Frage an Fritz Kuhn von Johannes B. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Kuhn!
Wie stehen Sie zur neuen Strafnorm "Jugendpornographie"? Halten Sie diese für vereinbar mit den Grundrechten, etwa der Meinungsfreiheit oder dem Grundsatz, daß Strafgesetze so klar bestimmt sein müssen, daß direkt aus dem Gesetz hervorgeht, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht?
Macht das neue Gesetz nicht den bloßen Besitz von Ausgaben der Zeitschrift "Bravo" mit "Erste-Mal"-Geschichten Jugendlicher ("er streichelte mich zärtlich", Rest überlasse ich Ihrer Vorstellung), Selbstauslöser-Nacktfotos und Sonstigem potentiell strafbar? Selbst wenn schließlich wegen Geringfügigkeit eingestellt würde, stünde bis dahin sämtlichen staatlichen Ermittlungsmaßnahmen die Tür offen.
War es wirklich beabsichtigt, so ein Gesetz zu machen?
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Becker
Sehr geehrter Herr Becker,
vielen Dank für Ihre Frage.
Meine Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt alle Anstrengungen, die helfen Kinder umfassend und wirksam vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Kinderprostitution und Kinderpornografie gilt es entschieden zu bekämpfen. Doch entgegen aller Beteuerungen zielen die von der großen Koalition befürworteten Änderungen im Sexualstrafrecht auf weit mehr. Sie werden zu einer ausufernden Kriminalisierung jugendlicher Sexualkontakte führen.
Das bisher im Sexualstrafrecht geltende Schutzkonzept junger Menschen stellte einen Ausgleich her zwischen dem Recht vor nicht gewünschten sexuellen Handlungen geschützt zu werden und dem Recht ihre sexuelle Selbstbestimmung auch selbstbestimmt ausleben zu können. Dieses gestufte Alters-Schutzkonzept des Strafrechts wird nun von der Koalition in Frage gestellt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Regierung ihren Entwurf - auf Druck der Opposition hin - zweimal nachgebessert hat. Das Gesetz geht nach wie vor zu weit.
Das Gesetz sieht vor, die pornografische Darstellung Jugendlicher in einem neuen § 184 c StGB unter Strafe zu stellen und geht dabei deutlich über die Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses hinaus. Unser grüner Änderungsantrag hält jedoch an dem bewährten altersgestuften System des Sexualstrafrechts fest und beschränkt sich auf die nach europarechtlichen Vorgaben zwingend notwendigen Änderungen. Bei der Jugendpornographie sollen unserer Meinung nach nur die wirklich strafwürdigen Fälle erfasst werden, indem nur die kommerzielle Verbreitung jugendpornografischer Schriften unter Strafe gestellt wird.
Privataufnahmen, ausgetauscht in der jugendlichen peer-group, sind damit
nicht unter Strafe gestellt. Auch die Besitzstrafbarkeit sollte ausgeschlossen werden, weil hier – anders als bei Kinderpornografie - der Abbildung kein sexueller Missbrauch vorausgegangen ist. Nicht tatsächliches Geschehen so wie Sie es anhand der „Bravo“ darstellen sollten unserer Ansicht nach aus dem Straftatbestand des neuen § 184c StGB ausgenommen werden.
Es ist fahrlässig und unverantwortlich von der großen Koalition, auf die
von ihr beabsichtigten, unglaublichen Ausweitungen des Sexualstrafrechts nicht hinzuweisen, sondern sie schlicht zu beschönigen und zu vernebeln. Den ausführlichen Änderungsantrag meiner Fraktion finden Sie hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/096/1609652.pdf
Mit freundlichen Grüßen,
Fritz Kuhn