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Fritz Kuhn
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Frage von René S. •

Frage an Fritz Kuhn von René S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Kuhn,

ab dem kommenden Montag, den 22.10.07, sollen wieder Flüchtlinge, denen inzwischen der Flüchtlingsstatus entzogen wurde, aus Deutschland in den Irak abgeschoben werden.

Dies geschieht zu einer Zeit, in der die Flüchtlingskrise im Irak bedrückende Ausmaße angenommen hat. Die kurdischen Provinzen sollen derzeit 700.000 Flüchtlinge aus anderen Landesteilen beherbergen. Dass das reiche Deutschland damit beginnt, diese Flüchtlingskrise dadurch zu verschärfen, dass Menschen, die schon vor vielen Jahren in ihrer Heimat alles aufgegeben haben, nun abgeschoben werden, ist ein grober Bruch der Solidarität zwischen den Völkern. Dabei missachtet Deutschland sogar die Empfehlungen des UNHCR. Diese Empfehlungen besagen, dass eine Rückkehr in die kurdischen Provinzen nur für diejenigen möglich ist, die dort noch familiäre Bindungen haben. Demgegenüber sollen aus Bayern alle abgeschoben werden, die in einer der Provinzen oder in Kirkuk geboren wurden – selbst wenn sie dort nicht gelebt haben oder kein Familienangehöriger mehr dort heute noch lebt.

Soweit mir bekannt ist verfügen ein Teil der Personen, die abgeschoben werden, nicht einmal über gültige irakische Reisedokumente. Sie sollen mit sogenannten EU-Laissez-passer in den Irak einreisen. Diese Praxis wird von kaum einer Regierung geduldet und kommt daher nur bei Abschiebungen in den Kosovo, der unter Verwaltung der UNO steht, zur Anwendung.

Herr Kuhn, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hier zu diesem Sachverhalt Ihre Meinung äußern würden.

Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen
René Schultens

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schultens,

Vielen Dank für Ihre Nachfrage und Ihre Sorge um die irakischen Flüchtlinge die wir uneingeschränkt teilen.

Die von Ihnen geschilderte Flüchtlingskrise ist mir und meiner Fraktion bekannt. Aus diesem Grunde haben wir im Mai diesen Jahres einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Bundesregierung aufgefordert hat hier tätig zu werden. Leider ist der Antrag in der letzten Woche mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD im federführenden Innenausschuss abgelehnt worden. Damit wird er auch keine Chance mehr haben, in zweiter und dritter Lesung im Plenum eine Mehrheit zu bekommen. Die Bundesregierung hat es versäumt, sich während der EU-Ratspräsidentschaft für die Flüchtlinge aus dem Irak stark zu machen.

Mit besten Grüßen
Fritz Kuhn

Im folgenden der grüne Antrag im Wortlaut:

Schutz für irakische Flüchtlinge gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Auf dem Höhepunkt der Gewalt im Irak, die seit 2004 beständig zugenommen hat, spitzt sich die Lage der Flüchtlinge zu:

Zu zehntausenden verlassen Irakerinnen und Iraker jeden Monat ihr Land, weil sie unmittelbar von Verfolgung durch terroristische und gewaltbereite Gruppen, aber auch seitens staatlicher und halbstaatlicher Stellen bedroht sind. Besonders betroffen sind Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, darunter zum Beispiel Christen, Yesiden oder Sabäer und Palästinenser sowie Frauen und Angehörige bestimmter Berufsgruppen wie Ärztinnen und Ärzte, Journalistinnen und Journalisten, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer.

Derzeit befinden sich nach Angaben des UNHCR ca. 2 Millionen Flüchtlinge im Ausland, davon ca. 1 Million in Syrien und 750 000 in Jordanien. Diese Länder stehen durch den Flüchtlingsansturm vor enormen Herausforderungen und haben bereits viele Hilfsbeiträge geleistet. Zudem gibt es ca. 1,9 Millionen Binnenflüchtlinge, für die unter den schwierigen Sicherheitsbedingungen im Irak nur eingeschränkte Hilfeleistung möglich ist. Auch nach Kurdistan-Irak sind vermehrt Flüchtlinge eingereist. Eine weitere Destabilisierung dieser Region, in der jüngst zwei Bombenanschläge verübt wurden, ist durch das anstehende Referendum in Kirkuk zu befürchten.

Binnenflüchtlinge, Irakerinnen und Iraker in den Nachbarländern und in vielen anderen Zufluchtsländern, darunter Deutschland, leiden nicht nur unter der anhaltenden Verfolgung und einer dramatischen Verschlechterung der Menschenrechtslage in ihrem Heimatland, sondern auch unter den schwierigen Bedingungen in ihren Zufluchtländern, unzureichenden Maßnamen für ihren Schutz und ihre Versorgung und unsicheren Aufenthaltstatus.

Am 17./18. April 2007 fand in Genf die Unterstützungskonferenz "International Conference on Addressing the Humanitarian Needs of Refugees and Internally Displaced Persons inside Iraq and in Neighbouring Countries" des UNHCR statt, zu dem die Bundesregierung einen Beitrag von 1 Mio. Euro leistete. Die Europäische Union hat in ihren Ratsschlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. April 2007 die dringende Notwendigkeit für weitere Hilfe und Abstimmung im Rahmen einer Strategie zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge formuliert.

Trotz der dramatischen Situation im Irak hat die Innenministerkonferenz mit Beschluss vom 16./17. November 2006 den Abschiebestopp nach Irak aufgehoben und die Rückführung straffällig gewordener irakischer Flüchtlinge beschlossen. Die Länder Niedersachsen und Bayern haben diesen Beschluss bereits in Erlasse umgesetzt. Dabei wird außer acht gelassen, welche enormen Gefahren den Abgeschobenen auch in Kurdistan-Irak drohen. Die Lage rückgeführter Flüchtlinge kann aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage auch nicht vor Ort zuverlässig überprüft und bewertet werden.

Darüber hinaus wurden in den vergangenen drei Jahren ca. 18 000 Widerrufsverfahren durchgeführt mit der Konsequenz, dass den betroffenen irakischen Flüchtlingen meist ihre Aufenthaltserlaubnis entzogen und sie auf den Status einer Duldung herabgestuft wurden - mit gravierenden Auswirkungen u. a. für ihre Arbeits- und Wohnmöglichkeiten. Die dadurch entstehenden bürokratischen Verpflichtungen für die Flüchtlinge, aber vor allem die Unsicherheit ihres neuen Status stellen eine menschenunwürdige Härte gegenüber Menschen dar, die oftmals bereits als Traumatisierte in der Bundesrepublik Deutschland angekommen sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,
1. weitere Unterstützungsmaßnahmen für Flüchtlinge aus dem Irak in den Nachbarstaaten zu leisten und sich im Rahmen der EU für eine Unterstützung der Hauptaufnahmeländer einzusetzen;

2. sich gegenüber den Bundesländern für einen generellen Abschiebestopp für alle irakischen Flüchtlinge einzusetzen, solange sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage im gesamten Gebiet des Irak nicht entscheidend verbessert;

3. weitere Widerrufsverfahren gegenüber allen irakischen Flüchtlingen unverzüglich auszusetzen;

4. in ihrer EU-Ratspräsidentschaft auf die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Irak zu drängen, insbesondere der Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten.

Berlin, den 23. Mai 2007
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion