Frage an Florian Hahn von Juergen G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hahn
Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob der Artikel 6 Absatz 1 des Bundesdeutschen Grundgesetzes:
"Ehe und Familie stehen unter besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" auch dann Anwendung findet wenn die Ehe aufgelöst wird.
Weiter möchte ich von Ihnen wissen, ob nach der Scheidung die Familie ihren Fortbestand im Sinne der "staatlichen Ordnung" hat.
Stellen Sie sich bitte einfach die Eltern und zwei Kinder vor. Die Eltern trennen sich.
Für Ihre Antwort bedankt sich vorab
Jürgen Görg
Sehr geehrter Herr Goerg,
ich danke für Ihre Anfrage über das Internetportal „abgeordnetenwatch“ vom 19.11.2009. Sowohl die Frage, ob Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz (GG) noch nach Auflösung einer Ehe Anwendung findet als auch die Frage, ob die Familie auch nach einer Scheidung unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, sind zu bejahen. Das ergibt sich aus einer Anfrage beim Bundesjustizministerium und den einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes.
Als Freiheitsgrundrecht schützt Artikel 6 Absatz 1 GG Ehe und Familie als einen gegen den Staat abgeschirmten Autonomie- und Lebensbereich. Er enthält insofern ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Neben dieser freiheitsrechtlichen Funktion beinhaltet Artikel 6 Absatz 1 GG auch eine "wertentscheidende Grundsatznorm", d.h. eine verbindliche Wertentscheidung für das gesamte Ehe und Familie betreffende private und öffentliche Recht. Der Staat ist danach gehalten, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen zu schützen. Darüber hinaus umfasst Artikel 6 GG eine Institutsgarantie und gewährleistet damit den Bestand und die wesentlichen Strukturen des Bildes von Ehe und Familie, das der Verfassung zugrunde liegt.
Zu den verfassungsrechtlich vorausgesetzten Strukturprinzipien der Ehe gehört, dass die eheliche Lebensgemeinschaft auf Dauer angelegt und grundsätzlich unauflöslich ist. Folge der Institutsgarantie der Ehe ist unter anderem, dass die staatliche Rechtsordnung dieser auf Dauer abzielenden Anlage der Ehe Rechnung zu tragen hat, indem sie die Rechtswirkungen der Ehe über eine Trennung oder Scheidung (bzw. den Tod des Ehegatten) hinausreichen lässt. Deshalb kann Artikel 6 Absatz 1 GG als Prüfungsmaßstab auch in Fällen herangezogen werden, die den Schutz solcher Ehegatten zum Gegenstand haben, deren Ehe durch Scheidung beendet worden ist. Die "fortwirkende personale Verantwortung der Ehegatten" äußert sich u.a. in den Bestimmungen über den nachehelichen Unterhalt, im Versorgungsausgleich, in der Aufteilung des Vermögens, im Ehegattenerbrecht und in der Gewährung einer Witwen- /Witwerrente. Wegen Artikel 6 Absatz 1 GG dürfen die Partner im Falle der Auflösung einer Ehe besser gestellt werden als Menschen, die in weniger verbindlichen Paarbeziehungen zusammengelebt haben.
Das von Artikel 6 Absatz 1 GG ebenfalls gewährleistete Institut der Familie beinhaltet die Gemeinschaft von Eltern und Kindern. Der verfassungsrechtliche Schutz reicht von der Familiengründung über die Ausgestaltung des familiären Zusammenlebens bis hin zu den familiären Beziehungen zwischen den nicht (mehr) in häuslicher Gemeinschaft miteinander lebenden Familienmitgliedern. Auch nach geschiedener Ehe verbleiben Vater und Mutter mit ihren Kindern in einer familiären Lebensgemeinschaft, und zwar unabhängig von den sorgerechtlichen Regelungen. Die Reichweite der familiären Schutzwirkung kann allerdings in Abhängigkeit davon abgestuft sein, ob die Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, als bloße Hausgemeinschaft oder nur als Begegnungsgemeinschaft gelebt wird.
Gerne können Sie mich künftig auch direkt über florian.hahn@bundestag.de kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Florian Hahn MdB