Frage an Gerold Reichenbach von Jens A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Hr. Reichenbach,
am Wochenende hat Hr. Maas in einem Interview gesagt, dass das geplante Netzwerkduchsetzungsgesetz eigentlich nur die bestehende Rechtslage präzisiere, und insbesondere die Frage, was strafbare Inhalte sind, nicht auf die Betreiber abschiebe. Da dies ja einer der grössten Kritikpunkte am Gesetz ist, und er in der Presse eher entgegengesetzt interpretiert wird, wäre ich für eine Klärung dankbar. Wie müsste ein Betreiber handeln, wenn ich einen Beitrag melde, den ich als strafbar einstufe, der aber nicht offensichtlich strafbar ist? Müsste dort erst eine gerichtliche Klärung des Sachverhalts abgewartet werden, und dann innerhalb von 7 Tagen gehandelt werden? Oder muss der Betreiber innerhalb der 7 Tage entscheiden, ob der Inhalt strafbar ist und entsprechend handeln?
Daneben stellt sich mir die Frage, was genau unter Löschen im Sinne des geplanten Gesetzes zu verstehen ist. Soziale Medien speichern die Daten ja nicht zentralisiert sondern setzen verteilte Datenbanken ein, auf denen Daten redundant auf verschiedenen Servern an mehreren Standorten gespeichert werden. Einige dieser Server befinden sich sicherlich außerhalb Deutschlands. Verlangt das Gesetz, dass diese Inhalte weltweit gelöscht werden? Wenn ja müssten in der Konsequenz auch Staaten wie China die Möglichkeit haben, das Löschen von Inhalten weltweit durchzusetzen - eine eher erschreckende Konsequenz.
Abschließend stellt sich mir noch eine praktische Frage. Soziale Medien werden ja auch von Journalisten und der Presse benutzt. Gelten hier besondere Ausnahmeregelungen bzw. die Regeln des Presserechts, z.B. zur Gegendarstellung? Wie werden Einzelpersonen, die z.B. Youtube-Channel betreiben eingeordnet?
Mit freundlichen Grüssen,
Jens Auer
Sehr geehrter Herr Auer,
vielen Dank für ihre Fragen, die ich gerne beantworte. Zunächst bleibt festzuhalten, dass nach §10TMG die Dienste auch jetzt schon verpflichtet sind, rechtwidrige Inhalte zu entfernen bzw. löschen, sobald sie Kenntnis davon haben, also z.B. wenn sie ihnen von einem Nutzer angezeigt werden:
„§ 10 Speicherung von Informationen
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern
1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder
2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird.“
Durch die so genannte geolocation sind die Daten aus Ländern, in denen das Netzwerkdurchsetzunggesetz nicht greift weiterhin abrufbar, sofern sie nachdem dem dortigen Recht zulässig sind und nicht gegen die AGB der Anbieter verstoßen.
Da die Unterlassung aber bisher nicht sanktionsbewehrt ist, da Verstöße gegen die sich aus §10 ergebenden Pflichten nicht in den Bußgeldkatalog unter §15 aufgenommen sind, blieb die Unterlassung für die Diensteanbieter folgenlos. Bei jedem einzelnen Inhalt hätte dann der Betroffene entsprechend Anzeige und Klage erheben müssen, erst dann wäre auch der Diensteanbieter neben dem Verursacher gegebenenfalls in Mithaftung genommen worden.
Dies soll durch das jetzige Gesetz geändert werden, das weiter nicht den einzelnen Verstoß gegen die Pflichten sondern die „systematische Missachtung“ sanktioniert. Dabei sind nur soziale Netzwerke betroffen, die im Inland mehr als 2 Millionen registrierte Nutzer haben. Die Löschpflicht gilt für „offensichtlich“ rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden, "nicht-offensichtlichen Rechtsverletzungen" sollen "in der Regel" binnen 7 Tagen entfernt werden, die Im Gesetz in §1 Abs 3 definiert sind:
„Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte im Sinne des Absatzes 1, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131,140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen.“
Offensichtliche Rechtsverletzung meint dabei, dass sie als solche ohne vertiefte Prüfung sofort erkannt werden kann. Dies ist oft sehr eindeutig, etwa bei der Verwendung von Nazisymbolen (§86, und 86a StGB) oder einer Anleitungen zum Bombenbau (§91 StGB) oder dem Aufruf zum Terroranschlag. Diese Hinweise sollen binnen 24 Stunden geprüft und entfernt werden.
Bei nicht-offensichtlichen Rechtsverletzungen, etwa wenn Aussage gegen Aussage steht, Stellungnahmen oder Expertise eingeholt werden müssen oder der Kontext einer Äußerung geprüft werden müssen, sollen die Anbieter diese Hinweise "in der Regel binnen 7 Tagen" prüfen. Hierzu können die Unternehmen ein System der regulierten Selbstregulierung etablieren. So kann gerade für die äußerungsrechtlich schwierigen Fälle eine staatsferne Entscheidung in einem unabhängigen Gremium einer anerkannten Selbstregulierung entscheiden werden. Damit soll verhindert werden, dass die Unternehmen zum Richter über die Meinungsfreiheit werden. Dort wo es keine gefestigte Rechtsprechung gibt, bedarf es auch weiterhin einer juristischen Klärung.
Das Gesetz sieht vor, dass journalistisch-redaktionelle Plattformen - also etwa die Fanseite einer Zeitung oder eines Rundfunksenders bei Facebook aber auch andere journalistisch-redaktionelle Angebote (dies können theoretisch auch Youtube-Anbieter sein, wenn es sich um journalistisch-redaktionelle Inhalte handelt) sind von dem Complience-Vorschriften des Gesetzes ausgenommen. Journalistisch-redaktionelle Angebote bleiben in der Verantwortung der jeweiligen Anbieter. Dabei hat sich bereits in den letzten Jahren eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt, wann beispielsweise ein Blog als ein journalistisch-redaktionelles Angebot angesehen werden kann und miss. Momentan gibt es außerhalb dieser Thematik eine Diskussion, inwieweit Youtuber mit hohem Verbreitungsgrad , mit regelmäßigem „Programm“ und einer gewissen Meinungsbildungsrelevanz dem Rundfunkrecht unterliegen - und dann natürlich auch die Medienprivilegien genießen, aber auch die Pflichten (etwa Gegendarstellungsrecht) erfüllen müssen .
Was ihre Frage nach dem Presserecht betrifft, so schützt auch das Presserecht die Verbreitung strafbarer Inhalte nicht. Ein Gegendarstellungsrecht wie bei Presserzeugnissen, gibt es allerdings in den Netzwerken nicht. Allerdings kann man mittels Unterlassung auf Richtigstellung durch den Äußernden drängen. Die Durchsetzung eines solchen Anspruchs wird mit diesem Gesetz ebenfalls verbessert, etwa durch die Verpflichtung, einen inländischen Zustellbevollmächtigten vorzuhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Gerold Reichenbach