Frage an Fritz Kuhn von Karl-Heinz S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kuhn,
leider ist der Bundestagspräsident; Herr Lammert, oft zeitlich nicht in der Lage, Bürgerfragen zu beantworten. Daher wende ich mich an Sie, da Sie Anfragen der Minderheit interessierter Bürger offensichtlich und dankenswerterweise eine hohe Priorität beimessen.
Ich habe mir die offizielle Ausgabe des aktuellen Grundgesetzes, also des offiziellen Hilfsinstrumentes zur Verwaltung eines besetzten Gebietes, besorgt. Herr Lammert schreibt dort in einem Vorwort, dass dieses Grundgesetz nach der Wiedervereinigung die deutsche Verfassung ist.
Doch im Artikel 146 des Grundgesetzes steht Erstaunliches:
Geltungsdauer des Grundgesetzes
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Ich befürchte, dass Herr Lammert die gute alte Tradition von Helmut Kohl wieder aufnimmt, das Volk für unreif der politischen Entscheidung über grundlegende Themen der Nation zu halten. Wohl wissend, dass eine vom Volk abgestimmte Verfassung dem Verfügungsrecht über grundlegende Rechte der Bürger endgültig einen Riegel vorschieben würde.
Meine Frage an Sie: Kann es, sein, dass der zweithöchste Repräsentant Deutschlands das Grundgesetz nicht kennt. Oder noch erschreckender, geht Herr Lammert davon aus, dass die Entpolitisierung der Bürger schon so weit fortgeschritten ist, dass Grundrechte einfach verweigert oder umgangen werden können?
Falls Sie diese Frage nicht beantworten können, zwei weitere Fragen:
1. Wie stehen Sie selbst zu einer „volksabgestimmten“ Verfassung gemäß 146 GG?
2. Falls die Aussage von Herrn Lammert stimmt, wann und wie wurde das Grundgesetz in den Verfassungsrang erhoben.
Mit allen guten Wünschen für Sie
Karl-Heinz Stock
Sehr geehrter Herr Stock,
das Grundgesetz ist unzweifelhaft eine Verfassung. Dabei hat es durch die Änderung im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschland auch seinen Charakter als Übergangsverfassung verloren. Mit der Entscheidung den Art. 146 GG - mit seinem im Rahmen der Wiedervereinigung modifizierten Wortlaut - beizubehalten, sollte bei der Wiedervereinigung die Option offengehalten werden, in diesem Verfahren eine neue Verfassung zu machen. Hierzu ist es jedoch nicht gekommen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass irgendwann in der Zukunft einmal Art. 146 GG genutzt werden könnte, um eine andere Verfassung als das Grundgesetz zu bekommen. Ernstzunehmende aktuelle Bestrebungen gibt es hierzu jedoch zu Recht nicht.
Fritz Kuhn, MdB