Franziska Sylla
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Frage von Manfred Z. •

Frage an Franziska Sylla von Manfred Z. bezüglich Recht

Hallo, Frau Sylla,

mir fallen eine ganze Menge Fragen ein... zum Beispiel: Volksentscheide. Basisdemokratie klingt gut, aber mich würden ihre Vorstellungen zu den praktischen Konsequenzen interessieren. Auf welcher Informationsbasis, nach welchen Kriterien würde die Mehrheit der Bürger entscheiden, wenn es um Themen geht wie Gesundheitspolitik... Außen- und Sicherheitspolitik... Sanierung der Sozialsysteme... oder Themen der Fiskalgesetzgebung? Wie hoch schätzen sie den zeitlichen Aufwand, den jeder persönlich leisten müsste, um eine einigermaßen informierte Entscheidung zu treffen? Wie würden Sie den offensichtlichen Einfluss der Massenmedien auf solche Entscheidungen begrenzen? Wie verhindern, dass in einer emotional gefärbten Situation (´Volksseele kocht´) kurzsichtige Maßnahmen ergriffen werden? Erwarten Sie, dass solche Entscheidungen eher weise oder eher populistisch (im Wortsinne) ausfallen werden?

Freue mich auf Ihre Antwort!

vg, Manfred Zinner

Antwort von
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Sehr geehrter Herr Manfred Zinner

Vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Volksentscheide in Deutschland. Zum Verständnis meiner Antworten habe ich die Hintergründe Ihrer sehr wichtigen Fragen vorangestellt.

*Volksabstimmungen: "Her mit der zweiten Säule der Demokratie"*

Das Interesse an den Instrumenten für eine "Direkte Demokratie" hat in den vergangenen 15 Jahren aus diversen Gründen stark zugenommen. Die Praxis in den Ländern und Gemeinden sowie die Bemühungen um Einführung und Reform von Beteiligungsrechten zur direkten Sachentscheidung durch die Bürger auf Bundesebene (Volksgesetzgebung) hat zahlreiche außerparlamentarische Initiativen hervorgebracht. Ich persönlich spreche sogar von einer direkt-demokratischen Bewegung in Deutschland und Europa. (Stichworte Bürgerinitiativen aus den 70er Jahren, die zu sozial-politischen Bewegungen wie Umweltbewegung, Frauenbewegung anwuchsen und einen sehr erheblichen politischen Einfluß gewannen! - mit nachweislich positiven und negativen Einflüssen auf die Parteien und Politik)

*Meine Beobachtungen*: Aus verschiedenen Teilen Deutschlands, aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und auch von Nichtdeutschen, bekennen sich die Bürger zu den Instrumenten eines Demokratie-Splittings: repräsentative und direkte - auf allen Staatsebenen. Sie stärken ihren Willen durch Beitreten in Gruppen, Vereinen, Parteien, oder sind selbst initiativ. Auch in die Parteiprogramme 2005 der meisten großen und kleinen Parteien sickern Gedanken zur Einführung von Volksentscheiden in ganz Deutschland hinein.

*In Deutschland heißt die Volksabstimmung Volksentscheid http://de.wikipedia.org/wiki/Volksentscheid *

Nach dem Artikel 29 des Grundgesetzes ist nur bei einer Neugliederung des Bundesgebiets ein Volksentscheid zur Bestätigung vorgesehen zum Beispiel Grenzveränderungen eines Bundeslandes. Grundsätzlich sind Abstimmungen nach Artikel 20 (2) des Grundgesetzes vorgesehen, jedoch gibt es keine Durchführungsverordnungen auf Bundesebene hierfür. Die Volksgesetzgebung ist auf die Abstimmungsmöglichkeiten der Länder verteilt.

*Aktueller Stand*: Im Bundestag ist die Einführung von bundesweiten Volksabstimmungen an der 2/3 Mehrheit im Jahr 2002 wieder gescheitert. Doch das Bündnis "Menschen für Volksabstimmung" wertet dieses Abstimmungsergebnis als Etappenerfolg. Denn am 7. Juni 02 hat sich immerhin die Mehrheit im deutschen Bundestag für eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch die Volksgesetzgebung ausgesprochen. Nach der Bundestagswahl 2005 will das Bündnis dem neuen Bundestag 100.000 Unterschriften vorlegen und sein Anliegen damit erneuern. Auf der Homepage können Sie diese Aktion sehr bequem unterstützen. www.mehr-demokratie.de .

*Volksabstimmungen- "von oben" und "von unten": *

Wird eine repräsentative Demokratie um Plebiszitäre Elemente (direkte, demokratische Elemente) ergänzt, haben wir ein politisches System, in dem das Volk unmittelbar Entscheidungen treffen kann. Diese können von den Parlamenten der Abstimmungsberechtigten Bevölkerung vorgelegt werden, "Abstimmungen "von oben", oder aus der Mitte des Volkes, also "von unten" gestaltet sein.

*Direkte Demokratie: Wie wirken Bürger bei Sachentscheidungen mit?*

Neben den Wahlen in denen wir Bürger bestimmte Personen beauftragen, (eigentlich) unsere Interessen wahrzunehmen und Entscheidungen für uns zu fällen, können wir Bürger auch selbst politisch mitwirken.

Zwar sind die rechtlich-politischen Rahmenbedingungen (noch) nicht so optimal und in den sechzehn Deutschen Bundesländern unterschiedlich stark ausgeprägt sowie auf Bundesebene quasi nicht existent, aber es gibt die Instrumente für direkte Demokratie:

*Die Instrumente / Möglichkeiten Direkter Demokratie in Deutschland.*

*Volksbegehren* sind in einer direkten Demokratie http://de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Demokratie eine Form von Volksgesetzgebung http://de.wikipedia.org/wiki/Volksgesetzgebung . Die Bürger bekunden den Willen, dass ein Gesetzesentwurf aus der Mitte der Bürgerschaft dem Volk zur Abstimmung vorzulegen ist.

Volksbegehren in Deutschland

Volksbegehren gibt es in Deutschland nur auf Landesebene http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesland_%28Deutschland%29. Dort sind sie in den Landesverfassungen verankert. Das deutsche Grundgesetz http://de.wikipedia.org/wiki/Grundgesetz sieht außer bei einer Neugliederung des Bundesgebietes noch keine Volksbegehren auf Bundesebene vor.

Wird solch eine direktdemokratische Gesetzesinitiative "von unten" nach erfolgreichem Volksbegehren nicht vom Parlament angenommen, kommt es zur Durchführung eines Volksentscheids. Damit das Volksbegehren Erfolg hat, muss innerhalb einer bestimmten Frist eine erhebliche Zahl von Wahlberechtigten das Volksbegehren durch ihre Unterschrift unterstützen.

*Regeln Fristen.* Die Regeln für die Durchführung von Volksbegehren unterscheiden sich in den einzelnen Bundesländern. In einigen Ländern sind die Unterstützungs-Unterschriften durch eine freie Unterschriftensammlung "auf der Straße" zu leisten, in anderen dürfen sie nur auf Amtsstuben geleistet werden. In Hamburg ist eine Kombination von beidem möglich. Das Unterschriftenquorum liegt zwischen ca. 4% und 20% der Wahlberechtigten, die Eintragungsfrist beträgt zwischen 14 Tagen und 12 Monaten. In Mecklenburg-Vorpommern besteht für die freie Sammlung keine zeitliche Begrenzung.

Einem Volksbegehren geht je nach Bundesland entweder eine Volksinitiative oder ein Antrag auf Volksbegehren voraus.

Laut "Mehr Demokratie e.V." sind momentan fast alle Verfahren unbefriedigend. Nur in vier deutschen Bundesländern sind diese überhaupt bedingt anwendungsfreundlich: Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Thüringen und Bayern.

*Beispiel Bayern:* In Bayern läuft das Volksgesetzgebungsverfahren folgendermaßen ab: Volksinitiative: 25.000 Unterschriften -> Volksbegehren: Unterschrift von mind. 10% aller Stimmberechtigten bei einer Sammlungsdauer von 14 Tagen nur in Amtsräumen -> Volksentscheid: (a) einfaches Gesetz: kein Zustimmungsquorum, (b) verfassungsänderndes Gesetz: Zustimmungsquorum 25% = jeder Vierte Abstimmungsberechtigte muss am Entscheid teilnehmen damit überhaupt ein gültiges Verfahren zustande kommt. Wird diese Hürde genommen, gilt die einfache Mehrheit.

*Bei Ablehnung.* Diese Verfahren führen bei Ablehnung des Landtages nicht weiter - das heißt, es kommt zu keinem Volksbegehren oder Volksentscheid, was den unverbindlichen bzw. anregenden Charakter des Verfahrens ausmacht (Dieses Verfahren ähnelt dem sog. Volksbegehren in Österreich, das ebenfalls nur anregenden Charakter aufweist). Diese Verfahren sind jedoch keine direktdemokratischen Verfahren, obwohl der Name anderes nahelegt. Die Unterschriftenquote liegt effektiv zwischen ca. 1,2 Prozent (Niedersachsen) und derzeit noch bei 6 Prozent in Thüringen (zusätzlich muss diese Quote hier noch in der Hälfte aller Kreise erreicht werden). Der Reformentwurf sieht eine Senkung vor.

Volksbegehren in Österreich

Mit einem Volksbegehren kann in Österreich die Behandlung eines Gesetzesvorschlags im Parlament (Nationalrat) verlangt werden. Direkter Einfluss auf die Gesetzgebung ist dabei explizit nicht vorgesehen, d.h. nach der Diskussion darüber kann der Vorschlag des Volksbegehrens auch verworfen werden.

Um eine Österreichweite Eintragungswoche für das Volksbegehren beantragen zu können, sind Unterstützungserklärungen nötig. Dabei werden 10.000 gültig unterschriebene Unterstützungserklärungen benötigt. Die Unterschrift muss auf dem Heimatgemeindeamt oder dem Magistrat vor dem Beamten geleistet werden. Alternativ kann ein Volksbegehren auch von 8 Abgeordneten zum Nationalrat oder von je 4 Abgeordneten drei unterschiedlicher Landtage http://de.wikipedia.org/wiki/Landtag initiiert werden.

Ein Volksbegehren muss im Parlament behandelt werden, wenn es mindestens 100.000 Unterschriften erreicht oder aber die Stimmen von je mindestens einem Sechstel der Wahlberechtigen dreier Bundesländer. Ausnahme: das Motorrad-Volksbegehren 1995 haben alle bisherigen Volksbegehren in Österreich diese Hürde geschafft.

Das erfolgreichste Volksbegehren, das nicht durch politische Parteien unterstützt wurde, war das Rundfunkvolksbegehren, das vom Kurier http://de.wikipedia.org/wiki/Kurier_%28Tageszeitung%29 unter dem Chefredakteur Hugo Portisch initiiert und von zahlreichen Zeitungen unterstützt wurde, mit über 800.000 Unterschriften im Jahr 1962 http://de.wikipedia.org/wiki/1962 und auch tatsächlich zum Rundfunkgesetz http://de.wikipedia.org/wiki/ORF führte. (Stichworte auch die Volksabstimmung über Kernkraftwerke 1978, Beitrittsabstimmung in die EU 1994)

*Volksabstimmungen Schweiz:* In der Schweiz http://de.wikipedia.org/wiki/Schweiz ist die Volksinitiative ein politisches Recht http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Politisches_Recht&actioníit, das es in verschiedenen Formen und auf verschiedenen Stufen jeweils auf Bundesebene, Kantonsebene und Gemeindeebene gibt.

*Volksbefragung: *Eine obligatorische oder fakultative Volksabstimmung über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz oder eine Verfassungsänderung oder über wichtige völkerrechtliche Verträge sind in der Schweiz möglich. Wird eine fakultative Volksabstimmung durchgeführt, werden von mindestens 50.000 Bürgern Unterschriften verlangt. In einem solchen Fall wurde gegen eine bestimmte Gesetzesvorlage das sogenannte Referendum ergriffen. Verlangen weniger als 50.000 Bürger eine Abstimmung, gilt ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz als angenommen.

Volksinitiative in der Schweiz auf Bundesebene

Bei einer Volksinitiative in der Schweiz verlangen Stimmbürger mit ihrer Unterschrift eine Teilrevision der Bundesverfassung http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverfassung_%28Schweiz%29 . (Stichwort Verfassungsänderung). Dies kann ein ausformulierter Vorschlag oder eine allgemeine Anregung sein. Für das Zustandekommen einer Volksinitiative, müssen innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimmberechtigten gesammelt werden.

Da es bei einer solchen Initiative um eine Verfassungsänderung geht, muss sie sowohl durch die Mehrheit der Stimmberechtigten (Volksmehr) als auch durch die Mehrheit der Kantone (Ständemehr) angenommen werden, um in Kraft zu treten.

Volksinitiativen gehen von Bürgern http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrger und Bürgerinnen, Interessenverbänden und Parteien aus (Volksgesetzgebung "von unten"), nicht von der Regierung oder vom Parlament.

Selten wird eine Volksinitiative angenommen: Seit 1891 waren erst 14. Volksinitiativen erfolgreich. Dennoch sind sie in der direkten Demokratie http://de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Demokratie der Schweiz ein wesentlicher Anstoss für Veränderungen. Die Kraft des Volkes durch Androhung einer Initiative reicht oftmals, die Gesetzgeber zum Handeln zu zwingen.

Von der obigen Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung ist die Volksinitiative auf Totalrevision der Bundesverfassung zu unterscheiden. 100.000 Stimmbürger können die Durchführung einer Totalrevision verlangen.

Abstimmung über die Landesverfassung in Deutschland

Auf Landesebene gibt es die Möglichkeit, einen Gesetzentwurf durch Volksbegehren einzubringen. Dieses muss von 20 % aller Wahlberechtigten unterstützt sein. Vor dem Volksbegehren müssen zudem 3 % der Wahlberechtigten einen Antrag auf Volksbegehren stellen. Stimmt der Landtag dem Begehren nicht zu, kommt es zum Volksentscheid. Ein Zustimmungsquorum gibt es in Hessen nicht. Wichtige Abstimmungsgegenstände, wie etwa die Diäten, sind ausgeschlossen, die Einleitungshürde von 20 % gilt als nahezu unerreichbar.

Verfassungsänderungen müssen in Hessen immer vom Volk entschieden werden. Der Landtag kann Verfassungsänderungen zwar mit einfacher Mehrheit beschließen, das Entscheidungsrecht liegt jedoch bei den Bürgern. Zuletzt gab es zusammen mit der Bundestagswahl am 22. September 2002 drei Volksabstimmungen. (Stichworte: Volksgesetzgebungsverfahren (Einleitung durch Unterschriftensammlung), Volksentscheid, Sonderabstimmung (z.B. durch spezielles Gesetz).

Bürgerbegehren - Kommunale Bürgerrechte Deutschlands

Daneben gibt es auf kommunaler Ebene das politische Instrument eines Bürgerbegehrens.

Abstimmungen Bei einem Bürgerbegehren können in hessischen Städten und Gemeinden 10% aller Wahlberechtigten einen Antrag an den Gemeindevorstand/Magistrat stellen. Richtet er sich gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung, so haben die Bürger sechs Wochen Zeit. Nimmt das Parlament den Antrag nicht an, kommt es zum Bürgerentscheid. Dem Begehren müssen mindestens 25% der Stimmberechtigten zustimmen (Zustimmungsquorum). Eine Datenbank zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in einigen Bundesländern finden sie auf der Homepage der Universität Münster.

Seit 17. Juli 2005 sind in Berlin Bürgerentscheide möglich! Siehe hier unter www.berlin.de .

*Direkte Demokratie:*

*Wie wirken Bürger bei Personenentscheidungen (repräsentativ) mit?*

*Bei Bundestags- und Landtagswahlen* hat jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen. Bei der ersten Stimme handelt es sich um die Direktwahl eines Wahlkreiskandidaten. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit). Mit der Zweitstimme wird die Liste einer Partei gewählt. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament werden durch die Zweitstimmen ermittelt.

Anders verhält es sich bei *Kommunalwahlen*. Seit Novellierung des Kommunalwahlrechts 1999, besteht die Möglichkeit, zu kumulieren und panaschieren. Die Wähler haben auf dem Stimmzettel genauso viele Stimmen wie die Vertretung Mitglieder hat. Die Kandidaten können parteiübergreifend aus allen Listen gewählt werden (Panaschieren). Pro Kandidat können maximal drei Stimmen vergeben werden, die Gesamtzahl der Stimmen darf jedoch nicht überschritten werden. Zusätzlich kann eine Wahlliste angekreuzt werden. Nichtvergebene Kandidatenstimmen werden auf der Liste verteilt.

Seit 1993 werden Bürgermeister in Hessen direkt gewählt. Gewählt ist, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Stehen drei oder mehr Kandidaten zur Wahl und erhält im ersten Wahlgang kein Kandidat mehr als 50% der abgegebenen Stimmen, wird eine Stichwahl mit den beiden besten Kandidaten durchgeführt, bei der die Mehrheit entscheidet.
Derzeit kennen alle Bundesländer die Direktwahl der Bürgermeister. In 11 Bundesländern gibt es sogar ein Abwahlverfahren, dass entweder vom Gemeinderat oder von den Bürgern eingeleitet werden kann.

Sonstige - nicht direkt-demokratische - Instrumente für Beteiligungsverfahren:

Bürgerversammlungen, Bürgerinitiativen

Bürgerversammlungen sollen in Städten und Gemeinden mindestens einmal jährlich stattfinden. Das bestimmt die Hessische Gemeindeordnung. Sie dienen der Unterrichtung der Bürgerschaft über wichtige Angelegenheiten und werden vom Vorsitzenden der Gemeindevertretung einberufen und geleitet.

Im Rahmen von Planungsverfahren (z.B. Bauplanung) können Bürger Einsprüche und Anregungen geben, in dem Sie als Initiative zu Versammlungen einberufen, um den Bau von Parkplätzen zu diskutieren, Schwimmbadsanierungen u.v.m.

*Kommunalparlamente.* Ausschüsse der Kommunalparlamente können Bürgern ein Rederecht einräumen, wenn sie zu einer Gruppe gehören, die von den behandelten Vorhaben besonders betroffen sind.

Für Angelegenheiten, die bestimmte Orts- oder Stadtteile betreffen, können Ortsbeiräte gewählt werden. In Gemeinden mit mehr als 1000 gemeldeten Ausländern muss ein Ausländerbeirat gebildet werden. Beiräte müssen in Angelegenheiten, die sie betreffen, einbezogen werden. Ähnliches gilt für Kinder- und Jugendparlamente.

Der Gemeindevorstand/Magistrat kann sachkundige Bürger in Kommissionen berufen. Hierbei handelt es sich jedoch meist um Vertreter von Berufsverbänden.

*Antragsrecht.* In sieben Bundesländern existiert neben den direktdemokratischen Verfahren Volksbegehren und Volksentscheid noch ein unverbindliches Antragsrecht (das ist kein demokratisches Verfahren! In Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (seit 2001) und Sachsen-Anhalt. Fälschlicherweise heißt das Antragsrecht Volksinitiative. In Bremen und Thüringen wird es als Bürgerantrag bezeichnet, in Hamburg (seit 2001) Volkspetition.

In den vergangenen Jahren hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Beteiligungsverfahren entwickelt, die vor allem durch die *lokale Agenda 21* Auftrieb erhielten. In diesen Verfahren können Bürger ihre Interessen und ihr Wissen einbringen.

*Runde Tische* sehen z.B. vor, dass Bürger im Wege der Selbsthilfe in möglichst freier Diskussion Problemlösungen erarbeiten. (Stichworte Zukunftswerkstatt (Robert Jungk), Bürgerkonferenztisch (Hermann Barges), oder Planungszellen (Planungszelle nach Peter Dienel).

Andere Modelle, z.B. Forumsmodelle, Moderationsverfahren oder Mediationsverfahren sehen vor, dass geschulte externe Moderatoren mit Interessenvertretern aus Initiativen, Verbänden etc. Chancen erarbeiten, durch Diskussion von Angesicht zu Angesicht Konflikte beizulegen und kooperative Lösungen für Probleme herbeizuführen.

Während Foren und moderierte Verfahren darauf setzen, einvernehmliche Konsenslösungen zu erarbeiten, ist in Mediationsverfahren das Hauptinteresse, Verhandlungspakete zu schnüren, an die sich alle Beteiligten gebunden fühlen.

*Petitionen :* Das Recht eines jeden Bürgers (Individuum, Unternehmen, Organisationen oder Vereinigungen) mit Sitz in der Europäischen Union, Petitionsrecht auszuüben. Sie können öffentliche oder private Beschwerden/Ersuchen, an jede behördliche Stelle, an den Bundestag oder das Europäische Parlament entsprechend bestimmter Rahmenbedingungen, einreichen. Damit nehmen Sie das Recht gegenüber der Ausschüsse /Dienststelle wahr, Ihre Anliegen immerhin zu prüfen. Auf der Homepage des Europäischen Parlaments ( http://www.europarl.eu.int ) sowie seit 1. September 2005 auf der Seite des Bundestages sind Online-Petitionen möglich (www.bundestag.de). Petitionen sind zwar im Grundgesetz vorgesehen, haben jedoch kaum so eine starke Durchsetzungskraft wie Bürger- und Volksentscheide und können daher nicht als demokratisches Instrument für ein Volksgesetzgebungs-verfahren bezeichnet werden.

*Ihre Fragen zur praktischen Gestaltung von Volksentscheiden in Deutschland:*

1. Auf welcher Informationsbasis bzw. nach welchen Kriterien würde die Mehrheit der Bürger entscheiden, wenn es um Themen geht wie Gesundheitspolitik... Außen- und Sicherheitspolitik... Sanierung der Sozialsysteme... Themen der Fiskalgesetzgebung?

Die Hintergründe von abzustimmenden Fragen zu Sachentscheidungen in Fragen der Gesundheit, der Außen- und Sicherheitspolitik, der Sanierung der Sozialsysteme, Fiskalgesetzgebungen, die vom Parlament an die Bürger gerichtet werden, müßten so aufbereitet werden, dass anhand von bis zu zwei Vorschlägen (angenommen es käme kein Gegenvorschlag aus der Mitte der Bevölkerung dazu) eine Volksbefragung möglich ist.

Bei Volksinitiativen kommt es sehr stark auf die Handlungsnotwendigkeit der Bürger an. Je stärker diese ein Gefühl der Unzufriedenheit oder Einschränkung empfinden, desto größer die Bereitschaft, sich Informationen, Mittel, Gleichgesinnte, Wege zu finden, zu mehr Lebensqualität zu gelangen. Dabei sollten die politischen Weichenstellungen, die Medien und Nichtregierungsorganisationen die Informationszufuhr zum Bürger eigentlich unterstützen !!

2. Wie hoch schätzen sie den zeitlichen Aufwand, den jeder persönlich leisten müsste, um eine einigermaßen informierte Entscheidung zu treffen?

Bei der Beurteilung des Zeitaufwandes ist zu berücksichtigen: Geht es um ein bereits der Allgemeinheit bekannten Sachverhalt, wie er beim Wissen um die Kernenergie vorliegt, bei den demografischen Entwicklungen, den leeren Rentenkassen, dem Beitrittswunsch der Türkei in die EU, der Änderung der Deutschen Sprache, soll Wehrdienst bleiben oder die Berufsarmee eingeführt werden oder ob die Abstimmung über spezielle Themen anberaumt wird, die erst bekannt gemacht werden müssen. Zum Beispiel die Ideen zur Reform der Krankenkassenbeiträge in Form der Kopfpauschale (CDU-Vorschlag) oder Bürgerpauschale (SPD Vorschlag), die Berechnung der eigenen Einkünfte im Rahmen eines Kirchhoff-Steuervorschlages, die Ermittlung von Pflegekosten für Alter oder Invalidität, usw.

*Lernfähigkeit* des Menschen. Im allgemeinen benötigt der Mensch rund zehn Tage, um ganz neue, komplexere Sachverhalte jeweils ins Langzeitgedächtnis abzuspeichern, zu verarbeiten und einigermaßen korrekt am zehnten Tag wiederzugeben. Dabei ist der Grad der vorhandenen Informationen sehr wichtig, aber auch der Grad derer Gedächtnisinhalte, die neue Informationen durch Fehlinformationen, Emotionen, Vorurteile, Alter, Gesundheit oder Streß belasten. Ebenso die mangelnde Zeit bei stark in den Alltag eingebundenen Personen usw.

Daher wäre zu überlegen, den Bürgern wenig populäre Abstimmungsvorschläge, die vom Parlament kommen (Reformvorschläge in der Gesundheitspolitik), eine Zeit von ab sechs/zwölf Monaten zu ermöglichen. (Auch bei Personenentscheidungen, wie die Wahlen auf Bundesebene, bei der ich dieses Jahr eine ausreichende politische Bildungszeit (Demokratieprinzip!) für den Bürger stark bezweifele)

*Bildung Grundlagenwissen.* Volksinitiativen, Volksbegehren, Bürgerbegehren sind Verfahren, die den meisten Bürgern in Deutschland nicht geläufig sind. Um eine Gruppe von "Nichtwissenden Bürgern" darüber aufzuklären genügt der Besuch einer einzigen Veranstaltung von rund drei Stunden, bzw die Findung einer vertretenden Person. Und die Aushändigung eines Handouts von je nach Örtlichkeit sechs DinA4-Seiten. Ich habe gestern fünf Bürgern Grundlagenwissen für Bürgerbegehren in Berlin aufgezeigt. Das hat zwei Stunden gedauert, bis sie wußten, was Sie tun können und eine Art Aha-Effekt eintrat.

3. Wie würden Sie den offensichtlichen Einfluss der Massenmedien auf solche Entscheidungen begrenzen?

Das ist eine der wichtigsten Fragen im Zeitalter manipulativen Journalismus, der sich delikater Weise auf seine Journalistische Unabhängigkeit bei der Berichterstattung und Kommentation, beruft. Da die Massenmedien sich nicht so stark auf die politische Bildung der Bürger spezialisiert haben, habe ich zum Beispiel in diesem Januar ein Unternehmen gegründet, was seine Pressetätigkeit unter anderem auf die Politische Bildung und Wirtschaftsförderung im Rahmen der sozialen Gerechtigkeit und PR für KMUs konzentriert.

Die bisherigen Hauptinhalte der Medien zielen nicht auf Bildung der Bürger, sondern auf Unterhaltung und Ablenkung der Bürger ab. Das ist nicht allein den Medien und den kommerziellen Notwendigkeiten und der Politischen Kraft dahinter zuzuschreiben, sondern ein Ergebnis unserer Gesellschaftlichen Entwicklung - und unserer Bürgerfaulheit.

Eine große Vielzahl kostenloser oder sehr preiswerter Bildungsinitiativen, Medien, Organisationen gehen kaputt, weil sie nicht so populär sind. Die Massenmedien eigenen sich (bisher) nicht als verlässlicher Bildungsvermittler. Wenige gute politische Bildungssendungen- Printserien/Radiomoderationen, sind mit der Lupe zu suchen oder in Buch-/Zeitschriftform preislich nicht im Haushaltsbudget unterzubringen. Noch dazu sind Redakteure, Journalisten genauso lernfaul, veränderungsunwillig, mit Vorurteilen und Wissenslücken behaftet, im Arbeitsstreß oder stehen unter dem Druck des Joberhalts, wie andere Bürger auch.

*Praxis.* Als ich gestern das Handbuch "Bürgerhandbuch für Basisinformationen und 66 Tipps" (Autor Paul Ackermann, Bestellnr.: 1484) von der Bundeszentrale für politische Bildung im Cafe Breslau in Schöneberg auspackte und Politik und Demokratie erklärte, kaufte mir einer das Buch sofort ab (zwei Euro Schutzgebühr!!!!!). Erhältlich unter http://www.bpb.de . Stichworte: Medien- und Kommunikationszentrum Berlin, Medienraum: Surfen, Lesen, Recherchieren. Anhalter Straße 20,10963 Berlin, oder im Büro, Stresemannstr. 90, 10963 Berlin, Tel.: +49 (0)30 - 254 50 40, Fax: +49 (0)30 - 254 50 422 (Taste 3 für Anforderung für Publikationen: 01888 515 115, Adenauer Allee Bonn)

4. Wie verhindern, dass in einer emotional gefärbten Situation (´Volksseele kocht´) kurzsichtige Maßnahmen ergriffen werden?

Aufgrund der bisherigen Verfahrensweisen bei volksgesetzgebenden von Sach- bzw. wenigen Personenentscheidungen, selbst wenn sie auf Bundesebene eines Tages zulässig sein sollten, halte ich eine kurzsichtige Maßnahme und damit eine eventuelle Fehlentscheidung für absurd.

Bis zur Einreichung der Volksbegehren ist ein erhebliches Maß an körperlichem, zeitlichen, mentalem und materiellen Aufwand zu leisten, im Zuge dessen sind die ernsten Gemüter zwar noch an der Durchsetzung ihrer Interessen gelegen, aber wohl kaum als hitzig einzustufen. Die Bürger verstehen im allgemeinen sehr schnell, dass politische Mittel aufwändig zu handhaben sind und sich Widerstände mit Geduld und Aktionen nur beseitigen lassen.

5. Erwarten Sie, dass solche Entscheidungen eher weise oder eher populistisch (im Wortsinne) ausfallen werden?

Ich bin mir sicher, dass die Entscheidungen des Volkes aufgrund der demokratischen Instrumente auch demokratisch sein werden. Wenn zum Beispiel das Thema "Tempelhofer Flughafen" in Berlin erhalten, ja oder nein, zu einem Bürgerentscheid führen sollte und die Bürgerinitiative Unterschriften gegen seinen Erhalt zusammen bekommen (weil sie direkt in der Flugschneise wohnen und aktiv werden), dann muss das Abgeordnetenhaus Berlin sich damit beschäftigen. Tut sich keine Gegeninitiative auf (sei es auch aus der Wirtschaft, dem Parlament, anderen Bürgergruppen, die am Fluggeschehen Geld verdienen), wären der Ja-Sager zu wenige.
Eine Entscheidung, wenn in einem (repräsentativen) Demokratiesystem mit
Volksgesetzgebung die Mehrheit bei Einhaltung aller Vorschriften und
Fristen gewinnt, ist im Sinne der Demokratie sehr weise.

Habe ich Ihre Fragen hinreichend beantwortet? Wenn nicht, rufen Sie mich bitte an, mailen Sie mir oder fragen Sie mich noch einmal auf Kandidatenwatch.de.

Mit herzlichen Grüßen

Franziska Sylla