Frage an Fritz Kuhn von Gregor Z. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sie haben am 16.06. zur Frage der Verdachtskündigung (im Fall der gefeuerten Kaiser´s-Kassiererin "Emmely" geantwortet: "Grundsätzlich kann der Gesetzgeber nicht die Vielzahl denkbarer Fälle von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einzeln per Gesetz regeln. Er muss einen Rahmen vorgeben und in diesem Rahmen müssen die unabhängigen Gerichte den konkreten Einzelfall beurteilen."
Nun urteilen die Arbeitsgerichte seit Jahrzehnten in Fällen von Bagatell- und Verdachtskündigungen in der Regel wie im Fall "Emmely". Derselbe zu Grunde liegende Gesetzestext (§626 BGB) wird für Beamte, Soldaten (Bagatellgrenze ~50 €) und z. B. Geschäftsführer (Bagatellgrenze noch höher) von Verwaltungs- bzw. Landgerichten ganz anders ausgelegt. Deshalb stimmt Ihre Ausführung "Für die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung kommt es dabei nicht auf den Wert an, [...]" nur für ArbeiterInnen und Angestellte.
Was spricht dagegen, das Gesetz für *alle* Beschäftigten so zu ändern, dass fristlose Kündigungen im Bagatellfall nur nach Abmahnung und nur auf Grund von bewiesenen Vorwürfen möglich sind?
Sie führen zum Schluss aus: "Im Berliner Fall hat das Gericht den Vertrauensschutz für höher eingestuft. Uns steht es nicht zu, das Urteil des Gerichts zu kritisieren."
Warum nicht? Die Unabhängigkeit des Gerichts besteht darin, dass es nicht weisungsgebunden ist. Darüber hinaus sind weder Gerichte, Richter, noch Urteile heilig. Die Bagatell- und Verdachtskündigungen der Arbeitsgerichte sind Richterrecht, das sich gerade nicht durch einen Prozess demokratischer Willensbildung entwickelt hat. Sie sind demokratisch gewählter und legitimierter Abgeordneter des Bundestages. Warum sollten Sie ein Urteil nicht kritisieren dürfen? Die öffentliche Empörung über das Urteil im Fall Emmely (und eine Emnid-Umfrage) zeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Arbeitsrechtsprechung ablehnt. Die Gesetzgebung ist Ihre Aufgabe.
Sehr geehrter Herr Zattler,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Auslegung eines Gesetzes ist Sache des Gerichts, nicht Sache des Gesetzgebers. Sie schreiben ja selber, dass der Gesetzgeber im BGB alle Vorkommnisse gleich behandelt. Ich kann zudem nicht erkennen, dass die Auslegung grundsätzlich zu Ungunsten von ArbeitnehmerInnen erfolgt. Ich will Ihnen von einem Fall aus meiner Baden-Württembergischen Heimat berichten: Während der Berliner „Emmily“-Fall ein großes Medienecho hervorrief, ist der Fall eines Müllmannes, der im Dezember 2008 fristlos gekündigt wurde, weil er ein Kinderreisebett aus dem Müll mit nach Hause nahm, kaum bekannt. Das Arbeitsgericht Mannheim stellte zwar fest, dass es sich dabei um Diebstahl handelte, hielt die Kündigung aber für unverhältnismäßig. Die Entsorgungsfirma muss den Mann nun weiter beschäftigen und ihm sein Gehalt rückwirkend zahlen. Auch der Fall „Emmily“ geht – zwar aus anderen Gründen, aber immerhin – in Revision. Die Gerichte urteilen also nicht durchgängig so arbeitnehmerunfreundlich wie Sie befürchten, sondern wägen regelmäßig auch zu Gunsten der ArbeitnehmerInnen ab.
Mit freundlichen Grüßen,
Fritz Kuhn