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Frage von Florian W. •

Frage an Gernot Erler von Florian W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Wenn die Europäischen Institutionen, die Finanzminister der Eurogruppe und die zustimmungspflichtigen Parlamente dem neuen Antrag der griechischen Regierung stattgeben und ein weiteres Hilfspaket iHv. Euro 74 Mrd, verabschieden, dann haben wir in Europa mit diesem “Kompromiss” genau diese Signale ausgesendet:

1. Regeln gelten nicht wenn man nur laut genug schreit

2. Die Stimme der Bürger wird ignoriert
(die griechischen Bürger bekommen genau das, was sie per Referendum abgelehnt haben; die Ablehnung zu einem weiteren Hilfspaket eines Großteils der Bürger in Finnland, Holland, den baltischen Staaten und Deutschland wird ignoriert)

3. Alles was vorher als Misslungen erkannt wurde gilt weiter: Noch mehr Schulden, noch härter sparen

Einem weiteres Hilfspaket unter diesen Voraussetzungen realisiert doch genau das, was in den letzten Wochen und Monaten in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion als falscher Weg aus der Griechenland-Krise identifiziert wurde. Und es widerspricht allem was Sie und Ihre Partei als “alternativen Weg” aus der Krise und als vertrauensbildende Maßnahme in Europa gefordert haben. Damit erscheinen mir o.g. Signale die denkbar schlechteste Basis für friedliches Miteinander und eine fortschreitende Integration Europas.

Werden Sie für oder gegen ein weiteres Hilfspaket in Griechenland stimmen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wuttke,

herzlichen Dank für Ihre Frage zu einem neuen Hilfsprogramm für Griechenland. Es gibt mir die Gelegenheit, zu erklären, warum ich nach Abwägung der Vor- und Nachteile überzeugt bin, dass die Grundsatzentscheidung für ein neues Programm richtig ist. Meine Schlussfolgerung lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Es ist die bessere Lösung für Griechenland, für Europa, für Deutschland. Die Alternativen wären alle wesentlich schlechter.

Worum geht es bei dem neuen Programm?

Die griechische Regierung hat am 8. Juli einen Antrag auf ein dreijähriges Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gestellt, nachdem sie sich zuvor geweigert hatte, die Bedingungen der europäischen Partner für die Verlängerung des seit 2012 laufenden Hilfsprogramms zu akzeptieren. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Mitgliedsländer der Eurozone am 12./13. Juli auf einen Kompromiss verständigt, unter welchen Bedingungen ein neues Hilfsprogramm möglich wäre. Das griechische Parlament hat diesen Kompromiss am 15. Juli mit großer Mehrheit gebilligt (229 der 300 Abgeordneten stimmten dafür) und bereits vier konkrete Gesetzesänderungen beschlossen, u. a. erste Elemente einer Mehrwertsteuerreform und einer Rentenreform.

Der aktuelle Vorschlag für ein drittes Anpassungsprogramm unterscheidet sich hinsichtlich der Programmdauer, des Programmvolumens und der angekündigten Möglichkeit für weitere Schuldenerleichterungen maßgeblich von der Verlängerung des zweiten Anpassungsprogramms. Er stellt damit eine echte Möglichkeit dar, Griechenland mit Hilfe seiner europäischen Partner auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen.

Wichtig ist aus meiner Sicht: Im Zentrum der Eurogipfel-Erklärung stehen nicht pure Haushaltsvorgaben und Sparziele, sondern strukturelle Verbesserungen der griechischen Wirtschaft und Verwaltung. Griechenland muss im eigenen Interesse endlich in die Lage versetzt werden, Steuern einzutreiben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen, den Bürgern ein leistungsfähiges und finanzierbares Sozialsystem zu bieten und das teilweise oligarchische und verkrustete Wirtschaftssystem aufzubrechen. Nur dann können Staatseinnahmen und Investitionen dauerhaft steigen sowie dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen. Nur dann kann das skandalöse Missverhältnis zwischen dem Reichtum einer traditionellen Elite und der deutlich zugenommenen Armut in der griechischen Bevölkerung endlich beendet werden. Und nur dann können die Verpflichtungen Griechenlands gegenüber seinen Gläubigern auch erfüllt werden.

Warum der Kompromiss eine Chance verdient hat.

Nach vielen unerfüllten Reformzusagen griechischer Regierungen und dem Verhandlungschaos der letzten Monate fällt es nicht leicht, dem Weg zu einem neuen Programm zuzustimmen. Kann das, worauf sich die Staats- und Regierungschefs verständigt haben, überhaupt funktionieren?

Ich bin überzeugt, dass es funktionieren kann, und dass man alles dafür tun sollte, dass es funktioniert. Den Beleg, dass ein wirtschaftliches Anpassungsprogramm funktionieren kann, liefern nicht nur andere „Programmländer“ wie Irland, Portugal und Spanien, in denen es nach der Krise wieder aufwärts geht, sondern in Ansätzen auch Griechenland selbst. Denn trotz aller Probleme, die es bisher bei der Umsetzung von Reformen gab, war 2014 in Griechenland eine positive Entwicklung erkennbar: es gab erstmals wieder ein gewisses Wirtschaftswachstum, der griechische Staat konnte mit den laufenden Einnahmen zwar seine Schulden noch nicht zurückzahlen, aber immerhin schon wieder seine laufenden Ausgaben bestreiten. Es kam dann aber in den letzten zwölf Monaten zu einer Lockerung der Reformmaßnahmen, die zu einer Verschlechterung der Wirtschaftslage in Griechenland geführt hat. Jetzt muss dringend an die vorherige positive Entwicklung angeknüpft werden.

Dass dies gelingt, ist im Interesse der Menschen in Griechenland, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der anderen Mitgliedstaaten der Eurozone und der EU. Deutschland eingeschlossen und vielleicht sogar an erster Stelle.

Die Alternative zu einer weiteren Chance für Griechenland wäre nämlich ein umgehender Staatsbankrott Griechenlands und ein ungeordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Diese Alternative birgt aus meiner Sicht die deutlich größeren Gefahren. In Griechenland wären die Folgen verheerend: das Bankensystem würde zusammenbrechen, die medizinische Versorgung wäre nicht mehr gewährleistet, noch mehr Arbeitsplätze würden vernichtet, viele Griechinnen und Griechen würden in Armut absinken und müssten dann humanitäre Hilfe aus EU-Mitteln erhalten.

Aber auch die Folgen für Deutschland wären dramatisch. Selbst wenn ein „Grexit“ für Deutschland und die Eurozone kurzfristig ökonomisch verkraftbar wäre – die langfristigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für unseren Kontinent wären es womöglich nicht. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land in Europa. Gerade deswegen haben wir am meisten zu verlieren. Kein anderes Land profitiert so von der europäischen Einigung, vom Binnenmarkt und vom Euro wie wir. Hinzu kommt: Die Krisen unserer Zeit werden wir nur bewältigen, wenn Europa geschlossen und gemeinsam agiert. Das gilt für die Situation in der Ukraine genauso wie für die Flüchtlingskrise, aber auch für globale Themen wie den Klimawandel. Ein Auseinanderbrechen Europas hätte schwerwiegende Folgen und muss deswegen vermieden werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Position der SPD war immer, dass Solidarität in Europa keine Einbahnstraße sein kann. Wenn Europa solidarisch ist mit Griechenland und Milliardenkredite gibt, um Zeit zu gewinnen für Reformen, dann darf und muss Europa im Gegenzug erwarten, dass die griechische Politik die Entscheidungen trifft und umsetzt, die unabdingbar sind, um die Probleme in Griechenland zu lösen.

Gerade in den letzten Monaten ist hier sehr viel Vertrauen zerstört worden, das jetzt Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden muss. Die griechische Regierung muss die Glaubwürdigkeit der Reformzusagen nachweisen. Besonders nach ihrem Wahlkampf für ein „Nein“ im Referendum ist das keine leichte Aufgabe. Versprechungen und Zusagen alleine reichen hier nicht aus.

Der Euro-Gipfel hat deswegen klare Bedingungen formuliert für das zweistufige Verfahren, das nun zu einem neuen Hilfsprogramm für Griechenland führen kann. Der erste Schritt ist der Beschluss, Griechenland grundsätzlich Stabilitätshilfe des ESM zu gewähren und in konkrete Verhandlungen einzusteigen. Diesem ersten Schritt hat der Bundestag am 17. Juli zugestimmt. Die Vorbedingung hierfür war, dass das griechische Parlament den Ergebnissen des Euro-Gipfels in Gänze zustimmt und die ersten vier Gesetzesänderungen beschließt.

In einem zweiten Schritt müssen nun die Details des neuen Hilfsprogramms konkret ausgehandelt werden. Diese werden dann in einer Absichtserklärung über ein wirtschaftliches Anpassungsprogramm (Memorandum of Understanding / MoU) und einer Finanzhilfevereinbarung festgeschrieben. Beide Dokumente müssen dann erneut vom Deutschen Bundestag gebilligt werden, bevor sie auf europäischer Ebene beschlossen werden können.

Die griechische Regierung muss bei jedem Schritt beweisen, dass sie hinter ihre bereits gemachten Zusagen nicht wieder zurückfällt. Das gilt für den weiteren Verhandlungsprozess. Es gilt vor allem aber für die Zeit, in der ein neues Programm in den nächsten drei Jahren Schritt für Schritt umgesetzt werden muss. Deshalb finde ich es zum Beispiel richtig, dass über mögliche Schuldenerleichterungen erst gesprochen werden soll, nachdem eine erste Programmüberprüfung erfolgreich abgeschlossen wurde. Für diese Programmüberprüfung zuständig sind die drei Institutionen Europäische Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF), die sogenannte Troika. Von daher war es überfällig, dass die griechische Regierung zugesichert hat, wieder vernünftig mit den Vertretern dieser Institutionen zusammenzuarbeiten, auch vor Ort in den Ministerien in Athen.

Ich hoffe sehr, dass all diese Maßnahmen dazu führen, dass in den nächsten drei Jahren der grundlegende Umbau des griechischen Staates voran kommt und Griechenland dann wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Griechenland muss jetzt harte Reformen einleiten, aber es braucht auch schnelle und spürbare Investitionen, um wirtschaftlich gesunden zu können. Beide Elemente werden in einem neuen Hilfsprogramm enthalten sein. Eine Rolle dabei spielt auch der geplante Privatisierungsfonds. In diesen sollen in den nächsten drei Jahren griechische Vermögenswerte eingebracht werden (z.B. Staatsunternehmen, Häfen, Banken), die dann über einen längeren Zeitraum privatisiert werden sollen. Von den angestrebten Erlösen von 50 Mrd. Euro sollen 25 Mrd. Euro verwendet werden, um die Kosten der Rekapitalisierung griechischer Banken wieder einzuspielen, 12,5 Mrd. Euro, um Schulden zurückzuzahlen, und 12,5 Mrd. Euro für Investitionen.

Zusammenfassend kann ich sagen: Die Zustimmung zu einem weiteren Programm ist kein leichter Schritt angesichts der Milliardenbeträge, die hier erneut in Form von Krediten bereitgestellt werden müssen. Aber würden wir diesen Schritt jetzt nicht gehen, wären die Kredite, die wir in den letzten Jahren gegeben haben, auf einen Schlag verloren. Von daher gebieten es nicht nur die politische Vernunft und die europäische Solidarität, der Gipfel-Einigung eine Chance zu geben, sondern auch das wirtschaftliche Eigeninteresse Deutschlands. Wenn Griechenland durch eine konsequente Umsetzung der vorgeschlagenen Reformen auf einen Wachstumskurs einschwenkt und das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen kann, kann es auch seine Schulden eines Tages zurückzahlen. Ein Programm, das die Zahlungsfähigkeit Griechenlands sichert und die Basis für eine wirtschaftliche Erholung legt, ist für alle Beteiligten der bessere Weg.

Aus all diesen Gründen habe ich am 17. Juli zugestimmt, in Verhandlungen mit Griechenland unter den genannten Bedingungen einzutreten. Die endgültige Entscheidung über das Programm wird der Bundestag frühestens Ende August beschließen können.

Meine Entscheidung ist nicht ohne Bedenken und ohne Kritik an dem ganzen Verfahren erfolgt. Das habe ich in einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung niedergelegt, die auf folgende Weise einsehbar ist: http://www.gernot-erler.de/cms/front_content.php?idcat=146&idart=1678

Mit freundlichen Grüßen

Gernot Erler