Frage an Gernot Erler von Jörg O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Gernot Erler,
mich interessiert Ihre Haltung zu den geplanten Internetsperren zur Bekämpfung der Kinderpornografie.
Angesichts der Tatsache, daß alle Experten die vorgesehenen Sperrmaßmaßnahmen als völlig nutzlos bezeichnen, weil es erstens keine "Kinderpornografieindustrie" im Internet gibt und zweitens die Wirksamkeit von DNS-Sperren gegen Null geht, und unter Berücksichtigung der Auswertung bekannt gewordener Sperrlisten anderer Länder, auf denen sich zu mehr als 99% legale, wenn auch manchmal fragwürdige, Webseiten befinden, und unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, daß mit der Ausübung der Sperrungen eine nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln zu kontrollierende Behörde betraut werden soll, liegt doch der Schluß nahe, daß es überhaupt nicht um Kinderpornografie geht, sondern um die Schaffung eines Zensurmechanismus, der nur noch vom Bundesinnenminister als Dienstherrn des BKA kontrolliert wird.
Was werden Sie, was wird die Fraktion der SPD, was die Partei, dagegen unternehmen?
mit freundlichen Grüßen
Jörg Oertel
Sehr geehrter Herr Oertel,
vielen Dank für Ihre Frage, in der Sie sich kritisch mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen auseinandersetzen.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein abscheuliches Vergehen. In den vergangenen Jahren haben wir deshalb das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornographie lückenlos unter Strafe gestellt. Die Verbreitung von Kinderpornographie hat insbesondere im Internet in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Gleichzeitig ist eine Tendenz zu immer jüngeren Opfern festzustellen.
Der kommerziellen Verbreitung über das Internet darf nicht tatenlos zugesehen werden. Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornographie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internprovidern heruntergenommen. Dieser direkte Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Deshalb ist es notwendig, den Zugang zu entsprechenden kinderpornographischen Internetangeboten von Deutschland aus zu sperren.
Der SPD-Bundestagsfraktion war bereits zu Beginn dieser Diskussion voll bewusst, dass wir uns in einem Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Kampf gegen Kinderpornographie im Internet und den hierdurch betroffenen Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger bewegen. Deshalb haben wir stets deutlich gemacht, dass wir für eine entsprechende Internetsperre eine gesetzliche Grundlage für erforderlich halten, um rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen zu können. Wie Sie wissen, hat es ja vor kurzem vertragliche Vereinbarungen mit großen Internetprovidern gegeben, die jedoch rechtlichen Zweifeln unterliegen.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Uns ist bekannt, dass versierte Nutzer diese Sperrung technisch umgehen können. Es kommt uns aber entscheidend darauf an, die Hemmschwelle, die an dieser Stelle in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen. Dem dient neben der Sperrung einzelner Seiten die Umleitung auf eine Stoppseite mit entsprechenden Informationen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat durchgesetzt, dass es zum Gesetzentwurf am 27. Mai eine Anhörung des Wirtschaftsausschusses gab, da der Gesetzentwurf zahlreiche inhaltliche und rechtliche Fragen aufwirft, die wir in einem transparenten parlamentarischen Verfahren erörtern müssen. Damit können wir auch die in Teilen der Internet-Community aufgeworfenen Kritikpunkte, die ihren Ausdruck in einer stark beachteten E-Petition gefunden haben, angemessen einbeziehen und erörtern.
Die Ergebnisse dieser öffentlichen Anhörung zum Kinderpornografiebekämpfungsgesetz belegen in aller Deutlichkeit, wie wichtig und notwendig es war, dass die SPD-Bundestagsfraktion auf der Durchführung einer solchen Anhörung zu so einem komplexen Gesetzgebungsverfahren bestanden hat. Die überwiegende Mehrheit der geladenen Sachverständigen war sich in den folgenden Punkten weitgehend einig:
1. Der wirksame Kampf gegen Kinderpornografie erfordert eine Vielzahl von Maßnahmen. Fast alle meinen, in diesem Rahmen könne die Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Maßnahme sein.
2. Die Sperre könne umgangen werden, deshalb sei es richtig, dass der Gesetzentwurf lediglich von einer Erschwerung spricht.
3. Keiner der geladenen Sachverständigen hat die Auffassung vertreten, dass prinzipielle Gründe von vornherein gegen Internetsperren gegen Kinderpornografie sprechen.
4. Entscheidend sei aber, dass der Gesetzentwurf bezüglich Rechtsstaatlichkeit des Vorhabens und der Effektivität der Sperrungen von kinderpornografischen Inhalten auf ausländischen Servern noch erheblich überarbeitet werden muss.
Für die SPD-Bundestagsfraktion steht nach der Anhörung fest, dass es im weiteren parlamentarischen Verfahren noch einige Punkte zu klären gilt. Dies sind insbesondere die Forderung nach einer spezialgesetzlichen Regelung anstelle einer Änderung des Telemediengesetzes und die datenschutzrechtliche und verfahrensrechtliche Absicherung. Hierzu gehören aus unserer Sicht die gerichtliche Kontrolle der BKA-Sperrliste sowie die Klärung der Problematik im Zusammenhang mit der Weitergabe der Daten an Strafverfolgungsbehörden. In diesen Punkten sind wir für Änderungen am Gesetzentwurf. Für die SPD-Fraktion stellen wir in aller Deutlichkeit fest, dass wir - so wie im Übrigen alle Sachverständigen - eine Ausweitung der Internetsperren auf andere Straftatbestände ablehnen.
Der wichtige Kampf gegen Kinderpornografie im Internet und die Rechte der Internet-Nutzer müssen sich nicht ausschließen. Dies kann aber aus unserer Sicht nur auf rechtsstaatlicher Grundlage und nicht auf der Basis von rechtlich fragwürdigen Verträgen zwischen dem BKA und den Internetprovidern erfolgen. Solch weitreichende Maßnahmen, und auch dies hat die Anhörung klar bestätigt, sind aus unserer Sicht nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage und in einem rechtsstaatlichen Verfahren denkbar und möglich.
Eins ist allerdings klar: Weitere Schritte sind erforderlich, um Kinderpornographie effektiv zu bekämpfen. Die SPD-Fraktion hat dazu mit einem Anfang Mai beschlossenen 10-Punkte-Plan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung ein umfassendes Konzept mit weiteren konkreten Maßnahmen vorgelegt.
Mit freundlichen Grüßen
Gernot Erler