatz zu ISAF mit dem Bündnisfall begründet wird) ist mithin völkerrechts- und damit verfassungswidrig.

Mit freundlichen Grüßen

Gert Winkelmeier