Frage an Georg Kössler von Thuy N. bezüglich Menschenrechte
Die Situation für schutzsuchende Menschen in Griechenland ist katastrophal und widerspricht allen Regeln und Vorgaben der Europäischen Union. In den vergangenen Wochen konnte eine beispiellose Brutalisierung der EU-Asylpolitik beobachtet werden. Sie ging einher mit einer skrupellosen Verletzung grundlegender Menschenrechte, des Europarechts und der Genfer Flüchtlingskonvention. Ich bin entsetzt, dass Griechenland die Möglichkeit, einen Asylantrag auf seinem Territorium zu stellen, ausgesetzt hat.. Im Evros-Gebiet wird mit Tränengas und Blendgranaten gegen Flüchtende vorgegangen, im ägäischen Meer werden Menschen, die Schutz suchen, aggressiv von der griechischen Küstenwache attackiert, Bootsmotoren zerstört und Schlauchboote aufgestochen. War vor vier Jahren die Empörung noch groß als Politiker*innen der AfD „notfalls“ Waffengewalt gegen Geflüchtete gefordert haben, ist dies nun Realität geworden: Ein Mensch wurde nach Recherchen des Forensic Architecture Instituts an der Grenze erschossen. Damit hat die europäische Grenzpolitik den Wandel von einem passiven Sterbenlassen an den Außengrenzen zu einer Politik des aktiven Tötens vollzogen.
Ehrenamtliche, Unterstützer*innen und Mitarbeiter*innen verschiedener Nichtregierungsorganisationen werden auf den griechischen Inseln von Rechtsradikalen verfolgt, gejagt und brutal zusammengeschlagen. Faschist*innen aus ganz Europa kommen derzeit zusammen, um soziale Zentren und Solidaritätsstrukturen in Brand zu setzen. Daraufhin haben viele Unterstützungsstrukturen ihre Arbeit niedergelegt oder sich komplett aus den Lagern zurückgezogen. Die Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln ist dramatisch. Die Menschen sind ohne jegliche Art von staatlicher Unterstützung auf sich allein gestellt. Sie leben ohne fließendes Wasser und Strom in selbstgebauten Behausungen. Für ausreichend Essen und Trinkwasser ist nicht gesorgt, geschweige denn für medizinische Versorgung. Schockierend ist der Bericht der New York Times über ein geheimes Lager in Grenznähe, wo Menschen festgehalten werden, um sie in die Türkei abzuschieben – ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu haben. Das wie der Bericht des Magazins Monitor über die Inhaftierung von Schutzsuchenden in Schnellverfahren, darunter eine 12-Jährige, lassen nur einen Schluss zu: Die Menschen müssen aus Griechenland evakuiert werden.
Es ist verheerend, schutzsuchende Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, in dieser katastrophalen Situation alleine zu lassen, während in Deutschland Einrichtungen für unbegleitete Minderjährige schließen und vorhandene Kapazitäten und Strukturen abgebaut und erfahrenes Fachpersonal entlassen werden muss.
Sie können und dürfen dieser humanitären Krise nicht länger untätig zusehen und auf eine gesamteuropäische Lösung warten! In Deutschland ist Platz zur Aufnahme nicht nur weiterer unbegleiteter Minderjähriger, sondern generell schutzsuchender Menschen. Die von Horst Seehofer lange propagierte Obergrenze von 200.000 Menschen erreicht Deutschland bei Weitem nicht, die Antragszahlen sind weiterhin rückläufig, 2019 wurden lediglich 142.509 Asylerstanträge in Deutschland gestellt. (vgl. BAMF Schlüsselzahlen Asyl 2019).
Ich fordere Sie ausdrücklich auf, die Augen nicht weiter zu verschließen, sondern sich aktiv und schnell dafür einzusetzen, dass Schutzsuchende auch genau das bekommen: Schutz. Schutz vor Willkür an den europäischen Außengrenzen, Schutz vor gewaltbereiten Rassist*innen, Schutz vor Krankheiten und einer Verschlimmerung bestehender Notlagen. Ich fordere Sie auf, sich für die Aufnahme schutzsuchender Menschen aus Griechenland einzusetzen und damit einer humanitären Verantwortung nachzukommen. Es ist jetzt an der Zeit, humanitäre Hilfe zu leisten und zeitgleich die Erarbeitung einer gesamteuropäischen Lösung voranzutreiben. Das eine kann jedoch nicht erst auf das andere warten.
Mit freundlichen Grüßen,
Thúy Nguyen
Sehr geehrter Frau Nguyen
danke für Ihre Mail. Auch mich wühlen die Ereignisse an den europäischen Außengrenzen und der Mangel an Menschlichkeit bei vielen Entscheidungsträger*innen hier und vor Ort ziemlich auf. Mein Freund und Kollege im Europaparlament, Erik Marquardt, ist seit Wochen vor Ort und berichtete mir kürzlich auch persönlich, wie menschenverachtend die Lage ist. Als sei das nicht schon schlimm genug, kommt nun auch Corona hinzu und wird, sofern es zum vollen Ausbruch kommt, ein Desaster in Moria u.a. anrichten. Wir müssen handeln!
Unsere Rot-Rot-Grüne Landesregierung hat sich vor 3 Wochen für ein Aufnahmeprogramm von Kindern und besonders Schutzbedürftigen eingesetzt. Dies ist an der SPD und der CDU in einigen anderen Bundesländern gescheitert, so dass eine Bundesratsinitiative nicht erfolgreich war. Wie frustrierend! Damit auch in zeiten von Corona die Menschen nicht aus dem Blick geradten, unterstütze ich die Kampagne #LeaveNoOneBehind von Erik und werbe intern weiter für eine sofortige Notmaßnahme. Es gibt ein Rechtsgutachten, welches aussagt, dass die Länder auch ohne Zustimung von BM Seehofer Refugees aufnehmen können. Dieses wird gerade von uns geprüft... Ich hoffe darauf!
Vielen Dank für Ihr Engagement
Georg Kössler