Frage an Fritz Kuhn von Gerd G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kuhn,
seit geraumer Zeit verfolge ich mit Sorge die Forderungen des Innenministers Hr. Dr. Schäuble die in ihrer Summe zu einer massiven Beschneidung der Bürgerrechte führen würden. In meinem Bestreben etwas dagegen zu unternehmen habe ich beschlossen, auf diese Weise Kontakt zu den Abgeordneten meines Wahlkreises aufzunehmen. Dabei hat mich Hr. Dr. Lamers daran erinnert, daß die ersten Maßnahmen hierzu von der letzten Bundesregierung, also von rot/gün, getroffen worden sind.
Ich erinnere mich, 2001 hat die rot/grüne Bundesregierung – wohl auch wegen der terroristischen Anschläge - die Sicherheitspakete I und II auf den Weg gebracht. Die Bestimmungen und Gesetze sollten teilweise auf 5 Jahre beschränkt sein. Unter anderem sollte es den Behörden ermöglicht werden Auskünfte über Konten einzuholen um kriminelle und terroristische Finanzströme auszutrocknen.
Volker Beck, seinerzeit rechtspolitischer Sprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitglied des Bundestages hat diese Maßnahmen damals „verhältnismäßig“, „bürgerrechtsfreundlich“ und eine “strenge Beachtung rechtstaatlicher Prinzipien“ genannt. Es sei nichts geschehen, was als Entwicklung zu einem orwellschen Überwachungsstaat gedeutet werden könne.
Um „kriminelle und terroristische Finanzströme auszutrocknen“ ist inzwischen das Bankgeheimnis in Deutschland faktisch abgeschaft; im letzten Jahr hat es über 80.000 Kontenabfragen durch Behörden gegeben. Nun gibt es auch noch Kontenüberprüfungen bei BAFÖG- und HARTZ-IV-Empfängern. Im Jahr 2008 werden sich dann wohl 500.000 bis 1.000.000 Bundesbürger die Überprüfung ihrer Konten gefallen lassen müssen.
Ist dieses Ergebnis nun das Ziel welches Ihre Partei seinerzeit vor Augen hatte? Oder hat man einfach nur mitgeholfen, die Geister aus der Flasche zu lassen?
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Gräber, Weinheim
Sehr geehrter Herr Gräber,
zunächst vielen Dank für Ihre Frage. Ihre Befürchtung, dass wir einen Geist aus der Flasche gelassen haben, teilen nicht wenige Menschen.
Nach den schrecklichen Attentaten in den USA im September 2001 waren wir der Meinung - und sind es auch heute noch - dass wir prüfen müssen, wie wir mit dieser neuen Bedrohung umgehen können. Bei der Verabschiedung von neuen Gesetzen ist nicht immer eindeutig, welchen Erfolg sie haben können und ob die damit verbundenen Grundrechtseingriffe zu weit gehen. Es ist immer schwierig die gezielte Klärung und Verhinderung schwerster Straftaten zu ermöglichen und die Rechte Unbeteiligter zu schützen. Ich bin mir nach wie vor sicher, dass uns das bei den Sicherheitsgesetzen 2001 im Wesentlichen gelungen ist.
Wenn mein Kollege Dr. Lamers nun so tut, als seien die heutigen Pläne des Bundesinnenministers nur die logische Fortsetzung unserer Politik, dann führt er in die Irre. Erstens hat die CDU/CSU über den Bundesrat damals noch viele weitere Maßnahmen gefordert, die mit Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar gewesen wären. Zweitens hat auch die Bundesratsmehrheit den Gesetzen zugestimmt. Drittens haben wir, eben weil wir uns nicht sicher sein konnten, ob bei bestimmten Maßnahmen Grundrechte letztlich zu sehr verletzt werden und keine Erfolge in der Bekämpfung des Terrorismus erreicht werden, die Regelungen mit einem Verfallsdatum versehen. Die Große Koalition hat dann 2006 die Gesetze evaluiert und verlängert - meiner Auffassung nach eine Farce. Denn bei einer Reihe von Regelungen war offensichtlich, dass sie keine Wirkung haben. Wir haben gefordert, diese Regeln mangels Notwendigkeit aufzugeben. Die Bundesregierung hat sie verlängert, weil ja bislang noch kein Grundrecht beschädigt worden sei - die Maßnahmen seien ja nicht angewandt worden.
Damit wird auch das Muster hinter der Politik der Bundesregierung erkennbar: Lieber eine Regelung mehr im Köcher, auch wenn die Pfeile am Ende das Ziel nicht erreichen können und schon ihre Existenz die Grundrechte belastet. Man kann das beispielsweise bei den Mautdaten sehen: Uns war klar, dass durch die verkehrspolitisch sinnvolle Maut Daten anfallen, mit denen Bewegungsbilder von Personen möglich werden. Deshalb haben wir klar gesagt: Keine Verwendung außer für die Abrechnung. Minister Schäuble will die Daten nun für die Fahndung einsetzen. Ähnlich verhält es sich mit den Kontodaten: Wir mussten abwägen zwischen dem berechtigten Interesse der Allgemeinheit, dass Steuergesetze nicht gebrochen werden und bei den Sozialleistungen nicht betrogen wird. Denn beides hat hinter dem sicheren Vorhang des Bankgeheimnisses leider immer wieder stattgefunden. Wir wollen keine Überwachung, deshalb haben wir nur den Zugriff auf die Stammdaten zugelassen - denn wer wann was gekauft hat, geht niemanden etwas an. Privatsphäre bleibt so auch im Verdachtsfall weitgehend geschützt.
Meine Auffassung ist: Was wirklich notwendig, zielführend und mit Blick auf die Grundrechte verhältnismäßig ist, muss bei einem gut begründeten Verdacht auf eine Straftat auch möglich sein. Dabei muss in kleinen Schritten vorgegangen werden, denn wenn der Verdacht sich nicht bestätigt, muss die Privatsphäre so intakt wie möglich geblieben sein. Dr. Schäuble sieht das anders: Er will möglichst viele Informationen über jede und jeden, auch ohne Verdacht. Diesen Ungeist haben wir nicht aus der Flasche gelassen - und geben uns alle Mühe, ihn auch dem Bundesinnenminister auszutreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Kuhn