Frage an Gerhard Schick von Reinhard K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Schick,
warum kann man nicht dauerhaft die Leerverkäufe und ähnliche, die Volkswirtschaften schädigende, Geschäfte an der deutschen Börse unterbinden? Diese Geschäfte sind doch eher mit einer Pokerpartie zu vergleichen und verfälschen doch den eigentlichen Sinn und die Aufgabe der Börse.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Koch
Sehr geehrter Herr Koch,
im Grundsatz gebe ich Ihnen Recht. Wir beobachten eine Zunahme von spekulativen Transaktionen in Märkten, um Preise in eine Richtung zu treiben, die im Sinne der jeweiligen Spekulanten ist. Das wird insbesondere dann dramatisch und ethisch höchst fragwürdig, wenn sich dabei zum Beispiel die Preise für Nahrungsmittel stark erhöhen. Während einige große Investoren damit Geld aus Geld machen, verlieren viele Menschen weltweit die Möglichkeit, sich mit dem täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu versorgen. Hier muss global gehandelt werden und Überlegungen stattfinden, ob und wie bestimmten Teilnehmern Investitionen in sensiblen Märkten gewährt wird.
Doch ein Verbot von Leerverkäufen hätte die Entwicklung bei Lebensmittelpreisen nicht beeinflusst. Und allein durch ein pauschales Verbot von Leerverkäufen und damit dem Verbot, auf fallende Märkte zu setzen, beseitigt man zudem weder die gegenwärtigen Turbulenzen noch kann man künftigen vorbeugen. Vielmehr ist eine differenzierte Lösung geboten, die Vor- und Nachteile von Leerverkäufen berücksichtigt.
Zunächst sind die Vorteile von "gedeckten" Leerverkäufen anzuerkennen. Im Gegensatz zu so genannten "nackten" Leerverkäufen, die in Deutschland nicht zulässig sind, werden bei gedeckten Leerverkäufen tatsächlich Aktienpakete ausgetauscht. Das führt zu einer höheren Anzahl von Transaktionen und damit zu mehr Liquidität in den Märkten. Eine hohe Liquidität wiederum garantiert einen effizienten Marktmechanismus, weil viele Verkäufer und Käufer an den Börsen zusammengeführt werden können. Das ist auch für KleinanlegerInnen positiv.
Auch dienen Leerverkäufe nicht ausschließlich der Spekulation, um bewusst mit fallenden Märkten und quasi auf dem Rücken der Verlierer Geld zu machen. Einem Großteil der Marktteilnehmer dient die Möglichkeit der Leerverkäufe dazu, das Depot gegen Risiken abzusichern. So kann es beispielsweise sein, dass ein großer Pensionsfonds, der die Alterbezüge vieler ArbeitnehmerInnen verwaltet, auf steigende Märkte setzt, sich aber gleichzeitig gegen starke Schwankungen oder fallende Märkte absichern muss. Auch dieses Marktverhalten ist sicherlich nicht moralisch verwerflich.
Schließlich dienen Leerverkäufe allgemein dazu, die Entwicklung von Spekulationsblasen gerade einzudämmen. Denn professionelle Marktakteure, die eine Branche oder ein Unternehmen für stark überbewertet halten, sorgen mit Leerverkäufen dafür, dass sich der Preis bei einem fairen Niveau einpendelt. Ohne diese Gegenbewegungen würden Blasen viel zu spät platzen und volkswirtschaftliche Schäden wären noch immenser.
Gleichwohl gilt aber auch bei gedeckten Leerverkäufen, dass Exzesse und Missbrauch dem Markt und den Teilnehmern Schaden zufügen. Daher ist es für den Gesetzgeber und die Finanzaufsicht, also in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wichtig, Rahmenbedingungen für faire Märkte zu setzen.
Denn auf fallende Kurse zu Wetten ist eine Sache. Den Fall der Kurse aber bewusst zu beeinflussen und zu verursachen, ist eine andere. Letzteres kann großen Schaden anrichten. Insofern begrüße ich die gegenwärtige Maßnahme der BaFin, Leerverkäufe vorläufig zu verbieten. Wenn eine erhebliche Marktstörung droht, die schwerwiegende Gefahren für die Gesamtwirtschaft und das Finanzsystem erwarten lässt, müssen die Leerverkäufe eingeschränkt werden. Gerade in Zeiten, in denen der Faktor Psychologie einer dermaßen überragende Rolle spielt, wäre es fatal, zuzulassen, dass Finanzinstitute zum Spielball großer Leerverkäufer würden. Denn durch die Verstärkung von Verkaufstrends und Streuung entsprechender Gerüchte besteht die Gefahr, dass dem Finanzsystem die Möglichkeit genommen wird, erneut Stabilität zu erlangen. Hier ist ein staatlicher Eingriff gerechtfertigt und notwendig. Gerade wenn Hedgefonds mit hohem Volumen die Leerverkäufe zum Geschäftsprinzip machen, wird aus der eigentlich sinnvollen Möglichkeit eine Gefahr.
Über den gegenwärtigen Gesetzesrahmen hinaus fordern wir Grünen eine Meldepflicht für Leerverkäufe. Das würde einerseits die Transparenz im Markt erhöhen. Andererseits wäre das für die BaFin bei der Kontrolle von strafbaren Kurs- und Marktmanipulationen hilfreich, weil offenkundig würde, welches Interesse hinter bestimmten Äußerungen stünde. In Bezug auf Hedgefonds setzen wir bei der Regulierung auf klare Vorschriften, mit denen z.B. die Möglichkeit zur Übernahme von extremen Risikopositionen eingeschränkt werden soll.
Sie sehen: Ich plädiere nicht für ein allgemeines Verbot. Die grünen Vorschläge zur Finanzmarktregulierung würden aber Umfang und schädliche Wirkung von Leerverkäufen deutlich einschränken. In turbulenten Zeiten müssen, wie jetzt von der BaFin viel zu spät umgesetzt, Leerverkäufe auch untersagt werden können.
Viele Grüße
Gerhard Schick