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Gerold Reichenbach
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Frage von Rüdiger S. •

Frage an Gerold Reichenbach von Rüdiger S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Reichenbach,

meine Frage lautet: Wie will die rotgrüne Regierung die Arbeitslosigkeit bekämpfen wenn durch immer höhere Produktivität und Rationalisierung immer mehr Produkte mit immer weniger Arbeitnehmern produziert werden?
Ist es denn der richtige Weg die Arbeitnehmer unter Druck zu setzen zu immer niedrigeren Löhnen zu arbeiten?

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Antwort von
SPD

Lieber Rüdiger Sockel,

Ihre Fragen zur Zukunft der Arbeit brennen nicht nur Ihnen aus den mir bekannten persönlichen Gründen unter den Nägeln, sondern auch mir! Da Sie die schwierigste Frage überhaupt ansprechen und sich eine vereinfachende Antwort verbietet, wird die Entgegnung etwas länger. Ich bitte um Verständnis.

Würdige Arbeit zu gerechtem Lohn ist die Grundvoraussetzung für Teilhabe an der Gesellschaft und für ein soziales Miteinander. Allerdings ist die (Voll-) Erwerbsgesellschaft seit den 70ger Jahren in mehreren Schüben in die Krise gerutscht. Ein allumfassendes Gegenrezept hat bisher niemand. Mit den Rezepten, die die Union den Menschen jetzt anbietet, hat sie es sechzehn Jahre versucht. Das Ergebnis war nicht der Abbau, sondern der Aufbau der jetzigen Massenarbeitslosigkeit. Kohl hatte am Ende - ohne die jetzt in der Statistik befindlichen ehemaligen Sozialhilfeempfänger - 4,8 Mio. Arbeitslose. Nun fordert die Union noch mehr Abbau von Arbeitnehmerrechten, noch mehr Belastungen für Arbeitnehmer und Rentner: Kündigungsschutz und Tarifautonomie schleifen, länger arbeiten und gleichzeitig Löhne senken, Sonn- und Nachtarbeitszuschläge besteuern, Pendlerpauschale streichen, Mehrwertsteuererhöhung, Kopfpauschale – im Gegenzug sollen die Spitzensteuern gesenkt und Unternehmen massiv entlastet werden. Das Ergebnis werden noch mehr Rekordgewinne – aber kaum mehr Arbeitsplätze sein. Es ist eine Illusion, die Globalisierung durch Lohn- und Sozialdumping meistern zu wollen. In diese Richtung wollen wir, die Sozialdemokraten, explizit NICHT gehen. Franz Müntefering hat erst vor einigen Wochen die Unternehmen aufgefordert, ihre wiederholt hohen Gewinne an die Arbeitnehmer in Form von Lohnerhöhungen weiterzugeben. Und wir wollen einen gesetzlich abgesicherten tariflichen Mindestlohn. Arbeitsplätze in unserem Land halten wir nur durch Qualität und Produktivität. Und neue Arbeitsplätze schaffen wir nur durch Erschließung zukunftsträchtiger Märkte. Die Explosion von Öl- und Rohstoffpreisen zeigt, in einer Welt die von 2,5 auf über 6 Milliarden Menschen angewachsen ist, gibt es einen riesigen Bedarf an Rohstoffe-schonenden Technologien sowie umweltfreundlicher und nachhaltiger Energieerzeugung. Hier liegt die Zukunft, nicht in der Kernenergie. Dazu brauchen wir mehr Investitionen in Forschung und Bildung - bessere Ausbildung durch Förden statt früher Auslese. Dafür setze ich mich ein, erste Schritte wurden gemacht. Ihre Analyse der Problematik der Produktivitätssteigerung ist richtig - allerdings nur für den Güterbereich und dann auch nur, wenn man Innovationspotenziale unberücksichtigt lässt. Schon heute werden über 70% der Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet und hier gibt es keine so großen Rationalisierungspotenziale: die Operation des Blinddarms, der Mathematikunterricht für den Schüler, die Pflege eines alten Menschen, all das lässt sich nicht einfach immer mehr rationalisieren. (Die betriebswirtschaftliche Denke, die in diesen Bereichen teilweise Einzug gehalten hat, schafft ja oft mehr Probleme, als sie löst.) Da unser Dienstleistungsmarkt aber im Vergleich zu anderen EU-Ländern eher unterentwickelt ist, muss dieser Bereich weiter entwickelt werden. Dies geht nicht durch Lohndumping, sondern nur durch solide und solidarische Finanzierung der sozialen Aufgaben. Für uns Sozialdemokraten ist das ein wichtiges Ziel. Ob es sich um die Entwicklung des Dienstleistungsmarktes oder um andere Strukturveränderungen zur nachhaltigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit handelt, eines ist klar: wirksame Maßnahmen können nur noch in Koordination mit anderen EU-Ländern getroffen werden. Gemeinsame Sozialstandards, gemeinsame Steuerstandards, gemeinsame Lohnstandards innerhalb der EU müssen unser Ziel sein. Weil diese Ziele in dem Entwurf der EU-Kommission für eine Dienstleistungsrichtlinie nicht vorkamen, haben wir Sozialdemokraten diese Richtlinie abgelehnt. Wir wollen verhindern, dass wir von europaweit oder international agierenden Unternehmen noch mehr gegeneinander ausgespielt werden, wie es das Beispiel Opel vor unserer Haustür gezeigt hat. Ich weiß, der Weg ist lang, aber wenn wir uns heute nicht aufmachen, dann ist er morgen noch länger.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Gerold Reichenbach