Frage an Florian Ritter von Hans B. bezüglich Energie
Sehr geehrter Herr Ritter ,
gemäss der Wahlaussage der SPD wollen Sie alle Kernkraftwerke sobald wie möglich abschalten und auf keinen Fall die Laufzeit verlängern. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus dass auch sie auf Grund anderer Aussagen von Ihnen voll hinter diesem Ziel der bayerischen SPD-Parteileitung stehen.
Wie wollen Sie dann in Bayern die damit wegfallenden ca. 8 GW Grundlastkapazität bis dahin ersetzen?.
a.) Ich bitte um eine fachlich kompetente Antwort (hoffentlich wissen sie was Grundlast ist?)
b) Falls sie davon ausgehen dass man dazu grosse Speicher in den Alpen o.dgl. bauen könnte, bitte Ich sie um Vorschläge für Standorte und wie gross Sie sich sowas vorstellen.
c) Die komplette Deindustrialisierung Bayerns (wie in der DDR) würde ich als fachlich kompetent Antwort akzeptieren (Die Kapazität reicht zwar dann immer noch nicht ganz, aber es ist besser als das was in der Vorlage Ihrer Parteileitung steht ).
Mit freundlichen Grüssen
Hans Brandl
Sehr geehrter Herr Brandl,
gerne will ich versuchen Ihre Frage sachgerecht zu beantworten. Ob diese Antworten fachlich kompetent sind überlasse ich gerne Ihrem persönlichen Urteil. Ich wünsche mir nur, dass Sie auch bereit sind Kompetenz nicht nur daran zu messen, ob meine Meinung mit der Ihren übereinstimmt.
Den Ruf nach der Deindustrialisierung Bayerns halte ich jedoch für wenig kompetent, da Wirtschaft, Produktion, Warenaustausch und Arbeit immer mit Energieverbrauch einhergeht. Es ist unser aller Interesse, den Wohlstand der Menschen in Bayern und der übrigen Welt zu mehren und dafür zu sorgen, dass alle Menschen gerecht daran teilhaben können. Dafür brauchen wir eine funktionierende Wirtschaft.
Grundsätzlich stehen wir dabei vor folgendem Problem: Energieverbrauch bringt Belastungen mit sich, die für die Menschheit äußerst gefährlich werden können. Sei es durch den Ausstoß von CO2 oder Feinstaub, sei es die Gefährdung durch Zwischenfälle in Atomkraftwerken oder die völlig ungelöste Frage, wie der hoch radioaktive Atommüll die nächsten tausend Jahre sicher gelagert werden kann. Dass die Atomwirtschaft gerade beim letzten Punkt weder ausreichende Sicherheit noch tragfähige Konzepte bietet, hat der aktuelle Skandal um das Forschungslager Asse eindrucksvoll bewiesen.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem: fossile Brennstoffe und Uran sind endlich. Die Reserven (mit aktueller Technik und wirtschaftlich abbaubare Lagerstätten) bei Kohle reichen noch ca. 250 Jahre, die bei Uran noch etwas über 60 Jahre. Dies übrigens bei gleich bleibendem Verbrauch. Doch der weltweite Energiebedarf steigt rapide an. Das hat besonders damit zu tun, dass gerade die so genannten Schwellenländer ihre wirtschaftliche Entwicklung massiv vorantreiben.
Wie man es dreht und wendet, wir brauchen risikoarme, erneuerbare und möglichst schadstoffneutrale Technologien, die sowohl Grundlast, als auch Mittellast, ebenso wie Spitzenlasten im Stromnetz abdecken können. Dies ist völlig unabhängig vom beschlossenen Atomausstieg. Doch gerade der Atomausstieg bietet die Möglichkeit die Stromproduktion frühzeitig und geregelt auf langfristig zukunftsfähige Technologien umzustellen. Dies liegt ebenso im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes als auch der privaten Endverbraucher.
Mir ist leider nicht ganz klar, wie Sie auf einen Wert von 8 Gigawatt (GW) Grundlastkapazität durch Atomenergie kommen. Da die bayerischen Kernkraftwerke nur eine Gesamtkapazität von ca. 6,4 GW (maximal, bei 100% Auslastung und Vollzeitbetrieb) haben, nehme ich fast an, dass hier ein kleines Missverständnis vorliegt. Die von Ihnen genannten 8 GW erreiche ich dann, wenn ich die Leistung der an der Grundlasterzeugung beteiligten Wasserkraftwerke hinzuzähle. Es handelt sich also um die gesamte Produktionskapazität aller Kraftwerkstypen die Strom zur Deckung der Grundlast produzieren und nicht um den tatsächlichen Grundlastverbrauch. Leider stellen sowohl die bayerische Staatsregierung als auch die bayerische Energiewirtschaft keine brauchbaren Zahlen zur Verfügung, aus denen sich klar erkennen lässt, wie viel dieser Produktionskapazität konkret in der Grundlast und wie viel davon in der Mittellast eingesetzt und tatsächlich abgenommen wird. Nachdem sich Grundlastkraftwerke und insbesondere Kernkraftwerke schlecht regeln lassen, werden hier die Reaktoren einmalig auf die Arbeitsleistung hochgefahren und produzieren gleichmäßig die selbe Menge Strom bis zur nächsten Reaktorabschaltung. Daher ist es kein Wunder, dass wir seit Jahren in unseren Kernkraftwerken deutlich mehr Strom produzieren, als letzten Endes abgenommen wird. Sie sehen also: Grundlast ist nicht gleich Grundlast – wir müssen zwischen dem unterscheiden, was produziert und eingespeist wird und dem, was tatsächlich auch Abnehmer findet.
Vergleicht man jedoch die Lastkurven (reale Produktion) der bayerischen Kraftwerke und die Tagesbelastungskurven des bayerischen Stromnetzes (Quelle jeweils: EON Bayern), so lässt sich darauf schließen, dass im Winter ca. 70% - 80% (80% = 5,1GW) und im Sommer ca. 40% - 50% (50% = 3.2 GW) der Leistung bayerischer Kernkraftwerke für die Deckung des Grundlastbedarfs im Freistaat eingesetzt werden.
Ich will keine Zahlenspielereien betreiben, aber diese Zahlen sind für eine vernünftige Einsatzplanung regenerierbarer Energien in der Grundversorgung natürlich außerordentlich wichtig. Es wundert mich nicht, dass CSU und Energiekonzerne diese Informationen nicht preisgeben, da sie sich doch auf die Kernenergie ideologisch festgelegt haben. Sollte ich Ende des Monats wieder in den bayerischen Landtag gewählt werden, so werde ich die genauen Zahlen mit einer parlamentarischen Anfrage abfragen und Ihnen – sollte es Sie interessieren – das Ergebnis gerne zukommen lassen.
Sie haben völlig recht: für den Ersatz der durch Atomstrom abgedeckten
Grundlast benötigt man auch grundlastfähige Kraftwerkstypen. Dies sind
im besonderen:
Fließwasserkraftwerke
ein Teil (ca. 60%) der verbundenen Kapazitäten der Windkraftwerke
Gezeitenkraftwerke
Verbrennungskraftwerke für Biomasse (Reststoffe und Abfälle)
Müllkraftwerke
Geothermiekraftwerke
In dem Maße, wie es gelingt leistungsfähige Energiespeicher zu entwickeln, kommen zukünftig dafür auch Technologien in Frage, die derzeit Ihren Einsatzbereich in der so genannten Mittellast oder der Spitzenlast haben.
Gott sei Dank sind wir für „Umstiegsszenarien“ nicht auf die fehlenden Zahlen der bayerischen Staatsregierung angewiesen. Die Informationen die der Bund vorlegt sind – auch wenn sie nicht optimal sind – deutlich besser. Damit lassen sich zumindest die deutschen Rahmenbedingungen für den Umstieg bewerten.
Nach einer Studie des Büros für Technologiefolgen-Abschätzung des deutschen Bundestages reicht alleine das heute vorhandene technologische Potential der Geothermie aus, um den gesamten deutschen Grundlastbedarf an Strom abzudecken (nicht nur 47% wie bei der Atomkraft). Besonders in Bayern und Norddeutschland kann diese Kraftwerkstechnik auf Grund der geologischen Gegebenheiten kostengünstig und effizient eingesetzt werden. Für die Sicherung des Grundlastbedarfs ist dies eine Schlüsseltechnologie.
Legt man die im gesamten Jahr 2007 von deutschen Kernkraftwerken produzierten 140 Terawattstunden (TWh) zu Grunde (Quelle: Bundeswirtschaftsministerium) und geht – zu Gunsten der Kernkraftbefürworter - davon aus, dass 80% davon über das ganze Jahr verteilt im Grundlastbereich verbraucht wurden, so müssen in Deutschland 112 TWh Stromproduktion pro Jahr durch grundlastfähige erneuerbare Energien ersetzt werden – schrittweise bis zum Jahr 2023. Bereits heute könnten, ausgehend vom grundlastfähigen Anteil der Windenergie und der existierenden Stromerzeugung aus Müll und Biomasse, davon mindestens 30-40 TWh ersetzt werden (Quelle: Statistiken des Bundeswirtschaftsministeriums für 2007, eigene Berechnung).
Jetzt heißt es die Grundlagen für den weiteren Ausbau grundlastfähiger regenerativer Energien zu legen. In Bayern geschieht leider nahezu nichts dergleichen. Als einziger regenerativer Energieträger wird die Solarenergie forciert, wohl wissend, dass damit derzeit kein Anteil an der Grundlast abgedeckt werden kann. Biomasse (wohl gemerkt: aus Abfällen z.B. der Holzindustrie und Landwirtschaft, nicht etwa aus extra dafür angebauten Pflanzen), Windenergie oder Geothermie spielen bei uns in der Stromerzeugung nahezu keine Rolle. Die CSU und die Staatsregierung ist damit ideologisch und technologisch nahezu auf dem Stand der Bundesrepublik vor 10 Jahren (unter Helmut Kohl).
Mit dem Programmen zur Förderung regenerativer Energien der Rot-Grünen Bundesregierung ab 1998 ging ein gewaltiger Schub in der Forschung und Entwicklung im Bereich regenerativer Energien einher. Im übrigen sind damit nicht nur viele Arbeitsplätze entstanden, sondern es ist auch ein echter Exportschlager.
Innerhalb von 10 Jahren - von 1998 bis 2007 - ist es gelungen, die durch Kraftwerke auf Basis von erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) produzierte Energiemenge von 7,9 TWh pro Jahr auf 50,5 TWh zu steigern. Ein größerer Teil davon ist – wie bereits erwähnt – grundlastfähige Energie (mindestens 60% bis maximal 70%). Enthusiasten werden jetzt vielleicht vorrechnen, dass bei gleich bleibender Steigerung in weiteren 10 Jahren der notwendige Ersatz für den Grundlastanteil der Kernenergie bereits weit überschritten ist. Ich aber sage Ihnen: es liegt noch eine ganze Menge Arbeit vor uns.
Auch wenn der Anteil der Geothermie am Gesamtaufkommen der Stromproduktion noch die geringste ist, so ist die technologische Entwicklung doch beachtlich. Alleine die Leistung der entsprechenden Kraftwerke ist heute 5-8 mal so groß wie noch vor 2 Jahren. Das Entwicklungs- und Einsatzpotential ist enorm. Die zu Jahresbeginn 2008 installierte Leistung der Geothermie (in dezentralen Anlagen) betrug ca. 1 GW – das entspricht der Leistung eines Kernreaktors.
Kurz und gut: die Zahlen belegen, dass der Ersatz von Kernenergie ebenso wie der Ersatz von fossilen Brennstoffen zur Stromerzeugung keine kindliche Spinnerei, sondern in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen auch machbar ist. Doch das kommt natürlich nicht von alleine.
Voraussetzung dafür sind:
- Bereitstellung von ausreichenden Forschungsmitteln für die Weiterentwicklung der Geothermie und anderer grundlastfähiger regenerativer Energiegewinnung,
- finanzielle Förderung des Baus geothermischer Kraftwerke
- die Bereitschaft, die Dezentralisierung der Stromerzeugung zu fördern
– was einerseits die multinationalen Energiekonzerne nicht freut, andererseits aber die Versorgungssicherheit erhöht.
Bei keinem dieser Punkte kann ich bei der CSU Handlungswillen erkennen. Im Gegenteil: sie hat sich ideologisch auf die Kernenergie festgelegt, die sie zwar mittlerweile nicht mehr als „Zukunftstechnologie“ preist, sondern als „Übergangstechnologie“ bezeichnet. Aber sie (die CSU) offenbart nicht, wie denn den Übergang in den nächsten maximal 60 Jahren (bis zum Ende der Uranreserven) technisch lösen will und wie sie sich den Zeitrahmen vorstellt. Und sie offenbart ebenso wenig wie sie das ungelöste Problem der Endlagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe bewältigen will.
Ich hoffe damit Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben. Auch wenn ich fürchte, dass Sie immer noch anderer Meinung sind als ich. Aber das gehört ja auch zur politischen Diskussion: unterschiedliche Meinungen konstruktiv auszutauschen.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Ritter